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Dr. Joseph Eberle

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Daß ihn unser Wien lebenslang nicht mehr freigeben, daß ihm Österreich zur zweiten, nicht minder geliebten Heimat und zum Schicksal werden sollte, das ahnte der junge Doktor der Philosophie Joseph Eberle wohl kaum, als er knapp vor dem ersten Weltkrieg aus seiner schwäbischen Heimat am Bodensee zu uns kam. Beseelt von dem Geiste seines katholischen Elternhauses, ausgestattet mit reichem Wissen und einer seltenen Belesenheit, stellte er sich hier der katholischen Publizistik zur Verfügung, da sich auch seine starke schriftstellerische Begabung bereits mehrfach überzeugend bekundet hatte. In rasdier Folge veröffentlichte die „Reichspost“, in deren Redaktionsverband er eintrat, die Reihe jener Aufsätze, die, zum großen Teil später in den Büchern „Großmacht Presse“, „Zertrümmert die Götzen!“ und „Uberwindung der Plutokratie“ gesammelt, ihre weit über den Tag hinaus reichende Bedeutung erwiesen, geistvolle Auseinandersetzungen mit wichtigen und umstrittenen Gegenwartsfragen, ausgezeichnet durch Betonung und Verteidigung der Glaubensgrundsätze und ungewöhnliche Überzeugungskraft. Ihre bisweilen kämpferisch geschärfte Sprache erinnerte manchen Leser geradezu an einen Josef v. Görres. Es blieb dem jungen Verfasser dieser Aufsätze nicht unbedankt, daß er, wo immer er österreichische Kulturgüter bedroht sah, seine Stimme mit schier leidenschaftlicher Entschlossenheit zu ihrem Schutze erhob. Bald war er einbezogen in den geistigen Kreis des Gralbundes, dessen Mittelpunkt Dr. R. v. Kralik bildete, immer inniger fühlte sich der Fremde in Wien beheimatet, und als vollends seiner Ehe mit einer Wienerin ein kindergesegnetes Familienglück von seltener Harmonie beschieden wurde, war seine Bindung an Wien und Österreich eine endgültige und vollkommene geworden.

Nach dem Weltkrieg mit der Leitung der Wochenschrift „Das neue Reich“ betraut, entfaltete er eine immer fruchtbarere publizistische Tätigkeit. In der etliche Jahre später erfolgten Gründung der Zeitschrift „Schönere Zukunft“ aber erblickte, er sein Lebenswerk, er gewann ihr angesehene Mitarbeiter in der ganzen katholischen Welt und einen so weitgespannten Leserkreis, wie ihn keine andere katholische Wochenschrift auf deutschem Sprachgebiet aufzuweisen vermochte. Diesem Aufstieg bereitete die Besetzung Österreichs ein jähes Ende. Nach harten Kämpfen mit dem Reichspropagandaministerium, das in dem Blatt ein letztes Refugium katholischer Meinungsbildung und Interessenvertretung erkannte, erfolgte endlich 1940 das Verbot der Zeitschrift. Damit aber nicht genug, wurde Dr. Eberle in eine qualvolle Untersuchungshaft gesetzt, der seine zu dieser Zeit schon angegriffene Gesundheit nicht mehr gewadisen war und deren Folge'n er nun erlegen ist. Er hatte Wien kurz vor dem Ende des Krieges verlassen und sollte es nach seiner Befreiung niemals mehr wiedersehen. Seine letzten, zumeist in der Einsamkeit eines stillen Ortes im Bregenzerwald verbrachten Lebensjahre waren indessen nicht müßig: ein großes Bibelwerk wurde vollendet und wartet auf seine Veröffentlichung.

