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Dieses Jahr in Karlsbad

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Mit dem russischen „Hamlet“ begann, mit den tschechoslowakischen „Hopfenpflückern“ endete das 14. Internationale Filmfestival von Karlsbad. Zwischen Anfang und Ende lagen zwei Wochen mit 35 Filmen im Hauptprogramm (und einem weiteren Dutzend in Informativschauen). Im folgenden seien einige der interessantesten Werke besprochen.

„Hamlet“ ist ein großer Film, ein Meilenstein in der Gewinnung klassischer Werke für die Leinwand. Regisseur Gri- gori Kosinzew schuf einen filmischen Hamlet, in dem viele bekannte Worte durch Bilder von starker Wirkung ersetzt sind. Das ist Shakespeare in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Neben diesem außer Konkurrenz gezeigten Film brachten die Russen den milde antistalinistischen, 200 Minuten langen Kriegsfilm „Die Lebenden und die Toten“ (Regie: Alexander Stolper) nach dem gleichnamigen Roman von Konstantin Simonow. In diesem Werk des Jahres 1963 wird zwar einiges von den Fehlern und Verbrechen des Stalinismus angedeutet, aber noch sind die sowjetischen Künstler weniger mutig als es die russischen Soldaten waren.

Da traut man sich in der Tschechoslowakei und in Polen schon weit mehr. Die Beiträge der CSSR waren „Der Angeklagte“ (Regie: Jan Kadar und Elmar Klos) und „Die Hopfenpflücker“ (Regie: Ladislav Rychman). Beide Filme sind unkonformistisch. Im „Angeklagten“ werden der Gegensatz zwischen den Notwendigkeiten der Planerfüllung und den formalen Gesetzen und gleichzeitig der Mangel an Zivilcourage bei den einen und bei den andern die Sucht zur Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit bloßgestellt. Dieser Film wurde mit Recht mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Auch der zweite tschechische Beitrag wäre etwa in der DDR undenkbar. Das Breitwandmusical „Die Hopfenpflücker“ gibt dem einzelnen gegenüber dem Kollektiv recht. Dem heiteren und dynamischen Film fehlt manches von der Brillanz der „West Side Story“, aber er ist origineller. Aus Polen kamen „Echo“ (Regie: Stanislaw Rozewicz), ein nicht befriedigendes psychologisches Drama um das sehr spät erwachende Gewissen eines zum Rechtsanwalt arrivierten ehemaligen Gestapospitzels, und „Das Recht und die Faust“ (Regie: Jerzy Hoffman und Edward Skorzewski), ein über lange Strek- ken mit der Perfektion eines Westerns gemachter Reißer. Was ihn besonders hervorhebt ist die politische Problematik der in das Jahr 1945 verlegten Handlung.

Aus der DDR stammte der linientreue Breitwandfilm „Der ‘ geteilte Himmel“

(Regie: Konrad Wolf) mit vielen Phrasen. Nach der einmütigen Ablehnung in West und Ost kam nach einer Woche die erste Selbstkritik, indem ein ostdeutscher Schriftsteller, der mit dem Streifen nichts zu tun hatte, erklärte, er lüfte wenigstens „einen Zipfel des Teppichs“. Nun, das ist elf Jahre nach dem 17. Juni 1953, acht Jahre nach dem 20. Parteitag der KPdSU und drei Jahre nach der Errichtung der Mauer zuwenig.

Die Bundesrepublik zeigte — leider nur informativ — die beiden Satiren „Seelenwanderung“ und „Orden für die Wunderkinder“ des jungen Regisseurs Rainer Erler. Welcher Witz funkelt in diesen beiden Filmen, die zusammen weniger gekostet haben als der ostdeutsche Zipfellüfter 1 Aus Italien kamen zwei realistische Werke: „La ragazza di Bube“ (Regie: Luigi Comencini) ist eine Geschichte um Recht und Unrecht in der Zeit zwischen Befreiung und Gründung der Republik. Regisseur Carlo Lizzani bot uns mit „La vita agra“ eine übermütige Satire auf den Konformismus. Noch übermütiger war der französische „Mann aus Rio“ (Regie: Philippe de Broca) mit Jean-Paul Belmondo als Soldat, der während seines Urlaubs und noch dazu ohne Waffe die unglaublichsten Abenteuer besteht. Der Film ist ein herrlicher Spaß! Gut inszeniert, aber zu fern der Wirklichkeit war Luis Bunuels „Tagebuch einer Kammerzofe“, dessen Handlung in das Jahr 1930 verlegt war.

Von den beiden amerikanischen Filmen erhielt „Der beste Mann“ (Regie: Franklin Schaffner) wegen seiner kritischen Einstellung, des brillanten Dialogs und des hervorragenden Spiels Henry Fondas den Spezialpreis der Jury. Elia Kazans „America, America“ fiel dagegen ab.

Außerhalb des Festivals sah man unter anderem eine Reihe neuer Filme aus der Tschechoslowakei, die wieder durch ihren Nonkonformismus auffielen. Eine glänzende Satire auf den Wildwestfilm ist „Limonaden-] oe“ (Regie: O. Lipsky). Henry Fonda erklärte diesen Spaß für eine solche vortreffliche Angelegenheit, daß er den Film in Amerika empfehlen will. Ganz anders, aber originell und eigenständig sind etwa „Diamanten der Nacht und „Der erste Schrei“, der schon in Cannes gezeigt wurde.

Das Festival von Karlsbad bot Gelegenheit, die Spitzenfilme vor allem des Ostens zu sehen. Sie zeigten eine große Differenzierung vor allem in der Freiheit, gewisse heiße Eisen zu behandeln oder nicht zu behandeln.

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