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Vor 125 Jahren wurde Stefan Zweig geboren. Zu lesen gibt es nun den Briefwechsel mit seiner ersten Frau sowie eine Biografie von Oliver Matuschek.

Es steht außer Zweifel: Stefan Zweig war und ist Österreichs weltweit berühmtester Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In China hat sich sein Werk durchgesetzt, nachdem dessen Aufnahme immer wieder unterbunden worden war. In der Sowjetunion galt er mit geringen Retuschen, die manche für das System bedenkliche Stellen beseitigten, als glaubwürdiger Vertreter des Humanismus. In Südamerika war er schon in den dreißiger Jahren der bekannteste europäische Schriftsteller. In Frankreich wurde er als Pazifist geschätzt. In den USA finden sich seine Texte in den Verkaufsständen auf den Flughäfen. In Österreich gehörte er in der Schule zum Lektürekanon, und seine "Sternstunden der Menschheit" prägten den Geschichtsbegriff der Generationen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Populär wie Charlie Chaplin

Mit dem Titel seiner Autobiografie Die Welt von Gestern schuf Zweig das Schlagwort für den mentalen Umgang mit der versunkenen Donaumonarchie. Er verkehrte mit den Spitzen der Gesellschaft und war selbst eine solche. Er rühmte sich einmal, offenkundig nicht ohne Grund, so populär zu sein wie Charlie Chaplin. Er pflegte Umgang mit Sigmund Freud und wurde von Albert Einstein bewundert. Er besaß eine der bedeutendsten Sammlungen von Autografen, darunter auch Goethe-Handschriften, und Möbel, darunter Beethovens Schreibtisch.

Literaturkritiker allerdings runzeln die Stirn, wenn sie seinen Namen hören, und in der Literaturwissenschaft sind die Bemühungen um sein Werk im Vergleich zu seinen Zeitgenossen wie Musil und Hofmannsthal, Kraus und Schnitzler - um von Kafka zu schweigen - eher gering. Der Eindruck, dass eine Auseinandersetzung mit Zweig unter theoretisch stärker akzentuierten Perspektiven kaum möglich sei, ist keineswegs unabweisbar. Doch ein leichtfertiger Umgang mit seinem Leben verbietet sich, nicht zuletzt wegen seines glaubhaften Engagements als Pazifist und Europäer, und vor allem der Tat, mit der der noch nicht ganz Sechzigjährige seinem Leben am 22. Februar in Petropolis im brasilianischen Exil zusammen mit seiner zweiten Frau Lotte ein Ende setzte.

Diffiziler Balanceakt

Die Zahl der Feuilletons und Erinnerungen ist Legion, doch die philologischen Bemühungen vor allem auf dem Gebiet der Edition sind eher als gering zu veranschlagen. Die Tatsache, dass nun der Briefwechsel mit Zweigs erster Frau Friderike in einer Neuausgabe vorliegt, ist eine erfreuliche Tatsache. Vor allem haben sich die Herausgeber, der amerikanische Germanist Jeffrey B. Berlin und der österreichische Zeithistoriker und Literaturwissenschaftler Gert Kerschbaumer, der Materialfülle in einer sehr förderlichen Weise angenommen: Dass sich die "Auswahl aus den 1220 Liebes-, Ehe-, Reise-und Exilbriefen" als "diffiziler Balanceakt" erwies, glaubt man gerne und ist auch dankbar dafür, nicht alles vorgesetzt zu bekommen, sondern eine sehr gute Auswahl, die durch Verbindungstexte den Eindruck einer plausiblen Geschlossenheit erweckt.

Entscheidend ist vor allem die Tatsache, dass das Bild, das Friderike Zweig, geborene Burger, geschiedene von Winternitz, geschiedene Zweig, in Umlauf setzte, doch entschieden korrigiert wird. Es ist nur zu verständlich, dass sie, selbst Schriftstellerin, sich als die echte Witwe des Dichters fühlte, an den Dokumenten in ihrem Sinne herumbesserte und an dem Monument, das ihr verstorbener Mann nun einmal darstellte, nichts Entstellendes duldete.

