6720056-1965_08_11.jpg
Digital In Arbeit

Dokumente einer Freundschaft

19451960198020002020

HUGO VON HOFMANNSTHAL — ARTHUR SCHNITZLER. Briefwechsel. Herausgegeben von Therese Nicki und Heinrich Schnitzler. S.-Flscher-Verlag. 411 Seiten. Preis 29 DM.

19451960198020002020

HUGO VON HOFMANNSTHAL — ARTHUR SCHNITZLER. Briefwechsel. Herausgegeben von Therese Nicki und Heinrich Schnitzler. S.-Flscher-Verlag. 411 Seiten. Preis 29 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Im März 1891 notierte Arthur Schnitzler in seinem Tagebuch: „Bedeutendes Talent, ein 17jähriger Junge, Loris (von Hofmannsthal)! Wissen, Klarheit und, wie es scheint, auch echte Künstlerschaft. Es ist unerhört in dem Alter.“ Wenige Monate vorher hatte Schnitzler den 12 Jahre jüngeren im Cafe Grien-steidl kennengelernt, und noch im gleichen Jahr empfängt er eine Liste von Änderungsvorschlägen zu seinem Einakter „Anatols Größenwahn“, die er fast durchweg bei der Drucklegung berücksichtigt. Die Beziehung zwischen den beiden war — auch durch den großen Altersunterschied bedingt — zunächst rein literarischer Natur. Doch schon im Jahr darauf finden wir als Anrede in den Briefen, meist kürzeren Billetts, „lieber Arthur“ und „lieber Hugo“, die in späteren Jahren „mein lieber A.“ oder „lieber H.“ lautete. Bis zuletzt haben sich Schnitzler und Hofmannsthal nicht geduzt. Bei aller Herzlichkeit, bei allem Wohlwollen, das einer für den anderen hegte, trotz menschlichster Teilnahme, die sich die Freunde in schweren Augenblicken ihres Lebens entgegenbringen, liegt ein Hauch von Kühle über ihrer Beziehung. Bei Hof mannsthal ist es das ihn leitende Formgefühl, welches alles Formale, ja Formelle respektiert zu sehen wünscht, und das ihn vor Sentimentalitäten und geistiger Unordnung bewahrte. Bei Schnitzler, dem Arzt, Enkel, Sohn, Bruder und Schwager von Ärzten, mag es die angeborene Skepsis gewesen sein, die ihn der menschlichen Natur stets ein wenig mißtrauen hieß und in der Distanz ein Schutzmittel sowohl für sich als auch für den andern erblickte.

Und doch war diese Beziehung eine so stetige und kaum je getrübte

— für beide wichtig und fördernd —, daß sie als echte Freundschaft bezeichnet werden kann. Und wenn sich die Freunde in späteren Jahren, von ihrer Arbeit und den Verpflichtungen, die der Ruhm mit sich bringt, mehr in Anspruch genommen, ja überbeansprucht, nicht mehr so häufig und so ausgiebig sehen wie früher, und wenn Hofmannsthal

— oft nur in einem Satz — wiederholt darüber Klage führt, so kann ihm der Freund darauf antworten, „daß ein Auseinanderlaufen äußerer Lebenslinien für das Wesentliche unserer Beziehungen auf längere Zeit hin ohne Bedeutung, wenn auch oft mit einiger Wehmut zu empfinden bleibt. Im ganzen aber glaub ich ...menschlichen Beziehungen sowie an die der Menschen: was aus uns und aus andern wird, hat Ahnung längst vorausempfunden, und jeder Wolkendunst unserer Jugend, der sich harmlos zu verziehen schien, kommt irgendeinmal als Gewitter wieder.“ Ein Satz, eine Einsicht, die sich nicht nur an den beiden Dichtern bewahrheitete, sondern über die ganz allgemein zu meditieren lohnt. Und solche Stellen gibt es viele in diesem Briefwechsel, der mehr ist als nur ein literarisches Dokument. Im Jahr 1907 etwa, als beide Freunde bereits verheiratet sind und Kinder haben, schreibt Hof mannsthal: „Sehr einsam ist man in solchen Momenten, wie tief in einem Bergwerk, nur im Finstern irgendwo neben sich, aber weit, glaubt man, einen andern hämmern zu hören.“ Es ist die Einsamkeit des schöpferischen Menschen, und es ist die Vorahnung des tragischen Endes: Beide sind an gebrochenem Herzen gestorben: am 26. Juli 1928 hat Schnitzler in Venedig seine 19jährige Tochter, ein Jahr später Hofmannsthal seinen 26 jährigen Sohn verloren. Am 31. Juli 1928 schrieb Hofmannsthal an den Freund: „In solchen Stunden steht alles als ein Ganzes da, das geht über unsere Kräfte — und alles drängt letztlich in eine Ahnung hinein: Ich nenne sie Gott — Sie vielleicht nennen sie anders...“ Schnitzler hat diesen Schicksalsschlag drei Jahre, Hofmannsthal nur drei Tage überlebt.

Man könnte aus diesen Briefen (die durch das Erinnerungsbuch „Spiegelbild der Freundschaft“ von Olga Schnitzler, der Gattin des Dichters, ergänzt werden) ein ganzes Schema von Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten der beiden Dichterfreunde aufstellen. Etwa, was ihr Verhältnis zur Wirklichkeit, zum Leben anbetrifft. Dieses ist bei Hofmannsthal antizipierend, mit präexistentem Wissen beladen, bei Schnitzler, dem Arzt und Psychologen, von empirischer Art, im ständigen Kampf zwischen Instinkt und Erkenntnis; man könnte sagen, daß Hofmannsthals Gestalten wie aus einem Bildteppich heraustreten und er zuweilen „de la poesie sur la poesie“ macht, während Schnitzler die seinen aus dem Getriebe des Alltags herausholt. Gegen dieses realistische, aktuelle Element, etwa in „Professor Bernhardi“ oder in „Der Weg ins Freie“, meldet Hofmannsthal wiederholt Bedenken an: „Das sind Dinge, an die man nicht rühren soll.“ Worauf Schnitzler antwortet: „Die Welt ist überhaupt nur dadurch weitergegangen, daß immer wieder jemand die Courage gehabt hat, an diese Dinge zu rühren.“

Die Vielfalt der in diesen Briefen behandelten Kunstfragen und Lebensprobleme kann in diesem Rahmen nur angedeutet werden. Ebenso groß ist die Ergiebigkeit dieser Korrespondenz für die Erhellung des dichterischen Werkes von Hofmannsthal und Schnitzler. Vom ersteren sind 419 Briefe erhalten, vom letzteren nur 76. Die Herausgeber, Frau Therese Nicki und Doktor Heinrich Schnitzler, haben Vorbildliches geleistet, indem sie in den Anmerkungen (75 Seiten!) nicht nur die Lücken geschlossen, sondern ausführliche Kommentare über Werke, Menschen und Vorkommnisse gegeben haben, die in den Briefen erwähnt werden. Zur Rekonstruktion der Welt von gestern, speziell der Zeit der Jahrhundertwende, leistet dieses Buch einen wichtigen Beitrag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung