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Dostojewskij im Spiegel seiner religiösen Lebensauffassung

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„Gott hat mich mein ganzes Leben lang gequält.“ „Die Dämonen“

Die Seele eines Volkes lebt in seinen großen unsterblichen Helden, Der Held des Russen ist der Heilige. In langen Jahrhunderten verlassen immer wieder russische Bauern ihre Höfe und dienen Gott als Pilger. Von Zar Alexander I; wird erzählt, daß auch er den Pilgerstab ergriff und naeh Sibirien wanderte. Tolstoi verläßt seine Familie und geht in die Einsamkeit. Einer der Größten unter den Märtyrern und Heiligen seines Landes schloß nach einem leidvollen Leben am 10. Februar 1881 die Augen: Fedor Michailowitsch Dostojewski).

Schon bei seiner Geburt im Armenhaus erklingt der Grundakkord der erschütternden Tragödie seines Lebens: Armut, Entbehrung, Krankheit, Leid und Schmerz blieben seine engsten Nachbarn. Keine zärtlich-bunten Bilder erhellen seine Kindheit, die dunklen Wolken seiner späteren Katastrophen werfen ihre unheilvollen Schatten voraus. Fieberhafte Lesegier erfüllt die Tage und Nächte des frühreifen Jünglings und in phantastischen Halluzinationen, zwischen Traum und Wirklichkeit, beginnt er seinen dornenreichen Lebensweg. Über dessen Pforte hat er sich selbst das Epigramm geschrieben: „Nur durch Qual können wir das Leben lieben lernen!“ Die Feindseligkeit seines Schicksals wirft diesen Gejagten immer wieder aus leidenschaftlicher Ekstase in den Abgrund peinigender Verzweiflung und wie auf dem Amboß einer feurigen Schmiede muß sein Herz alle Stufen und Martern irdischer Qual durchstehen. „AlttestamentariscH, heroisch und in nichts neuzeitlich und bürgerlich ist Dosto-jewskijs Schicksal. Ewig muß er mit dem Engel ringen' wie Jakob, ewig sich gegen Gott empören und ewig sich beugen wie Hiob . .. immer muß er Jen Gott spüren, der ihn straft, weil er ihn liebt“, sagte einmal Stefan Zweig von ihm. Nur für knappe Augenblicke erhellt sich sein düsteres Schicksal und täuscht ihm in wenigen Sekunden Glück und Ruhm vor. So in jener Nacht, in der die Welt in ihm den Dichter entdeckt, als der in seiner Armut gereifte Roman „Arme Leute“ den Ruhm des' Vicrundzwanzigjährigen begründet. Das Leben aber soll ihm nicht leicht werden, in sinnvoller Grausamkeit schickt ihm Gott Prüfung und Bewährung. Er schließt sich einem literarischen Zirkel an, der im Rufe revolutionärer Umtriebe steht; durch ein Mißverständnis wird Dosto-jewskij wegen Beteiligung an der „Petra-schewskyschen Verschwörung“ verhaftet. Nach vier Monaten Haft hört er im Hof der Sankt-Pauls-Festung mit verbundenen Augen sein Todesurteil, da kommt im letzten Augenblick die rettende Begnadigung. Unter Mördern und Verbrechern verbringt er vier lahre in der gefürchteter Katorga Sibiriens. Hier im „Totenhaus“ vollzieht sich in seinem Inneren eine ungeheure Wandlung, die sein schriftstellerisches Schaffen radikal beeinflußt. Als ein Vergessener heimgekehrt, werden seine „Erinnerungen aus dem Totenhause“ zu einer fürchterlichen Anklage, die er der Gesellschaft ins Antlitz schreit. Ganz Rußland horcht auf, der Zar selbst vergießt Tränen bei der Lektüre dieses Werkes. Abermals ist über Nacht sein Ruhm wiederhergestellt. Noch aber ist das ihm zugemessene Maß an Leiden nicht voll, das Schicksal raubt ihm Frau und Kind, den Bruder und den einzigen Freund. Eine gewaltige Schuldenlast türmt sich auf. seinen Schultern, der er sich nur mehr durch Flucht ins Ausland zu entziehen weiß. Gehetzt und verzehrt von unstillbarer Sehnsucht nach der Heimat, irrt er durch Europa, lebt nahe den Großen; doch keiner kennt ihn, hört den Schrei seiner Not oder ahnt, daß in unmittelbarer Nachbarschaft die unvergänglichen Werke der Weltliteratur:,

