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Dienende Liebe

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Als Kardinal-Erzbischof Dr. Theodor Innitzer sein Amt antrat, schrieb er unter sein Wappen die Losung: In caritate servire — In Liebe dienen!

Mit Recht ist damals dieser Leitsatz des neuen Bischofs als Angeld auf eine weitausholende Liebestätigkeit verstanden worden. Heute wissen wir, daß dieser “Wahl- und Wappenspruch nicht nur eine karitative, sondern darüber hinaus auch eine provi-dentielle Bedeutung hatte! Bekundete doch dieser Appell an die dienende Liebe, abgehalten im Herzen Europas, in Wien, am Vorabend ihrer Katastrophe, ein wahrhaft prophetisches Urteil über jene besinnungslose Magie der Gewalt, die just um diese Zeit im deutschen Flachland ihr Gorgonen-haupt erhob. Sie setzte, zynisch wie jede Machtgier ist, die nicht vergebbare Sünde wider den Geist, indem sie die Menschenliebe als Charakterschwäche und Feigheit verfolgte und verbannte.

Wohl ganz anders wäre die jüngste Weltgeschichte verlaufen, hätten doch die Männer der Gewalt, die ihr Volk wie Brot verzehrten, hingehorcht zur alten Christenlehre! Offenbar wäre dann ihnen die Weisheit geworden, daß das Charisma der Staatskunst, Menschen zu führen und glücklich zu machen, auf die Dauer niemals Wohnung nähme im “Hochmut, in der Hoffart, in einem tollwütigen Herrschen-und Überwältigenwollen, in einer fanatischen oder doktrinären Kampfansage gegen andere Menschen und Menschengruppen! Vielmehr besagt diese Weisheit, leuchte die Gnade des Staatsmannes nur in der Demut, in einer Tag für Tag in der Prosa des Lebens eingeschulten Liebe zum allgemeinen Menschenbild!

. In caritate servire — In Liebe dienen! Diese bischöfliche Erstermahnung, hineingesprochen in die Zukunft der Heimat, schien jedoch wie ein Ruf in einer Wüste zu verhallen.

Zunächst wurde der Rufer selbst oft mißverstanden und verkannt! Wahrlich, vom Jahre 1932 an auf der weithin sichtbaren und hörbaren Kanzel der Kirche in Österreich zu stehen, um in den drei weltanschaulichen und politischen Zusammenbrüchen, 1934, 1938, 1945, das Heil der Seelen aller als deren Bischof in dienender Liebe zu besorgen, war mühseligster Gottesdienst! Das aber bildet gerade das Kreuz und die Aufgabe der Kirche, wohl auch ihre Größe und das Geheimnis ihres Welterfolges — daß sie , in der Zeit zu stehen und doch zu ihr Distanz zu halten hat, um das Ewige im Menschen, seine Seele, hindurchzutragen.

Das ergibt allerdings in der Kirchengeschichte bewegter Zeiten die Tragik des geistlichen Würdenträgers, der die wechselnden Machtverhältnisse — oft gegen das eigene Herz — anerkennen muß, weil es nicht der Kirche ist, Staatsaktionen zu unternehmen, vielmehr der Kirche nur ist, die wechselnden Machtverhältnisse zu erleiden, um in den einmal gegebenen Ordnungen — Seelen zu retten!

Ihr Reich ist eben nicht von dieser Welt! Worum es der Kirche geht, das ist keine innerweltliche Position! Lächerlich, zu glauben, daß der Grund ihrer Dauer eine raneune, ein Aufstand, eine organisierte Rache der Schwachen oder eine schlaue Erfindung, ein Ausbeutungsmittel, ein Para-vent der Starken sei, wie die Sophisten aller Zeiten behaupten. Die Kirche hat keine irgendwie geartete soziologische Voraussetzung. Sie ist an kein weltliches Ordnungsschema gehalten! Sie ist daher aus einer politischen oder ökonomischen Lage heraus weder theoretisch erklärbar noch/ praktisch verwundbar! Deshalb scheiterten auch alle bisherigen, mitunter dämonischen Versuche, die Kirche als Vorhut und Ausdruck einer geschichtlichen Entwicklung zu begreifen und anzugreifen!

