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Dornröschenschlaf in der Isolation

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Schon die umständliche Ausreise zeigt, daß der Chocö in einer anderen Welt liegt. Von Bogota nach Medel-lin, dem dynamischen Industriezentrum des Landes, jettet man in 30 Minuten. Hier aber wartete eine uralte DC-3-Maschine auf die wenigen Passagiere.

Nach 50 Minuten Flugzeit landet die Maschine. Das Flugzeug setzt auf einer Sandpiste auf, die an einen verlotterten Friedhof stößt: das sind die ersten Eindrücke von Quibdö, der Hauptstadt der Provinz. 40.000 Einwohner, 98 Prozent schwarzhäutig.

Entlang des Atratoflusses drängen sich die Holzhütten auf drei bis fünf Meter hohen Piloten. Das Fußufer ist der Marktplatz, wo sich die langgestreckten Einbäume der Negerhändler und Indianer drängen, die Bananen und Yuca anbieten. Die Frauen gehen barfuß, in abgetragenen Kleidern. Grob verarbeiteter Goldschmuck, den schon die achtjährigen Mädchen an Ohren, Hals und Handgelenken tragen, springt daher um so deutlicher ins Auge. Die goldschweren Frauen von Quibdö sind nur ein Anzeichen für den Reichtum der vergessenen Provinz. Neben Gold gibt es bedeutende Platinlager, Kupfer, Aluminium. Nord-amerikanische Firmen suchten nach Erdöl. Die Bohrlöcher waren fündig, doch sie wurden mit Zementplomben wieder verschlossen: im Chocö gibt es keine Straßen, die Reichtümer bleiben ungehoben. Die ölflrmen warten auf die Zeit der Erschließung der Provinz. Dieser Äugenblick ist nun mit dem Chocö-Projekt in greifbare Nähe gerückt.

Zwei Ströme, der Atrato nordwärts und der San Juan nach Süden, entwässern die regenreiche Provinz. Die Quellwasser der beiden Flüsse entspringen nur wenige Meter voneinander. Die präkolumbianischen Indianer hatten diese vorteilhafte geographische Lage für einen blühenden Kanuverkehr zwischen Pazifik und Atlantik benützt. Die Spanier zogen gelegentlich kleine Schiffe auf Holzrollen über die sanfte Hügelkette, welche die beiden Flußtäler trennt, um Lasten schnell von der Karibe zum Pazifik zu befördern.

Verbindung der Ozeane

Der San Juan und der Atrato bilden auch den Angelpunkt des Projekts, das im Auftrag der kolumbianischen Regierung vom Hudson-Institut, einer privaten nordamerikanischen Institution, die besonders an Entwicklungsfragen interessiert ist, in Zusammenarbeit mit französischen Hydraulikexperten ausgedacht wurde. Die Ingenieure wollen die beiden Ströme aufstauen, um genügend Elektrizität für das benachbarte Cauca-Tal, in dem sich die Industrie Kolumbiens konzentriert, zu gewinnen. Die Kapazität der beiden Flüsse liegt bei 3,3 Millionen Kilowatt, weit mehr als die gesamte augenblickliche Produktion des Landes. Und nun kommt der Einfall: Verbindet man die beiden riesigen Stauseen mit einem 48 Kilometer langen Kanal, reguliert man die Abflüsse und baut man Schleusen in die Staudämme ein, erhält man eine neue interozeanische Verbindung für Schiffe bis zu 20.000 Tonnen.

Der Chocö-Kanal schenkt der vergessenen Provinz die Zauberformel für ihre Entwicklung. Der Wasserweg löst schlagartig die schwierigen Verkehrsverhältnisse in dem morastigen Dschungelschwemmland, das keine Straßen kennt. Für die Reichtümer der Region und für alle Exportprodukte des Landes öffnen sich unglaublich billige Transportwege, und die 160.000 Einwohner der Provinz gewinnen die erste Chance einer gesellschaftlichen Integration. Die geographische Lage macht die technischen Arbeiten einfach. Mit einer knappen Milliarde Dollar soll das Auslangen gefunden werden. Fast aHer Boden gehört INCORA, der kolumbianischen Landreformbehörde, so daß sich kostspielige Ablösen erübrigen. Dieser Wasserweg soll dem Panamakanai und allen weiteren geplanten interozeanischen Verbindungen keine Konkurrenz schaffen. Denn der Weg ist lang — 420 Kilometer — und bleibt größeren Dampfern verschlossen. Doch Kolumbien öffnet damit seinen Binnenverkehr, erhält genügend Elektrizität für die kommenden Jahrzehnte und integriert eine Provinz in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Nation. Und selbst das vergessene Teilstück der Panameri-cana, der Traumstraße der Welt, erhält mit dem Chocö-Projekt neuen Auftrieb, da die Trasse diese Region durchqueren wird.

Die Chocöaner müssen sich im Augenblick freilich mit der Zukunftsvision zufriedengeben, da Kolumbien erst Geldgeber finden muß.

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