Kompromissen, wie sie die Tagespolitik zuzeiten erfordern mag, war sein schwäbischer, früh weißhaarig gewordener Kopf unzugänglich. Unbeugsame Treue der Gesinnung aber war es, der er die Zertrümmerung seines Lebenswerkes, der er Haft und Todeskrankheit, Zerstörung seines Familienlebens und völlige Einsamkeit zu verdanken hatte. Sie war es auch, die ihn die Gefahr mißachten ließ, in den kritischesten Zeiten immer wieder trotz häufiger Hausdurchsuchungen politisch höchst mißliebige Freunde zu empfangen und zu beherbergen und selbst seine Verbindung mit einem Pater Muckermann S. J. nicht aufzugeben, solange sie ihm nur irgend möglich war. Hätte ihm der Tod dazu Zeit gelassen, so hätte er wohl auch die Erinnerungen seines Lebens niedergeschrieben, wie ihm dies ständig vorschwebte, und sie zu lesen wäre wahrlich nicht von alltäglichem Interesse. Man hätte aus solchen Aufzeichnungen erfahren, mit wie vielen großen Österreichern der letzten Jahrzehnte ihn enge Freundschaften verbanden — auch Hermann Bahr war darunter —, mit wie vielen bedeutenden Persönlichkeiten der ganzen Welt er brieflich in Gedankenaustausch stand. Am lebendigsten gefesselt aber hätte uns vermutlich die Schilderung seiner Kindheit. Hat er dodi gewissermaßen das erste Kapitel dazu einmal über Einladung eines Kalenders geschrieben, und die dankbare Liebe, mit der er darin seiner bäuerlichen Eltern und des guten Geistes gedenkt, der in seinem Vaterhaus daheim war, ist zutiefst ergreifend. In der Stunde, in der er dies schrieb, war der Publizist auch Dichter.

Einen gewandten Plauderer konnte man ihn kaum nennen, und wer ihn besuchte, durfte nicht hoffen, einen Gesellschaftsmenschen in dem gewohnten, oberflächlichen Sinne anzutreffen. Weit eher drückte sich in seinem Wesen und Gehaben etwas Altvaterisches und Bär-rüches, dabei überaus Gütiges und Gedr'dsimes, bisweilen auch Weltfremdes und beinahe Kindliches aus. Die Unterhaltung mit ihm kam, sorgte man nicht selber eifrig für ihren Fortgang, leicht ins Stecken, wie das häufig bei Menschen geschieht, die von großer Fülle der Gedanken bedrängt werden. Nur gewisse Themen gab es, die ihn sehr beredt machen konnten.

Und zu diesen gehörte auch Österreich, das er liebte und an das er glaubte mit der ganzen Kraft seines redlichen Herzens, das nun zum Stillstand kam für ewig.

Hans B r e c k a

Am 12. September starb im Salzburger Krankenhaus Dr. Joseph Eberle nach einer Operation, die ihn von einem schweren Leiden erlösen sollte. Die letzte Nummer der „Furch e“ war beim Eintreffen der Todesnachricht soeben fertiggestellt worden, es gelang gerade noch die schmerzliche Trauerbotschaft einzuschalten. Dem vorstehenden Gedenkwort eines seiner treue-sten Freunde seien hier einige ergänzende Angaben angeschlossen:

