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Doppelleben

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Für die Erkenntnis der Zeit und ihrer Kunst sind die Aufzeichnungen Gottfried Benns, deren erster Teil aus dem Jahre 1934, der zweite aus dem Jahre 1950 stammt, von ungewöhnlicher Bedeutung. Die ganze Problematik des Künstlerlebens zwischen Geist und Geschichte wird mit einer seltenen Wahrhaftigkeit, mit wissenschaftlicher Genauigkeit ausgesprochen. Indem Gottfried Benn die Vorwürfe beantwortet, die ihm wegen seiner Haltung im Jahre 1933 gemacht wurden, stellt er das Gesetz seiner Kunst dar; Uberzeugungen werden' mit rücksichtsloser Folgerichtigkeit formuliert, die überpersönliche Geltung haben und bisher wenig verstandene, oberflächlich beurteilte Vorgänge des geistigen Lebens der Umschwungsiahre erhellen In einer Art Prosagedicht hat Benn im zweiten Teil der Selbst-darstellunq die Ereinnissn zusnmmenacfünt, mit denen sich die Zeitungen in seinem Geburtsjahr 1886 beschäftioten: eine Fülle einander widersprechender Tendenzen — „Einzelheiten, nicht, Totalisation“ —, die alle in die von der Schlußzeile bezeichnete Richtung weisen: „Kapitalverdnnpelung bei Schneider-Creuzot. Krupp-Stahl, Putilow“. Dieses Ausgangsjahr, die Jugend auf dem Lande in der Neumark, dem Dorfe Sellin, wo der Vater Pfarrer war, Brandenburg als Heimat, wissenschaftlich-militärische Ausbildung, das Bekenntnis zu Hegel, Kant, Niptzsche, zum Intellektualismus, der keinen anderen Ausweg aus der Welt findet, „als sie in Begriffe zu bringen, sie und sich in Begriffen zu reinigen“, führen zur großen Erschütterung und Überraschung: der Erfahrung der Macht im Jahre 1933.

Vielleicht kommt einmal die Zeit, da Benn nicht nur Auszüge, sondern die vollständigen Texte — etwa seines Briefwechsels mit Klaus Mann — vorlegen kann. Erst dann wäre ein Urteil zu verantworten. Aber für Benn handelt es sich vor allem um das Dilemma der Geschichte, darum, daß die Methode, die zu Resultaten führt, 'nicht „demokratisch“ verfährt. „Sie verfährt mit Gewalt.“ „Jede Ordnung ist Gewalt, also das Nicht-Sanfte und Nicht-Kontemplative ist vorhanden und geht seinen Weg, und von da ist nur ein Schritt zu der Frage, könnte sich der Geist überhaupt erhalten, formen, seine Bahnen ziehen ohne diesen Kontrapunkt?“ Aber eben als Denker hat Bann die Erfahrung gemacht, daß man .den Dingen mit Gedanken nicht mehr nahekommt“, eben „den Dingen der Macht und des Geistes“, der Ordnung und des Chaos, des Staates und der Freiheit. .Denn: jeder Gedanke ruft sofort seinen Gegengedanken hervor.“

Das Geschichtliche wird nicht geleugnet; Beim hat ja den „Schicksalsrausch“ (ein Wort Thomas Manns, das er dem Sohne zurückgibt) erfahren, den- das mit Gewalt sich durchsetzende Geschichtliche erzeugt, und doch bekennt er als Künstler seinen „persönlichen Unglauben an eine Bedeutung der geschichtlichen Weif.

Leben und Geist erscheinen als „zwei völlig verschiedene Dinge“; das Dasein wird zum Doppelleben: dieses ist „ein bewußtes Aufspalten der Persönlichkeit, ein systematisches, tendenziöses“, dessen „experimenteller Typ“ Benn sein möchte, nicht mehr. Es bleibt somit nicht beim Doppelleben, da sich das Bewußtsein in immer neue Inhalte zerteilt. Zur Erklärung seines Romans „Phänotyp“ (aus dem Jahre 1949) schreibt Benn: dieser sei „orangen-förmig gebaut“. „Eine Orange besteht aus zahlreichen Sektoren, den einzelnen Fruchtteilen, den Schnitten, alle gleich, alle nebeneinander, gleichwertig, die eine Schnitte enthält vielleicht einige Kerne mehr, die andere weniger, aber sie alle tendieren nicht in die Weite, in den Raum, sie tendieren in die Mitte, nach der weißen zähen Wurzel, die wir beim Auseinandernehmen aus der Frucht entfernen. Diese zähe Wurzel ist der Phänotyp, der Existentielle, nichts wie er, nur er, einen weiteren Zusammenhang der Teile gibt es nicht.“

