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Dieses Heute, o Herr!

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Wenn man in fremde Länder kommt, besucht man meistens die großen Sehenswürdigkeiten und Kunstdenkmäler. Auch ich habe eine lange Reihe von Reiseführern in meiner Bibliothek stehen und richte darnach meine Reisen ein. Eine Zeitlang, etliche Tage reise ich darnach, dann fühle ich inmitten der herrlichsten Dome, Galerien und Plätze Ueberdruß und ich sehne mich nach der reinen Landschaft. Weit weg aus der Stadt, von der Eisenbahn und Straße. Ich will Kommunikation mit der Landschaft. Wenn ich es an einem Beispiel sagen darf. England wurde mir erst zum Erlebnisi als ich in Eton auf einer weiten Wiese stand, über die nur ein schmaler Pfad führte. Da legte ich mich ins Gras und ruhte aus von der Hast der Reise und ich nahm Kontakt mit dem uralten England, dem Boden, aus dem alles wuchs, Gutes und Böses, was heute für uns England ist. Eine junge Frau führte ihr Kind an der Hand vorbei, am Rande der Wjese tummelten sich Knaben, irgendwo schlug eine Turmuhr. Wenn ich jetzt daran denke, dann fühle ich das Glück dieser Stunde noch und unwesentlich erscheint mir dagegen Tower und Hydepark, Königsschloß und Oxfordstreet, Bank

von England und Viktoriabahnhof. Asphalt und Beton dörren unsere Seelen aus. Wie schön mag es zu leben gewesen sein, als es nur die großen echten Kunstwerke gab und das offene Land (wie man es jetzt noch manchmal in Spanien oder im Orient trifft). Bei uns schiebt sich immer mehr dazwischen, Asphalt und Beton, Banalität und Häßlichkeit; die Zivilisation der letzten hundert Jahre.

Aber das soll begreiflich machen, wie mir war, als ich etliche Tage nach dem Baedeker mit Bahn und Auto, nicht einmal mit einer Reise-(Jagd-) Gesellschaft, sondern mit guten Freunden durch die herrliche Toskana gefahren war. Ich hatte große, einmalige Kunstwerke gesehen, viel Marmor und Farbe, war allerdings immer auf Asphalt und mußte an viel Beton vorbei, ehe ich zu echter Schönheit kam. Trotzdem wuchs der Ueberdruß. Das Haus, in dem wir wohnten, lag am Ende der Stadt, im letzten Ring, wo man bereits versucht, die Häßlichkeit der letzten hundert Jahre zu überwinden, aber es kommt nur besserer Kitsch heraus. Einige Schritte draußen ist bereits die Gstätten. wie man bei uns sagt, jener Streifen, mit dem Bauspekulanten Geschäfte machen. Es war nicht leicht, durch das alles durchzukommen. Doch ich mühte mich, wie ein Verfolgter auszubrechen,

stieg über Zäune, querte ausgetrocknete Gräben und gelangte endlich in die Weingärten, die in leichten Terrassen anstiegen. Da kannte ich mich aus, denn sie sind überall auf der Welt gleich, ob daheim in der Wachau, in Emaus oder in der Toskana, alles ist mit allem verbunden und es findet sich immer ein Weg, wo man weiterkommt. Ich pflückte die zurückgelassenen vertrockneten Trauben. Pflücken und Essen der Früchte ist Kommunikation mit dem Boden.

Langsam steige ich hinan. Noch schaue ich nicht zurück. Die Zone der Häßlichkeit liegt zu nahe. Jenseits vermute ich einen Graben, der tiefer ins Gebirge hineinführt. Ich steige über den Rücken und komme auf einen Feldweg, der neben einem ausgetrockneten Wasserlauf dahingeht. Ueber eine schmale Wiese, die mit Nußbäumen bepflanzt ist, schreite ich langsam, beinahe ehrfürchtig dahin und erinnere mich an ein Wort von Hermann Bahr, das etwa so lautet: „Der eine macht eine Weltreise und kommt ebenso blasiert zurück wie er fortgezogen, und der andere geht daheim über eine blühende Wiese und ist bis auf den Grund seiner Seele erschüttert.“ Ich komme an einem einsamen Hof vorbei und blicke durch die offene Tür in die leere Stube. Da ist der breite offene Kamin, daneben ein sauberer Tisch. So war es zur Zeit Dantes und noch früher. Geruch von Trebern erfüllt die Luft. Die Leute sind in dem nahen Oelgarten und lockern mit einer langen, gebogenen Haue den Boden. Der Pfad führt weiter, wird immer schmäler und ich fühle, daß er bald zu Ende sein wird. Das Buschwerk der Abhänge nähert sich von beiden Seiten des Grabens. Starker Geruch von Minze begleitet mich. Hier ist das Tal zu Ende und der Anstieg auf den Berg beginnt. Ich, arbeite mich durch das Buschwerk hindurch, dorthin, wo ich Oelbäume sehe. Da sind wieder Terrassen und man steigt auf den Pfaden der Bauern wie auf einer Leiter von Stufe zu Stufe. Die dunklen Früchte hängen noch an den Bäumen, aber sie sind bitter und nicht zu genießen. Die Sonne geht gegen Mittag

und sie scheint fast so warm wie im Spätsommer, obwohl es schon später Herbst ist. Nun stehe ich unter dem ersten Feigenbaum, der bereits die meisten Blätter abgeworfen hat. Ich bücke mich, um von seinen letzten Früchten zu essen. Sie sind überaus süß und sättigend. Dieses Essen ist mir wie eine geheimnisvolle, heilige Handlung voll tiefer Symbolik. Wo Feige, Nuß, Oel und-Wein wächst, dort müßte man noch als Mensch leben können.

