DIESE EINSAMKEIT SCHÄRFT DIE SINNE

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CLAIRE-LOUISE BENNETT GEHT IN IHREM MEISTERHAFTEN DEBÜT DEN DINGEN AUF DEN GRUND.

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CLAIRE-LOUISE BENNETT GEHT IN IHREM MEISTERHAFTEN DEBÜT DEN DINGEN AUF DEN GRUND.

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Eine Frau zieht sich in ein einsames Cottage an der rauen irischen Westküste zurück und berichtet von ihrem Alltag. Das weckt Erwartungen an irgendetwas zwischen einer feministischen Version von Henry David Thoreaus "Walden" und der pittoresken Idylle englischer Landromane. Letzteres bekommt man nicht, Ersteres in Spuren. Die englische Originalausgabe "Pond", 2016 in einem kleinen Verlag in Irland erschienen, bekam hymnische Kritiken. Claire-Louise Bennetts selbstbewusstes Debüt ist kein Roman, wie es der Umschlag behauptet, es sind auch keine Kurzgeschichten, vielmehr sind es 20 unterschiedlich lange Wahrnehmungs-und Erinnerungseinträge, die vor allem durch ihre sprachliche Originalität beeindrucken. Das Original ist im Übrigen nicht als "novel" ausgewiesen, im englischsprachigen Raum scheint dieser Etikettenschwindel nicht nötig zu sein, da man mit Erzählungen und Kurztexten generell weniger Berührungsängste hat. Über die Ich-Erzählerin und ihr Leben erfährt man fast nichts, eine Akademikerin, das wird an einer Stelle erwähnt, mehr Informationen bleiben aus. Auch der Handlungsort bleibt unbenannt, nur angedeutet, er tut nichts zur Sache.

Entscheidend ist nicht der Plot, es gibt ohnehin keinen, sondern die Einsamkeit und wie die Abwesenheit des Zwangs zur ständigen Selbstinszenierung und Positionierung, nicht einmal im politischen, sondern im alltäglichen Sinn, eine neue Wahrnehmungsebene schafft: "In solitude you don't need to make an impression on the world, so the world has some opportunity to make an impression on you", schreibt Bennett in einem Essay in der Irish Times. Eine schöne Referenz darauf ist die Geschichte mit dem Titel "Kontrollknöpfe", in der die Erzählerin Vergleiche mit der Protagonistin eines Buches zieht, die sich unschwer als die Heldin in Marlen Haushofers "Die Wand" identifizieren lässt. Wie Bennett die absurd erscheinende, obsessive Sorge der Ich-Erzählerin, dass sie keine Ersatzknöpfe für die nacheinander abbrechenden Kontrollknöpfe ihres Herdes bekommt, gegen das aufs Existenzielle zielende Abzählen des schwindenden Streichholzvorrats der "letzten Frau auf Erden" schneidet, ist große Kunst. Beim Nacherzählen der "Wand" passieren der Ich-Erzählerin Fehler, wie sie selbst merkt: "Mir sind noch andere Fehler unterlaufen, Unterschlagungen hauptsächlich, aber ich werde hier nichts mehr richtigstellen, denn ich wollte meine Eindrücke von den Ereignissen beschreiben, nicht die Ereignisse selbst." Genau das ist das ästhetische Konzept des Buches.

Alltägliches als Erlebnis

Wie Karl Ove Knausgård -der wie Bennett bei Luchterhand erscheint -das Beschreiben des Teetrinkens perfektioniert hat, reflektiert Bennett seitenweise über die Möglichkeit, Bananen zum Kaffee zu essen und Porridge zuzubereiten. Das klingt langweilig, doch der lakonische Stil macht das Alltägliche zum Erlebnis: "Ein Klecks schwarze Johannisbeermarmelade mitten auf dem Porridge kann ganz schön aussehen, ehrlich gesagt macht er sogar einiges her. Dazu ein paar gehobelte Mandeln. Doch Obacht, Obacht bei den gehobelten Mandeln: Für mürrische Gemüter sind sie nichts, und sie dürfen keinesfalls wie Konfetti über Porridge geworfen werden, denn Mandeln haben mit Konfetti nichts gemein."

Dass das Sprechen über alltägliche Sinneseindrücke nicht zum belanglosen Geplapper wird, ist Bennetts ungewöhnlichem, von trockenem Humor durchzogenen Stil zu verdanken. Die Einsamkeit schärft die Sinne der Erzählerin, kleinste Details werden plötzlich erfahrbar und als Leserin möchte man innehalten und ebenfalls in die eigene Umgebung hineinhören mit geschärften Sensoren.

Ein gewisser Eskapismus lässt sich da nicht verleugnen und natürlich erweist der Titel "Pond" dem Walden Pond, jenem See, an dem Thoreaus Blockhütte in der Waldeinsamkeit gelegen war, seine Referenz. Deutlich spürbar ist der amerikanische Transzendentalismus als Einflussgeber und nicht die, wie man vermuten könnte, britische Naturbeschreibung, die seit Helen Macdonalds Überraschungserfolg "H wie Habicht" auch im deutschsprachigen Raum an Beliebtheit gewonnen hat.

Bei Bennett ist die Abkehr von der Welt Flucht und Hinwendung zugleich. "Teich" kippt dank seiner etwas schrulligen Protagonistin und ihrem einzigartigen Blick auf Gegenstände, die Natur und sich selbst nie in esoterische Selbstfindungsprosa. Kein quantitativer, ein qualitativer Beschreibungsfanatismus treibt die Erzählerin an, sie will die Essenz der Dinge in Sprache fassen. Das glückt nicht immer, aber wenn es glückt, fühlt man sich an die ungewöhnlichen Sprachbilder Emily Dickinsons erinnert. Während sich diese aber in der Prosa eingesperrt fühlte, wie sie in einem ihrer bekanntesten Gedichte schreibt, ist Bennett in der Prosa daheim. Es ist eine verdichtete, lyrische Prosa, in der immer wieder Selbstironie aufblitzt: "Offenbar neige ich heute Abend zum Kitsch. Den Mond hochhalten, samt seiner kitschigen und konspiratorischen Launen!", hält die Protagonistin der eigenen Schwärmerei über den Vollmond entgegen. Zwischen Kapitel über Entfremdung und Trauer schiebt Bennett eine Ode ans Tomatenmark.

"Teich" gehört zu den Büchern, die es einem zunächst nicht leicht machen, weil sie jede Gefälligkeit verweigern, die aber bleibenden Eindruck hinterlassen und von denen man nach dem Zuklappen weiß, dass sie im Laufe der Jahre noch Gebrauchsspuren durch das Wiederlesen bekommen werden.

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