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Nach 40 Jahren arbeitete die Algerierin "Durst" völlig um.

Assia Djebar, 1936 in Algerien geboren, gilt als bedeutendste Schriftstellerin des Maghreb. Sie ist die einzige Autorin ihrer Generation, die sowohl vor als auch nach der Unabhängigkeit ihres Landes eine eindrucksvolle Leistung erbrachte. Ihre Themen haben immer mit den Problemen im Übergang von der kolonialen zur postkolonialen Gesellschaft zu tun, und die Rolle der Sprache, die Frage nach Authentizität, die Definition einer Nationalliteratur sowie die Rolle der Frau in einem patriachalischen System spielen bei ihr eine wichtige Rolle. Eine vollständig über- und umgearbeitete neue Version ihres ersten Romans, den sie schon mit 20 Jahren schrieb, erschien nun unter dem Titel "Durst". (Das Original erschien 1957 unter dem Titel "La Soif".)

Als moslemische Algerierin wurde sie nach dem französischen System erzogen, während sich ihr Land noch unter der französischen Herrschaft befand. Sie war die erste Frau aus den afrikanischen Besitzungen, die an einer französischen Eliteuniversität ein volles Stipendium erhielt. "Durst" erzählt die Geschichte einer jungen, westlich erzogenen Algerierin und ihrer eigenartigen Beziehung zu ihrer islamisch orientierten ehemaligen Schulkollegin Jedla. Geschichten über unmoralische Mädchen aus gutem Hause, die, von ihrem Leben gelangweilt, von den Tiefen und Perversitäten des menschlichen Charakters fasziniert sind, waren damals sehr in Mode. "Ruhig, oberflächlich und leer war mein Leben. Ich war zwanzig Jahre alt, zynisch und ernüchtert. Nur mein Scharfsinn verschaffte mir Befriedigung, wenn ich so nachdachte und von meinen einsamen Spaziergängen nach Hause zurückkehrte. Selbst mein Wagen langweilte mich neuerdings. Geschwindigkeit ist ein Rausch, der schnell nachlässt."

Assia Djebar stellt der in der IchForm schreibenden Nadia - im Islam ist im täglichen Leben, vor allem für Frauen, die Verwendung der ersten Person im Singular ein Tabu -, deren Gedanken meist um die eigene Person kreisen, die rein moslemisch erzogene Jedla gegenüber, die nur auf das Wohl ihres Ehemannes bezogen ist. Während die eine Männer als Spiel- und Flirtgefährten sieht, geht die andere für ihren Mann bis zur Selbstaufgabe. Der Gedanke, dass ihr Mann, der in seiner Kultur die absolute Freiheit genießt, über kurz oder lang nicht mit ihrer in den eigenen Augen unzulänglichen Schönheit vorlieb nimmt, treibt Jedla in den Selbstmord.

Westliche Kritiker verglichen Assia Djebar nach den ersten Romanen mit Francoise Sagan. Für die Algerier, die während ihres Unabhängigkeitskrieges nach einer engagierten Literatur verlangten, war die Autorin eine schamlose Hure. "Durst" wurde als bourgeoiser Mist, in dem mit keinem Wort von der algerischen Wirklichkeit des Krieges, Leidens und Mutes die Rede sei, verunglimpft.

Assia Djebar zog es vor, für die Sache der algerischen Frau einzutreten, statt, wie viele Autoren ihres Landes damals, die missliche Lage der jungen Männer zu beklagen, die sich selbst überlassen blieben, weil ihre Väter durch die Fremdherrschaft gebrochen wurden. Sie hält auch an der französischen Sprache fest, nicht zuletzt, um die Sprachen- mit der Frauenfrage zu verknüpfen. Besonders in ihren späteren Romanen ist die französische Sprache mit arabischen Kadenzen, Bildern, Redewendungen und Satzkonstruktionen fast bis zur Unkenntlichkeit überflutet, die Autorin stellt aber auch das klassische Arabisch als Sprache der Männer in Frage.

Assia Djebar war während des Unabhängigkeitskrieges für ihr Land engagiert. 1958 wurde sie von der Eliteschule Sèvres ausgeschlossen, ihr jüngerer Bruder saß im Gefängnis, ihr Mann wurde von der französischen Polizei gesucht. Sie versuchte mit ihm auf Schleichwegen in die Heimat zu gelangen, konnte aber erst 1962, am Vorabend der Unabhängigkeit, nach Algerien zurückkehren. Von der Nachkriegspolitik ihres Landes aller Illusionen beraubt, setzt Djebar sich für eine persönliche Freiheit ein, die Frauen wie Männer von der Fessel der Tradition befreien soll, sofern diese ihr geistiges wie körperliches Wohl beeinträchtigt. Die Geschichte von Nadia und Jedla hat noch nicht den unverwechselbaren Stil der späteren Romane, erinnert aber mit ihren einfachen, klaren, bilderreichen Sätzen an große Erzähler, etwa den Hemingway der "Fiesta" und ist, besonders wenn man auch die späteren Romane kennt, hochinteressanter und spannender Lesestoff.

Durst Roman von Assia Djebar Unionsverlag, Zürich 2001, 156 Seiten, geb., öS 204,-/e 14,85

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