Damit ist das Bild dieses Daseins und Gestaltens gefunden, ein die Geisteshaltung, die künstlerische Arbeit unserer Zeit weithin darstellendes Bild. Die Gefahren sind offenbar und werden unverhüllt bekannt. Die Hauptmaxime des Romanhelden sei: „Erkenne die Lage — das heißt passe dich der Situation an, tarne dich, nur keine Uberzeugungen“ ... „andererseits aber mache ruhig mit in Uberzeugungen, Weltanschauungen, Synthesen, nach allen Richtungen der Windrose, wenn es Institute und Kontore so erfordern“. Denn um all das geht es nicht: das Reale konzentriert sich im Kopf. „Die Formen darauf allein kommt es an, das ist seine Moral.“ Einer solchen Existenz gegenüber ist die Frage nach dem Glauben eigentlich sinnlos: sie hat sich, wie die moderne Philosophie, an einen Ort begeben, wo die Frage gar nicht aufgeworfen werden kann. Glaube würde ja die Person voraussetzen; und eben sie ist aufgehoben. .Ich finde Gebet und Demut arrogant und anspruchsvoll, es setzt ja voraus, daß ich überhaupt etwas bin, aber gerade das bezweifle ich, es geht nur etwas durch mich hinduch.“

So trägt die Erscheinung ihre Kritik in sich selbst, sie ist vielleicht nicht absolut neu; in gewisser Weise spaltet sich auch der Dramatiker in seine Personen auf: freilich muß von den überragenden Künstlern vergangener Zeit gesagt werden, daß die Sektoren ihres Bewußtseins offenbar verbunden warer.: daß das

Gewissen den Zusammenhang der Teile trug.

Zur Charakteristik des Menschenbildes, das David Hume ( 1776) aufgestellt hat, schrieb Hans Pfeil („Der Mensch im Denken der Zeit“, 1938): .Der Mensch ist keine Substanz, die Bewußtseinserlebnisse hat, sondern nur die bloße Summe der einzelnen und jeweils vorhandenen Bewußtseinsvorkommnisse ohne eine realsubstantielle Grundlage“ ... .er ist ein assoziativ verknüpftes und beständig sich veränderndes Bündel von Bewußtseinsvorkommnissen.“

Das Neue läge also dann im gewollt Systematischen, im Entschluß, experimenteller Typ zu sein. Aber mindestens bis zu der Feststellung, daß .wir alle etwas anderes leben, als wir sind“, hat Benn recht. Auf dem Grunde solchen Daseins, das allein dem Gebilde verpflichtet ist, gelingt Benn eine In ihrer Sicherheit und Knappheit nicht zu übertreffende Schilderung des Jahres 1944, des Kasernendaseins, das nur „ein Riß ist in Schweigen und Schwarz“ und während dessen er den genannten Roman und seine „Statischen Gedichte“ schrieb. Uber dieses aufgespaltene Leben rauscht die trunkene Flut der Dinge, die zum Gebild verdichtet werden sollen. Diese Aufgabe besteht und wird bejaht: „die Stunde dieser geistigen Welt, solange sie dauert, weiter mit unseren menschlichen Bildern zu erfüllen, so trauerüberladen, so untergangssicher, so monologisch oder hybrid sie sind“.

Oft ist die Meinung ausgesprochen worden, daß die moderne deutsche Lyrik über Rilke nicht mehr hinausgelangt sei; diese Meinung kann gegenüber Benn nicht aufrechterhalten werden. Er steht unter dem Gesetz eines ganz eigenen männlichen und betörenden Klanges; das Unfaßbare, durch die Seele Rinnende, ist sichtbar, faßbar und bleibt doch fn der Sphäre des Verschwebens, des Rätselhaften; selbst das Abstoßende, Untragbare zieht dieser Dichter auf eine Weise in den Gesang, die vielleicht nicht einmal französischen Meistern des vorigen Jahrhunderts zu Gebote stand. Wir können die Teile nicht verbinden, die nicht verbunden sein sollen; wir sollen sie auch nicht gegeneinander ausspielen, aneinander messen; die Worte . nur nicht fragen, nur nicht verstehn gelten für die ganze Erscheinung, die Kunst wie den Menschen, der es als seine Bestimmung annimmt, sich alles geben zu müssen, alles sich selbst, das heißt die Bilder, die er der trunkenen Flut abgewann.

Gabst dir alles alleine, gib dir das letzte Glück, nimm die Olivenhaine dir die Säulen zurück, ach, schon lösen sich Glieder, und in dem letztes Gesicht steigen Boten hernieder, ganz in Rosen und Licht.

Ein Kreis der hier gesammelten Gedichte löst sich von der Not und Problematik des Lebens wie der Zeit; es ist ein Klang, der bisher nicht war, der auch nicht wieder aufgenommen werden kann, die heillose Flucht, der „Vergang“, der Untergang, begegnen dem Leuchtendrealen, der Form, die noch im Sturz vollendet wird. Es ist eine Vollendung, d:e sich nicht mehr angreifen läßt.

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