„Der Spieler“, „Schuld und Sühne“, „Der Idiot“, „Die Dämonen“, in fieberhafter Arbeit heranreifen. Endlich mit zweiundfünfzig Jahren darf er ins Vaterland heimkehren, sein Werk ebnete ihm. den Weg und erst am Rande des Todes steigt in einem glühenden Augenblick der Triumph seines Lebens kometenhaft empor: Die Festrede zur Puschkin-Zentenarfeier erhebt ihn zum Propheten seines Landes.

Am Sarge Dostojewskijs trauert Rußland, aus allen Teilen der Welt eilen Menschen herbei, um seiner sterblichen Hülle letzte

Ehre zu erweisen. Der damalige deutsche Botschaiter in Petersburg empfand das Begräbnis des Dichters als eine gewaltige unbewußte Demoostration. Sein dichterisches Werk aber findet seine unsterbliche Heimat in den Herzen der Menschen. In dem geheimnisvollen Labyrinth seiner unendlichen Tiefe spiegelt es die Tragödie seines Lebens. Alle die unzähligen Gestalten, denen er in seinen Romanen den Lebenshauch einatmet, tragen jenen dämonischen Stachel in der Brust, der auch, in seiner Seele brannte. Immer wieder blendet in jenen urgründigen, dem Leser unvergeßlichen, meisterhaften Verdichtungen des Dramas zur Katastrophe, für kurze Momente die Krise seiner eigenen Existenz auf. Seine Menschen zeigen keine Spur harmonischer Heiterkeit; der Dichter entblößt die chaotische Unterwelt ihres Gefühles und das somnambule Zwischenreich der Seele. Kein strahlender Himmel, keine Sonne leuchtet über seiner Dichtung, wie die Vision eines dämonischen Angsttraumes liegt sie im dumpfen Zwielicht künstlicher Beleuchtung. Wie aus dem tiefen Dunkel eines Gemäldes von Rembrandt glüht uns das, in unbarmherzig psychologischer Schärfe gezeichnete, Antlitz .seiner ringenden Menschen entgegen. Durch alle kulturellen Krusten hindurch blickt Dostojewskij und sucht den Menschen im Menschen, das ewig wahre Menschentum, welchem, im Gegensatz zu dem • in seinem Zwiespalt sich erlebenden modernen Menschen, der Allmensch der mittelalterlichen Weltanschauung noch nahe war. Auf verschiedenen ,WeSen suchen Dostojewskijs Gestalten zum wirklichen Menschentum durchzudringen und seine Geschöpfe streben nicht nach Vollendung, sondern nach Steigerung; in fanatischem Lebensdrang verschwenden sie sich und brechen wie Vulkane auf: Kiriloff, Raskolnikoff, Fürst Myschkin, die Karama-soffs, sie alle sind problematische Naturen, die Intensität suchen, auch im Schlechten. Sie sind der äußerste Gegenpol des goethesehen apollinischen Menschen. Dostojewskij liebt den Mittelmenschen nicht, er weiß um das tiefe Geheimnis, daß der in Qual Irrehandelnde dem wahren Menschen näher steht, als die Korrekten und Lauen. Wie an schwere Ketten sind seine Gestalten an tiefes' Leid gefesselt, das ihnen aber zum höchsten Erdenglück werden kann. Der Zyklus seines dichterischen Schaffens umspannt nicht den Kosmos der Welt, sondern die unendliche Landschaft des inneren Reiches der Seele. Alle seine „Helden“ gehen auf eine gemeinsame Wurzel zurück, sie nehmen ihren Ursprung in der Persönlichkeit ihres Dichters und werden zu Verrätern seiner geheimsten Gedanken. Sie sind die apokalyptische Verkündigung des erbarmungslosen Kampfes zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel, in seiner eigenen