Ich habe den Rock ausgezogen und steige rüstig höher, vor mir vermute ich einen Paß, von dem aus man nach links auf den eigentlichen Gipfel weiter steigt, der frei in die Ebene aufragt und den zu besteigen ich mir jedesmal vorgenommen hatte, wenn ich ihn von meinem Fenster aus gesehen hatte. Nach einer halben Stunde stehe ich wirklich auf dem Paß und blicke auf die andere Seite in das freie Land hinaus, das wie ein riesiger Garten sich öffnet. Dort unten liegt die Stadt und irgendwo am Rand das Haus, in dem ich wohne (mit fließendem Wasser, Fernseher und modernen Möbeln). Wie schmal von hier aus die Zone der Häßlichkeit erscheintl Das alte Land ist doch noch , größer. Wir werden es hoffentlich nicht mehr erleben, daß es aufgefressen wird von der neuen Kulturlandschaft (Autobahn, etliche Birken auf abgezirkelten künstlichen Wiesen mit vörgeplan-ten Rastplätzen, steinverkleideten Betonbrücken und so weiter.) Doch warum löse ich mich nicht davon in dieser urtümlichen Landschaft? Am Scheitel steht eine alte Kapelle, deren Kultbild verschwunden ist. Leer blickt mich die weiße Nische an. Auszug der Götter auch hier? Von der anderen Seite kommt ein Weg herauf, der sich vor der Kapelle gabelt. Meiner führt nach links auf den ersehnten Gipfel und ich folge ihm. Buschwerk, dazwischen Oelbäume bis ziemlich hoch hinauf, dann mageres Gras und Steine. Die Sonne steht über dem Berg, ich wische den Schweiß von der Stirhe. Vor mir ragt der breite Gipfel in den Himmel, umgeben von einer riesigen mittelalterlichen Festungsmauer, deren Tor von einem mächtigen Turm geschützt ist. Mitten drin scheint eine alte Kirche zu stehen, letzte Zuflucht der Menschen aus dem Tal in Feindes- und jeder Lebensnot. Der Weg ist steinig und scheint wenig begangen zu sein. Erst wenn eine Autostraße oder ein Sessellift heräuf-führt, wird auch dieser heilige Berg dem Verkehr erschlossen (und damit verloren) sein. Nun stehe ich vor dem Wehrturm und trete durch das offene Tor. Die alten Festungsanlagen sind längst geschleift. Gras und Buschwerk hat sich über das Schuttfeld gebreitet. Heiliger Gottesfriede'umfängt micHfVöm. Tor führt'M*J$&ä&&* - Weg zur Kapelle hinauf;' 'die“ verschlösset ist7 #s einem der alten Häuser wohnen zwei uralte Frauen, Hühner laufen herum, die Stijle liegt fühlbar in dem Bezirk, der in der ganzen Anlage an den Tabor erinnert, den Berg der Verklärung hinter Nazareth, der den Erbauern, vielleicht Kreuzfahrern, bekannt gewesen sein muß. Ich schreite den Umkreis ab und suche einen Platz, wo man in die Ebene hinabsieht. Da hat sich am Rande des Abgrundes jemand eine Pergola gebaut, nicht so exakt wie wir es in unseren Gärten tun, sondern einfacher. Eine kleine Steinmauer am Abgrund, Steinplatten zum Sitzen zusammengefügt und das Ganze überdacht von etlichen Stangen, an denen der Wein rankt. Heilige Mittagsstille! Jetzt erst überschaue ich das Land, die weite toskanische Ebene, die wie ein großer Garten bebaut ist. gegen das Meer zu begrenzt von blauen Bergen. Wie ein Baukasten liegen die Dörfer und Städte vor mir. Kein Mensch ist zu sehen, nur ab und zu raschelt eine Eidechse vorbei.

Ich saß lange, zuerst im Anschauen, dann einfach, ohne etwas zu denken oder zu tun, und ich ruhte in der Landschaft, als gehörte ich zu ihr. Erinnerung an das erste Paradies und die ursprüngliche Verbundenheit des Menschen mit dem AH' Ahnung der kommenden Einheit in der verklärten Welt. Ich hatte meinen Rock auf den Stein gelegt und saß darauf und die Sonne durchglühte mich noch einmal, das letzte Mal in diesem Jahre. Später erst beachtete ich', daß ein kleiner Feigenbaum vor mir stand mit den letzten Früchten. Als ich ein wenig rüttelte, fielen die dunklen Feigen mir zu Füßen und ich aß davon. Süß und kräftig schmeckt dieser Boden. In der Kraft dieser Speise hielt ich es aus bis zum späten Nachmittag, denn ich zögerte mit dem Aufbruch. Jetzt nicht auf die Uhr schauen, jetzt auf die Zeit vergessen und ganz dem Augenblick leben. „Ich habe, o Herr, nur dieses Heute.“ Wenn das — selten genug — gelingt, dann sind wir im ewigen Heute, wie die heilige Theresia die Ewigkeit nennt.

So war mir dieser höchste Berg ein Tabor, ein Berg der Verklärung, wo Himmel und Erde eins werden, wo die Zeit in die Ewigkeit aufgeht und es blieb die Sehnsucht in mir, dorthin zurückzukehren, in eine der Hütten, die dort leer stehen, wo die zwei alten Frauen wohnen mit ihren Hühnern, wohin nur selten jemand aus dem Tal kommt, wo die geschlossene Kapelle wartet, daß sie jemand aufsperrt, wo man dem Himmel näher ist als anderswo.

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