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Don Giovanni und Donna Elvira

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„Dieses Stück steht ganz isoliert“, schrieb Goethe an Schiller über den „Don Giovanni“ — damit ist Wesen und Wert der Oper erfaßt und gekennzeichnet. Mozart hat aus einem Stoff, der allgemein bekannt und vor ihm schon von anderen als Drama und Oper behandelt worden war, ein Meisterwerk gestaltet, das uns den Ausblick auf die tiefsten Probleme, ermöglicht, unsern Geist bis an die Grenze des Ueber-menschlichen und Außerirdischen führt und zugleich durch die geniale Erfassung der Eigenart jeder handelnden Person uns zu einer wirklichen, richtigen Erkenntnis der Menschennatur bringen kann. ,

In Mozarts Opern gibt es keine Nebenpersonen, alle an der Handlung Beteiligten sind mit gleicher Gründlichkeit behandelt; wer sich

bemüht, die Bedeutung der einzelnen im „Don Giovanni“ Auftretenden zu verstehen — von dem feigen, vorlauten, eigennützigen Leporello bis zum Commendatore, der, im Leben das Urbild vornehmer Männlichkeit, im Tod das Werkzeug himmlischer Mächte wird —, der wird bewundern, mit welcher Meisterschaft der Komponist die Träger des Geschehens zu Per-sönlichkeiten gemacht hat — wie ein Bildhauer, der aus dem Marmor Figuren von lebendiger Ausdruckskraft meißelt.

E. Th. A. Hoff mann hat in seiner Novelle „Don Juan“ den Gedanken angedeutet, daß Donna Anna den Verführer liebt und daß Juan, der nie Befriedigte, in diesem einen Fall wirklich liebt, daß aber das Schicksal die Vereinigung der füreinander Bestimmten verhindert; seither ist diese Auffassung von vielen andern übernommen worden. So bestechend das sein mag, diese Lösung liegt zu sehr an der Oberfläche — Sinn und Wahrheit des Geschehens müssen in der Tiefe ergründet werden. Donna Anna ist ein Mädchen ohne Kenntnis der Welt, wohlerzogen und pflichtbewußt; sie sieht in Giovanni den Mörder ihres Vaters, dessen Tod sie zusammen mit dem ebenso wohlerzogenen Bräutigam rächen muß. Dagegen wird dem tiefer Blickenden klar, daß Donna Elvira weit mehr und etwas ganz anderes ist als eine rachsüchtige Verfolgerin — sie ist nicht die in den früheren Dramatisierungen des Don-Juan-Stoffes vorhandene „sposa abbandonata“, die verlassene Braut oder gar Gattin, sondern die einstige Geliebte, vielleicht einzig wirklich Geliebte des Unglücklichen, ewig nach der rettenden Erlöserin Suchenden, den die bisherige stete Enttäuschung zum Spötter und Weltverächter gemacht hat und der, ein Verhöhner seines eigenen Gefühls, auch die eine betrog und verschmähte, der er vertrauen sollte. Die verlassene Elvira verfolgt zwar den Ungetreuen, doch sie ist nicht rachsüchtig — sie kann die ihr zugefügte Kränkung nicht vergessen, aber sie wünscht keine Vergeltung; ihre Neigung zu

dem Treulosen ist nicht geschwunden, ja sie versteht vielleicht am besten, daß er ein Opfer seiner Leidenschaft ist und seine Verbrechen nicht aus böser Absicht begeht, und sie als einzige weiß, daß er auch gute Eigenschaften hat, die nur nicht zur Geltung kommen können. Denn Giovanni ist keine Verbrechernatur, sondern, abgesehen von seiner zur fixen Idee gewordenen Gier nach Liebe, ein Edelmann von ritterlichem Wesen, und er bleibt, trotz seiner Vergehen, ein Kavalier bis zum Schluß, stolz und unnachgiebig bis in den Tod. So wird begreiflich, daß, wie Giovanni sich zum Schabernack gegen die einst Geliebte erniedrigt, Elvira ihrerseits nicht durch Leporellos Register empört wird, weil sie darin nur die Bestätigung ihrer Ueberzeugung von des geliebten Mannes Unwiderstehlichkeit sieht; daß sie Zerlina warnt, nicht um diese zu schützen, sondern um Giovannis neuen Frevel zu verhüten, daß sie zuletzt vor ihm kniet und ihn flehentlich beschwört, durch Umkehr und Besserung den Sturz ins Verderben zu vermeiden! Nicht nach Rache hat sie gedürstet, nein, die Möglichkeit der Wiedervereinigung gewünscht und ersehnt. Und als sie einsieht, daß Giovanni für sie unerreichbar bleibt, grollt sie nicht, sondern bittet für ihn, der noch jetzt geliebte Mann soll am Leben bleiben! Sie schließt sich der Tochter, die ihre Pflicht gegen den ermordeten Vater erfüllt, und deren korrektem Bräutigam an, aber nicht, um zu rächen, sondern um den, der zwar Strafe verdient, vor dem Untergang zu bewahren!

Eindringlicher, als die Worte vermögen, drückt die Musik Elvirens Absicht und Gefühl aus. Die früheren Bearbeiter des Stoffes, unter ihnen Goldoni, haben sie nicht über eine Nebenfigur erhoben; nur Moliere hat Da-pontes — und Mozarts — Auffassung vorausgeahnt. Erst Mozart aber erschuf aus der Gekränkten die Verzeihende, die nicht ein Rachegeist sein will, sondern ein Schutzengel. Das läßt sich musikalisch durch die ganze Oper erkennen. Schon der Gegensatz zwischen den Worten — „un barbaro, un empio, un tradi-tore“ — und dem Orchester, das ihr Inneres, gekränkte Liebe, die nicht zu Haß geworden ist, enthüllt — dieser Gegensatz führt uns zum Verständnis. Elvirens ganzes Verhalten läßt das Richtige ahnen; die Arie Nr. 8 enthüllt in der an Zerlina gerichteten Warnung die Aufregung der Verlassenen, die zugleich Bangnis vor neuem Unheil ist; und so bleibt es bis zum Schluß: zum leidenschaftlichen Vorwurf seiner Verfehlungen, der verzweifelten Bitte um Reue und Besserung — und dem Entsetzensschrei beim Anblick des erscheinenden Gespensts, das ihr die Gewißheit von Giovannis bevorstehender Vernichtung gibt. Aber geradezu eine Entschleierung von Elvirens Innenleben ist die Arie Nr. 24, Es-dur — sie ist erst nachträglich für die Wiener Aufführung geschaffen worden, und in ihr kommt Mozarts Anschauung deutlich zur Geltung: in feierlichem Geständnis verkündet Elvira mit glänzender Pracht des musikalischen Ausdrucks und hinreißendem Schwung die unvergehbare Gewalt ihrer Empfindung, und jetzt stimmen auch die Worte mit der Sprache der Töne überein: „Ma tradita e abbandonata provo ancor per lui pieta ..(„Doch verraten und verlassen, fühl' ich Mitleid noch für ihn!“)

Mozart hat mehrere Gestalten erschaffen, in denen er edle weibliche Naturen verkörperte: die Gräfin Almaviva, die lieber sterben, als den Verlust des Gatten ertragen würde; Pamina, das holde Mädchen, das allerorten an der Seite des Geliebten sein wird; zu ihnen gesellt sich Donna Elvira, die in ihrem Kummer selbstlos und vornehm bleibt: Der schönste Beweis für Wolfgang Amades bewundernswertes Feingefühl und tiefes Verständnis für die Seele des Weibes.

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