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Draculas Gäste: Juri Andruchowytschs Roman "Zwölf Ringe"

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Juri Andruchowytschs wundersamer Roman "Zwölf Ringe" ist eine Liebeserklärung an die Ukraine.

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Juri Andruchowytschs wundersamer Roman "Zwölf Ringe" ist eine Liebeserklärung an die Ukraine.

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Geografisch zwar in der Mitte Europas, liegen die Karpaten im Grenzgebiet zwischen Ukraine und Rumänien seit Jahrhunderten am Rande Europas. Diese Gegend ist Heimat der Huzulen, einer von drei ukrainischen Ethnien, die - wie Juri Andruchowytsch in seinen Anmerkungen zum Roman "Zwölf Ringe" ausführt - die "exotischste und wahrscheinlich farbenprächtigste Volksgruppe der Ukraine" ist und sich durch vielfältiges Brauchtum und Kunstgewerbe auszeichnet, welche allerdings zum "huzulischen Kulturkitsch" verkommen sind. Mittendrin in den Karpaten steht auf der Hochalm Dsyndsul das "Wirthaus auf dem Mond".

Gäste, vorübergehend nur

Dieses sonderbare Gebäude war einst als Observatorium erbaut worden, diente später der Spionage, mutierte schließlich zum Sportinternat mit einem sadistischen Direktor, verrottete dann, bis es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von Warzabytsch, einem schnell zu Geld gekommenen Tycoon, gekauft wurde. Dorthin lädt dieser für ein paar Tage die Helden des Romans ein, "Helden des Business und der Kultur", um dem ukrainischen Nationaldichter Bohdan-Ihor Antonytsch (1900- 1937) zu huldigen, wie es auf der Einladung heißt. Doch den Oligarchen bekommen seine Gäste nie zu sehen und spätestens dann erinnert man sich an Graf Dracula und sein Karpatenschloss, auf den in Andruchowytschs Roman in raffinierter Weise mehrfach angespielt wird.

Acht Personen umfasst die illustre Truppe, die sich in der Bergeinsamkeit zusammenfindet, nicht alle werden den Aufenthalt überleben. Die Trinkgelage und Liebesleiden setzen vor allem dem Haupthelden zu, dem österreichischen Fotografen Karl-Joseph Zumbrunnen, der immer wieder trotz aller bürokratischen Reisehindernisse in die Ukraine fährt, auf der Suche nach seinen galizischen Wurzeln und vor allem deshalb, weil er sich in seine Dolmetscherin Roma Woronytsch verliebt hat, die allerdings mit dem Dichtersäufer Artur Pepa verheiratet ist. Roma und Artur sind beide mit von der Partie, dazu kommen noch Kolomeja, Romas Tochter, ein alter Literaturprofessor und Antonytsch-Spezialist, Jartschyk Magierski, ein Regisseur für Werbefilme, der für den Oligarchen einen Spot für ein neues abscheuliches Getränk drehen soll, natürlich in einer Mischung aus Sex und huzulischer Folklore, wozu zwei junge "leichte" Models, Lili und Marlen, dienen sollen.

Geschichtenreigen

Der bisher hierzulande als Essayist bekannte Juri Andruchowytsch entfaltet in seinem, von Sabine Stöhr kongenial ins Deutsche übersetzten Roman mit diesem Personal einen geradezu unüberschaubaren Reigen von Geschichten, in dem sich das Chaos der postsowjetischen Übergangszeit ebenso spiegelt wie Geschichte und Kultur der Ukraine. Mit präzisem Blick fängt er die Ungleichzeitigkeit von geradezu archaischen Verhältnissen und globalisierter Konsumgesellschaft ein und schreibt gleichzeitig eine Hommage an den Bohemien und Trinker Antonytsch, der angeblich nach seinem Tod mehrmals gesehen worden ist und so ebenfalls zu den "Untoten" zählt. Und da verwundert es auch nicht, dass am Ende der erschlagene Zumbrunnen, der in einem Fluss aufgefunden wird, als Engel aus Transsylvanien nach Wien fliegt, um an der Tür zur Kapuzinergruft um Einlass zu bitten.

Ukrainische Hoffnungen

Dies alles arrangiert ein auktorialer Erzähler, der seine Erfindungen und Wortspiele immer wieder beiläufig kommentiert, korrigiert, ironisch bricht und sich vertrauensvoll an die Leser und Leserinnen wendet. Juri Andruchowytsch gelingt es in "Zwölf Ringe" souverän, die komplexen gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge freizulegen und gleichzeitig sprachlich und stilistisch alle literarischen Möglichkeiten geradezu überbordend spielerisch auszuschöpfen. Da prallen sinnliche Beschreibungen eines Provinzbahnhofs, jambische Dichterverse und videoclipartige Pornografie aneinander, vermischen sich realistische Passagen, Träume und Phantasien zu einem vielstimmigen poetischen Universum. In seiner ganzen tragikomischen Vielschichtigkeit ist der Roman aber vor allem eines, ein europäischer Roman und eine Liebeserklärung an Lemberg, die Karpaten, die Ukraine und seine Menschen.

Zwölf Ringe
Roman von Juri Andruchowytsch
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005
312 Seiten, geb., € 23,60

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