In diesem Briefwechsel geht es nicht nur um die Geschichte einer Frau, die der Ungeduld ihres Herzens nachgab, ihren ersten Mann verließ, lange als Zweigs Geliebte galt, weil einer Wiederverheiratung die Gesetze im Wege standen, die den großbürgerlichen Haushalt in Salzburg als Ehefrau führte, die dem Schriftsteller ins Exil folgte und dort die Erfahrung machen musste, dass er sich in seine Sekretärin, in die wesentlich jüngere Elisabeth Charlotte Altmann verliebt hatte. Zu der schwierigen Situation im Exil in Großbritannien und später in den USA kamen diese privaten Krisen, deren Auswirkungen im Briefwechsel in auffallend gedämpfter Form wahrnehmbar werden. Den letzten Brief vor seinem Selbstmord hatte Zweig an Friderike gerichtet: "In Liebe und Freundschaft, und bleib guten Mutes, nun weißt Du mich doch ruhig und glücklich - Stefan".

Faires Verfahren

Zu der Briefedition passt sehr gut die von Oliver Matuschek verfasste Biografie. Natürlich ist darin auch sehr viel von den Ehen Zweigs die Reden, aber noch mehr von dem in der Tat atemberaubenden Gesellschaftsleben, von den vielen Stellungsspielen auf dem so schwer überschaubaren literarischen Feld, als deren Stratege sich Zweig sehr wohl erwies. Matuschek informiert auch über das wohlhabende Elternhaus, wertet vor allem die Zeugnisse, die durch Alfred, Stefans älteren Bruder, auf uns gekommen sind, wahrt den Respekt vor dem Objekt seiner Biografie und auch vor allen Frauen, die je dessen Weg kreuzten.

Biografen neigen heutzutage gerne dazu, ihre Protagonisten zu tribunalisieren. Das ist Matuscheks Sache so ganz und gar nicht. Zweig muss nie auf dem Stuhl des Angeklagten Platz nehmen; er kann eines fairen Verfahrens sicher sein. Sorgsam folgt der Gang der Erzählung der Chronologie. Drei Leben - so hätte Zweig seine Autobiografie nennen wollen, und die Übernahme im Untertitels des Buches signalisiert die Identifikation mit dem Objekt.

So angenehm dieses Verfahren berührt, weil vor allem das weltweit mit großer Intensität recherchierte Material vor uns ausgebreitet wird, so sehr würde man sich manchmal eine kritische Anmerkung wünschen oder schärfere Pointierung der Paradoxien, denen dieses Leben ausgesetzt waren: Die sich wiederholenden Dreieckssituationen, die Klage über eine Lebensform, die sich Zweig selbst geschaffen hatte, die Fassaden des Ruhms in aller Herren Länder, die an Potemkinsche Dörfer erinnern.

Ohne schärfere Pointierung

Stattdessen erhalten wir den verbindenden Text zu einer penibel erarbeiteten Chronologie, dürfen Anteil nehmen an der Geschichte der Hunde im Hause Zweig, dürfen die Sorgen Friderikes teilen, da ihr die Handwerker in Salzburg das Haus auf den Kopf stellen, um eine Zentralheizung zu installieren. Von den Krisen, die Zweig als Schriftsteller, als Ehemann und als Freund durchzumachen hatte, ist zwar die Rede, aber das bleibt alles rein äußerlich.

Nicht, dass der Biograf die Emphase der Zweigschen Texte zu der seinen hätte machen sollen, aber eine schärfere Pointierung der Widersprüche hätte dem Buch gut getan. Matuschek ist nur zu sehr bemüht, seinen Helden nicht zu sehr Verdächtigungen auszusetzen. Wenn bei dem humanen Autor Menschliches allzu menschlich zu werden droht, wird der Vorhang zugezogen. Dass es exhibitionistische und homoerotische Anwandlungen gegeben habe, wird als mehr oder weniger phantastisch abgetan, dass seine französische Freundin offenkundig schwanger wurde, kommt gar nicht zur Sprache.

Doch diese Bedenken wiegen angesichts der zweifelsfrei erbrachten Leistung gering; dass das Buch, sieht man von vielen sehr floskelhaft wirkenden Wendungen einmal ab, gut lesbar ist und zum flamboyanten Stil Zweiges auf Distanz geht, sei als Wohltat vermerkt.

"Wenn einen Augenblick die Wolken weichen"

Stefan Zweig - Friderike Zweig. Briefwechsel 1912-1942

Hg. von Jeffrey B. Berlin und Gert Kerschbaumer. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2006. 433 Seiten, geb., e 25,60

Zweig. Drei Leben - Eine Biographie

Von Oliver Matuschek

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2006

406 Seiten, geb., e 20,50

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