Als Sohn eines Guts- und Mühleribesitzers war Joseph Eberle am 2. August 1884 in der württembergischen Gemeinde Ailingen am Bodensee geboren worden. Aus innerer Wahl widmete er sich dem Studium, besuchte das Untergymnasium in Mergentheim und das Obergymnasium in Rottweil, bezog dann die Universität Freiburg und setzte die begonnenen philosophischen und theologischen Studien, ergänzt durch Arbeiten aus der Kunstgeschichte, Gesdiichte und Soziologie an den Universitäten Tübingen, Straßburg und Berlin fort, Schüler berühmter Lehrer, der Kirdhengeschiditler Funck und Ehrhard, des Dogmatikers Koch, der Philosophen Ludwig Baur und Baumker, der Historiker Heinrich Günther und Hans Delbrück, des Nationalökonomen Schmoller. Die Wahl seines Dissertationsthemas „Die Ideenlehre Bonaventuras“ zeigte bereits seine tiefschürfende Geistesrichtung an. In zweijähriger Zurückgezogenheit, die er, gezwungen durch ein Kehlkopf leiden, nach Vollendung seiner Studien in Dalmatien verbrachte, ergänzte er systematisch seine literarischen Kenntnisse. 1913 trat er in die Redaktion der „Reichspost“ ein, in der er alsbald als Leitartikler die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich zog. Ungewöhnliches Wissen, glänzende Stilbegabung, eindringliche Überzeugungkraft, die nicht selten zu hinreißender Begeisterung aufschwang, zeichneten seine Arbeitsweise aus. Deutlich war es, daß ihm ein Arbeitsfeld gebührte, das ihm eine noch größere persönliche Reichweite vermittelte, als es eine an die Vielfältigkeit des Tagesdienstes gebundene Tageszeitung bieten konnte. So war es ganze Erfüllung seines Berufes, daß 1918 Eberle die Herausgabe der Wochenschrift „Neues Reich“ übernahm, der er 1925 eine neue Wochenschrift mit einem noch breiteren Arbeitsgebiet, die „Schönere Zukunft“, folgen ließ. Das Blatt errang in kurzer Frist den Primat in der gesamten katholischen deutschen Publizistik und durchdrang weithin die gebildeten Schichten des gesamten deutschen Spradigebietes. Eine reiche Ideenbefruchtung ging von dem Blatte aus. Sie war gerichtet auf die Erneuerung der Gesellschaft und Kultur aus christlichem Geistesgut und einem heroischen Katholizismus, die Durchdringung der sozialen Ordnung im Sinne katholischer Soziallehre mit einer scharfen Wendung gegen den Kapitalismus, Stärkung der konservativen Kräfte gegen eine entartende Demokratie und den materialistischen Industrialismus, aber auch Revision der Geschichtsauffassung, nicht zuletzt Emanzipation der österreichischen Geschichtsschreibung von den Einflüssen der preußischen Historikerschule Treitschkes. Wo es die Stellungnahme zu öffentlichen und internationalen Problemen galt, war es immer ein tapferes Ringen um den Sieg der Wahrheit und Gerechtigkeit. Ein glänzender Mitarbeiterstab sammelte sich um Doktor Eberle. Ihm wurde Ruhm zuteil. Aber er ging öffentlichen Ehrungen aus dem Wege. Um die Unabhängigkeit zu wahren, vermied er sogar pcrsönlidien Verkehr mit Politikern, auch wenn sie Staatsmänner waren. Seine publizistische Arbeit ist ergänzt durch ein reiches Buchschaffen. Schon sein erstes Werk „Großmacht Presse“, die erste große Materialiensammlung von katholischer Seite, ging in die ganze Welt. Mit

Mühe balancierte er, dessen „Schönere Zukunft“ in Deutschland eine sehr große Auflage hatte, durch die Pressebedrückungen der nationalsozialistischen Ära, bis die Gestapo auch sein Werk 1940 überfiel und die Redaktionsräume in der Döblinger Nußwaldgasse versiegelte. Die Gestapo verfolgte ihn auch dann noch mit Gehässigkeiten, als er, krank aus seiner achtmonatigen Haft entlassen, auf seinem Besitz am Ossiachersee Erholung suchte. In Bezau im Bregenzerwald fand er 1944 endlich einen ungestörten Arbeitsplatz, auf dem er sich einem neuen, großen Werke widmete, der Herausgabe einer „Bibel, von einem Laien gesehen“, einem Plane, wie ihn zuvor der kongeniale Papini in seiner „Storia di Cristo“ zu ver-wirklidien suchte. Es ist schmerzlich, daß die Öffentlichkeit dieses Werk erst nach dem Tode des Autors erwarten kann. Im Friedhof von St. Peter zu Salzburg hat Doktor Joseph Eberle, der große Publizist und Kämpfer Gottes, die letzte Ruhestätte gefunden. Sein Grab wird ebenso unvergessen bleiben wie sein Werk, das weit über die Gegenwart hinausragt.

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