Worum es der Kirche immer geht, ist der Mensch an sich, der Mensch ohne Maske, der in einem ununterbrochenen Karqpf auf Leben und Tod liegt — zwischen den Mächten der Finsternis und den Mächten des Lichts in seiner eigenen Brust!

Ganz anders zeigt sich infolge davon die Orientierungstafel der streitenden Kirche: die Stellungen zwischen Gut und Bös verlaufen nicht an der Grenze der Völker und Staaten, nicht an der Grenze der Einkommenshöhen der Gesellschaftsschichten, so daß die einen gut und die andern böse wären nur auf Grund ihrer Geburt und ihres Standes! Nein! Die Stellungen zwischen Gut und Bös verlaufen auf dieser wahrhaft erprobten Karte zuerst und zunächst mitten durch das Herz jedes einzelnen Menschen selbst!

Die Kirche demaskiert alle Dämonen, die Böses mit Bösem vergelten! Sie demaskiert alle Pharisäer und Aggressoren der Geschichte, die stets andere anklagen und angreifen — nur nicht sich selbst!

Sie demaskiert alle Ideologien, alle Idolatrien, alle jene Versuche, welche gottgewollte Sozialgebilde, wie Staat, Nation, Wirtschaft, vergötzen, zu übermenschlichen Wesen umdichten, um dann Andersgesinnte, die keine Götzenanbeter sein wollen, grausam abzutun!

Sie demaskiert aber nicht nur alle soziologischen, sondern auch alle philosophischen Totalitätsbegriffe pantheistischer oder materialistischer Art, alle einseitig verfahrenden Gedankenkonstruktionen, die nur Gedankenkerker sind, worin der Mensch sich selbst verfängt, nachdem er die innere Freiheit des Christenmenschen verloren hat!

Nüchtern ist diese Kirche, gar nicht so wunderlich, wie die Nichtkenner meinen, in diesem Prozeß der Entzauberung jeglichen Wahnes und jeglicher Gewalt!

Und sie drängt auf das Wesentliche und Letzte, auf wahren Humanismus nämlich, auf eine am Gottmenschen orientierte Menschlichkeit, die den Zweifüßler in uns überwinden soll durch die nur im Christentum zur Reife gebrachte Erkenntnis, daß aus dem Grunde, weil in jedem. Menschen ein Blutstropfen Christi kreist, womit er erlöst worden ist, der Mensch dem Menschen kein Feind und Raubtier, sondern ein Bruder zu sein hat in gegenseitiger Achtung und Hingabe.

In caritate servire — In Liebe dienen! Wie bedeutungsvoll klingt auf dem Schutt-und Trümmerfeld unserer Gegenwart diese Wiederholung des christlichen Liebesgebotes! Und wie beispielhaft wuchs in diesem Zeichen aus den geweihten Händen seines Künders Brot in der langen Winternacht unserer Bedrängnisse!

Kardinal-Erzbischof Dr. Theodor I n-nitzer wurde am 25. Dezember 1885 zu Neugeschrei in der Pfarre Weipert im nordböhmischen Erzgebirge als der Sohn einer armen Arbeiterfamilie geboren und der spätere Kirchenfürst ging selbst als Jugendlicher in die Fabrik, bevor er mit fünfzehn Jahren das Gymnasium besuchen konnte. Durch zwei Jahrzehnte gehörte Dr. Innitzer als Neutestamentier dem Lehrkörper der Wiener katholisch-theologischen Fakultät an. 1928/29 Rektor der Universität, 1929 Sozialminister im Kabinett Schober, wurde Dr. Innitzer 1932 als Nachfolger Kardinal Piffls Erzbischof von Wien. Seiner Initiative war nicht zuletzt die Abhaltung des Katholikentages in Wien 1933 zu verdanken. Stets aber stand im Mittelpunkt seines Wirkens die Seelsorge, auf die Kardinal Erzbischof Dr. Innitzer besonders in den düsteren Jahren von 1938 bis 1945 seine große Arbeitskraft konzentrierte. Die Gründung der Katholischen Akademie in diesem Jahre hat Wien, Österreich und darüber hinaus Kultureuropa die geistige Aufgeschlossenheit des Kardinals für die großen Aufgaben unserer Notzeit vor Augen geführt. •

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