Seele, hinter dem das erlösende Licht des {christlichen Mysteriums erstrahlt. Gott ist das ewige Problem in seinem Werk. Wie eine reifende Frucht tragen seine Menschen das Bleigewicht dieser Gewissensqual und urplötzlich bricht es mit Gewalt aus ihnen hervor: „Gibt es einen Gott oder nicht?“ Die Frage um Gott und die Unsterblichkeit ist die „wichtigste des Lebens“, bekennt er selbst einmal. Steht in seinen frühen Werken noch das soziale Problem im Vordergrund, so rückt nach den sibirischen Erlebnissen immer mehr das religiöse Moment in den Mittelpunkt seines Schaffens. Den Sozialismus bezeichnete er später als den Versuch, die Welt ohne Gott einzurichten.

Die Gestaltung zwiespältiger Naturen gelang diesem größten Seelenanalytiker am besten, denn sie waren ihm wesensverwandt, werden sie doch zur erschütternden Projektion seines eigenen heißen Ringens um den Glauben. Die elementare Liebe zum Leben ist für Dostojewskij die Basis der religiösen Sphäre. Die Übersteigerung der individuellen Freiheit führt aber notwendigerweise zum Zusammenbruch, zur geistigen Katastrophe. Nur Gottes Allmacht allein kann der Persönlichkeit die Unantastbarkeit sichern. In den gewaltigen Seelenerschütterungen können wir die transzendente Welt erahnen, durch diese Beziehung erhebt sich der Mensch in gesteigerter Weise über die irdische Welt. Auch in der Empörung gegen Gott, im Verstoß gegen das Wahre kann der Prozeß der“ inneren Wiedergeburt, das ewige „Stirb und werde“, hervorbrechen. Die Gewissensfreiheit bereitet dem Menschen tantalidische-Qualen: „Und wenn dir auch im Namen des himmlischen Brotes Tausende und Zehntausende folgen werden, was aber wird mit den Millionen und Zehntausendmillionen geschehen, die nicht die Kraft haben werden, um des himmlischen Brotes willen, das irdische Brot zu verachten?“ (,Der Großinquisitor“). Nur die Kirche allein hilft dem Menschen diesen Kampf bestehen und führt ihn zum Heil.“ Nicht durch Übermenschentum gelangt der Mensch an sein Ziel, nur religiöse Überzeugung und Demut können ihm Erfüllung schenken. In der Person des auferstandenen Christus findet Dostojewskijs Unsterblichkeitsgedanke den Angelpunkt. Ohne diesen zuversichtlichen Glauben an die göttliche Allmacht bestünde keine Moral und keine Liebe zum Mitmenschen.

Wie in der griechischen Tragödie die Katharsis, so steht am Ende jedes Seelendramas Dostojewskijs die Erlösung und Allversöhnung. Nur ein Mensdi wie Dostojewskij selbst, der „durch alle Fegefeuer der Zweifel gegangen“, der sich in gewaltigen Purgatorien von seinen Leidenschaften und Schmerzen befreite, steigt aus dem Dunkel des Martyriums zum strahlenden Künder des heiligen Lebens auf. Immer wieder er-, hebt Gott jene zu seinen Lobpreisenden, die um ihn am schwersten leiden und ringen. Er schenkt ihnen des Lebens höchste Weisheit: Ruhe in Gott! „Meine Freunde, fürchtet das Leben nicht“, ruft Dostojewskij als wahrer „poeta christianissimus“ seinen Brüdern zu. Keiner ist zu diesem Wort berufener als er, dessen Ziel es war, „für die ganze Menschheit zu leiden“, und der in allen Prüfungen bestanden und „die Krone des Lebens errungen“. Wie der mächtige mittelalterliche Ruf tönt uns aus seinem Werk das „dieu le veut“ entgegen und von alten irdischen Qualen befreit, braust der mächtig orgelnde Hymnus seines Leidens auf: „Ich liebe dich, Gott, denn groß ist das Leben.“

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