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Dionysos im Keller

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Es hat etwas Tragikomisches an sich, charakteristisch für die geistespolitische Situation in Oesterreich heute: die Aufführung von Eugene O'Neills Tragödie „Der große Gott Brown“ im Kleinen Haus der Josefstadt im Konzerthaus. Um nicht mißverstanden zu werden: die Aufführung ist ein Verdienst, die Schauspieler prächtig bemüht, Regie und Bühnenbild bezeugen die redliche Arbeit an diesem Werk. Was nicht stimmt und deshalb irritiert, ist der Ort! Dieses frühe Werk des bedeutenden amerikanischen Dramatikers gehört in die Reihe jener Werke des . Expressionismus aus den fruchtbaren Jahrzehnten um den ersten Weltkrieg. Auf der Bühne, im Theater, sollte da, in allergrößtem Stil, im Weltformat, eine neue Welt ausgeboren werden. Das Drama als kösmogonischer Akt und als Experiment einer neuen Gesellschaft. Alle Elemente, aus Geschichte, Welt und Gegenwart, und alle Künste des Menschen sollten zusammenspielen, um im mächtigen Aufschrei, in Weltgewittern, die Geburt des neuen Menschen, eines neuen Himmels und einer neuen Erde, mitten durch das Aufgähnen der Hölle hindurch, zu verkünden. Ein solches Welttheater braucht den Großraum. Hier also die Bühne der Burg. Verbannt in einen Keller, wird aus der Tragödie eine Groteske, aus dem kosmogonischen Drama Psychopathie in der Zelle (eines Irrenhauses). Dennoch: sehr sehenswert diese Bemühung. Bruno Dal-lansky als Gott Brown, Walter Kohut als Dion Anthony, Ursula Schult als dessen Gattin, Sigrid Marquardt als „Mutter Erde“ und Dirne Cybal. Worum geht es? Um den Großkampf der beiden Amerika, die da aufeinanderprallen, verkörpert in den Gegenspielern „Gott“ Brown und Dion Anthony, die im Tiefsten identisch zwei Erscheinungsformen eines Wesens sind, so wie Gott Dionysos und seine Mörderinnen und wie der Stier und der Torero im spanischen Stierkampfdrama eine Urgestalt verkörpern. Dion Anthony, der geniale Künstler, der im Uebermaß und Unmaß seiner Kräfte sich selbst in die Luft sprengt, entfesselt im Trunk und mit seinen Weibern: Dionysos, gefesselt in einer amerikanischen Gesellschaft, die auf strengster Triebzucht beruhen will und dennoch weiß, daß Sie ohne den Vulkan in ihrem Schoß keine Weltstunde mehr leben kann. Dion-Dionysos stirbt an sich selbst und an dieser Gesellschaft, die von seiner sakralen Tötung lebt. Inseine Maske („Person“ heißt bekanntlich die Maske im antiken Drama) schlüpft sein Widerpart, der erfolgreiche Geschäftsmann, der Sieger des Tages und des Tagesbewußtseins dieser Gesellschaft, der in Geld und Ansehen erstickende „große Gott“ Brown. In der Maske Dions stiehlt er dem Toten dessen Frauen, verfällt aber nun selbst der Rolle: der Oberbau der Gesellschaft „muß“ die Rolle des Untergrundes übernehmen, wenn dieser ausfällt. Diese Verwandlung anzuzeigen, gelingt dem hochbegabten Walter Kohut wirklich eindrucksvoll. Ende in Schizophrenie. Wunsch sehender Zuschauer: dieses Drama, das von hoher Aktualität ist, im Burgtheater aufgeführt, und in breiteren Kreisen diskutiert zu sehen.

Was soll man zur Neuaufführung der „W i e n e-rinnen“ im Volkstheater 6agen? Am besten vielleicht gar nichts? Das geht leider nicht an. Diese Aufführung ist auch eine politische Instinktlosig-keit, unter anderem: Der sehr zu ehrende Hermann Bahr hat mit diesem Lustspiel, das am 3. Oktober 1900, wie der Zettel uns belehrt, im Deutschen Volkstheater uraufgeführt wurde, allerlei Liebsames und Unliebsames gemengt. Liebsam seine Liebe zu den Wienerinnen, soweit sie nicht in Haßliebe verschwimmt. Unliebsam seine Invektiven gegen den „jüdischen Intellektuellen“, den Dr. Mohn, gegen die' „alles zersetzenden Intellektuellen“, unfähigen Besserwisser, unnützen, verderblichen Kritiker: wenn da der Architekt Josef Ullrich den Doktor Mohn richtig „fertigmacht“, glaubt man in einer KdF.-Aufführung zu sein. Die Aufführung im Volkstheater unterstützt diese fatalen Tendenzen, indem sie das Spiel aus einer höheren Etage der Gesellschaft, wo es tändelnd, leicht, sensibel, schwebend verspielt spielen soll, herunterspielt und herunterreißt, ins Hinterhaus, zur Posse macht. Nur zwei Personen, Maria Urban, sehr glücklich als Daisy, und Sieghardt Rupp als Ingenieur Stöhr, entsprechen der Intention des Originals: eine Komödie der „guten Wiener Gesellschaft“ zu spielen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird das Ganze ausgesprochen ordinär aufgefaßt, wobei leider so bekannte Schauspieler, wie Harry Fuß als Architekt Ullrich und Hilde Sochor als Marie Fischl, den Ton angeben und den Ton verstimmen. Mit einem unguten Gefühl verläßt man diesmal das so liebenswerte Theater.

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