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Drei Seelen wohnen in seiner Brust...

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Charles Peguy braucht auch in Oesterreich heute nicht mehr langatmig vorgestellt zu .werden. Der streitbare französische Dichter, dessen Name wohl am besten gemeinsam mit Leon Bloy und Georges Bernanos zu nennen ist, kann für sich selbst sprechen. Der Herold-Verlag hat die gewiß nicht einfache Aufgabe einer deutschen Gesamtausgabe der Werke Peguys übernommen. Jahr für Jahr soll ein Sand erscheinen. „Das Mysterium der Hoffnung“ machte den Anfang. Nun liegt Band 11 vot: „Das Mysterium der Erbarmung.“

Ein eigenartiges, ungewöhnliches, auf den ersten Blick — aber wirklich nur auf den ersten — fremdartiges Buch. Vorsprüch, Personenverzeichnis und Szenenangabe lassen auf ein Jeanne-d'Arc-Schauspiel schließen; ein Schauspiel freilich, das nur drei- Personen kennt. Die kleine zwölf Jahre alte Jeannette, ifire Freundin Hauviette und dann als dritte im Bunde eine ebenso wie Hauviette aus der bisherigenm Jeänne-d'Arc-Literatur unbekannte Figur: die Nonne Mutter Gervaise. Doch einmal mit den Merkwürdigkeiten angefangen, kommen wir öicht so schnell zu einem Ende. Was soll man zu einem Schauspiel sagen, in dem unter anderem eine Person zu einem Monolog anhebt, den sie erst 65 Seiten später beendet? Nein, mit den üblichen Maßstäben werden wir Peguy auf keinen Fall gerecht.

Die äußere Form ist nämlich nur Tarnung; freilich eine bald als lästig empfundene und von sich geworfene Tarnung, die der Dichter für ein großes Selbstgespräch wählte. Auch die drei Personen sind nur Hilfskonstruktionen — Positionslichter sozusagen. Immer spricht Peguy allein; — wenn Jeannette spricht, so spricht der mystische, dem französischen Mittelalter verpflichtete Peguy, wenn Hauviette plappert, so ist es die Stimme des „natürlichen“, mit beiden Füßen im Leben stehenden Durchschnittsfranzosen, die Peguy in sich ebenfalls nie zum

Schweigen bringen konnte und wollte. Und selbst wenn Mutter Gervaise das Wort hat — und sie hat es gewöhnlich im Namen der Kirche —, so hat sich ebenfalls wieder Peguy, diesmal der tiefgläubige Mensch Peguy, gemeldet.

Lassen wir uns durch diese Form der Veröffentlichung eines inneren Zwiegespräches nicht irre machen. Sobald wir durch die ersten, vierzig Seiten umfassenden, schleppenden Dialoge hindurch sind, werden wir belohnt. Der Sperriegel zu den Gefilden großer Dichtung ist durchstoßen. In hymnenartigen Einzelgedichten wandelt Peguy immer wieder ein einziges Thema ab: eben das Mysterium von der Erbarmung Gottes gegenüber seinen Geschöpfen.

Der Anlaß dazu zeigt, wie stark Peguy gerade unsere Gegenwart anzusprechen vermag. Ist doch der Ausgangspunkt des Landmädchens Jeannette Klage über die Gewitterwolken des Krieges, die seit Jahrzehnten über dem Land lasten.

„Wir können uns noch sosehr anstrengen, sie sind immer schneller als wir, sie schaffen mehr als wir, sie sind über uns. Es braucht nur ein wenig Zunder um einen Hof anzubrennen. Es braucht Jahre, hat Jahre gebraucht, um ihn zu erbauen. Das ist nicht schwer, das ist keine Kunst. Monate' braucht es und Monate, Arbeit hat es gebraucht und Arbeit, damit eine Ernte gedeiht. Und es braucht nur ein wenig Zunder, um eine Ernte in Brand zu setzen. Jahre hat es gebraucht und Jahre, damit ein Mensch gedeiht. Es hat Brot und Brot gebraucht, um ihn zu nähren. Und Arbeit und Arbeit und Mühen jederlei Art. Und ein Hieb genügt, um einen Menschen zu töten. Ein Schwerthieb, und 'Schon ist's geschehen. Um einen guten Christen hervorzubringen, mußte der Pflug zwanzig Jahre lang arbeiten. Um einen Christen umzubringen, muß das Schwert eine Minute lang arbeiten ...“

Und in diesem Moment der Niedergeschlagenheit, in dem selbst nicht mehr der gesunde Lebenswille der Freundin Hauviette sie aufzurichten vermag, tritt Mutter Gervaise auf den Plan. Und es ist hohe Zeit. Denn die kleine Jeanne war nahe daran, sich selbst Gott für die Verdammnis anzubieten, wenn dieser dem Greuel nur Einhalt gebiete. Mutter Gervaise vereitelt diesen Frevel und in den schönen anschaulichen Bild von den drei Kirchen erteilt sie der schwärmerischen Kleinen — erteilt Peguy sich selbst — einen Verweis. Einmal aber im Reden, hört Mutter Gervaise so bald nicht auf und es folgt nun wohl die eigenartigste Nacherzählung der Passion Christi, die wir kennen. Hören wir nur einen Teil des Stabat Mater, das Peguy geschrieben hat:

.....Und man erkannte sie gleich.

Sie weinte, sie weinte unter einem großen.

linnenen Schleier. Einem blauen Schleier. Der etwas verschossen war. Das also hatte er aus seiner Mutter gemacht. Sie weinte, wie es nie einer Frau gegeben sein

wird,

wie es nie von einer Frau verlangt werden wird zu weinen auf Erden. Niemals in Ewigkeit. Keiner Frau.

Das also hatte er aus seiner Mutter gemacht.

Aus einer Mutter voll Mutterliebe.

Das Seltsamste ist, daß jeder sie achtete.

Die Leute sind stets voller Achtung vor den

Eltern eines Verurteilten. Sie sagten sogar: Die arme Frau! Und zugleich schlugen sie ihren Sohn. “ Denn so sind nun einmal die Menschen. Die Menschen sind so geschaffen. Die Menschen sind, wie sie sind, und niemals wird man sie ändern. Sie wußten nicht, daß er gerade gekommen war,

um die Menschen zu ändern. Daß er gekommen war, um die Welt zu ändern. Sie folgte, sie weinte.“

Aber selbst die ergreifende Erzählung der Passion macht Jeanette nicht still. Als die Rede auf die Verleugnung Christi durch Petrus kommt, erwacht in Peguy sein ausgeprägtes französisches Nationalbewußtsein und er läßt seine Jeanne plötzlich die Rede unterbrechen:

„Niemals hätten die Leute von hierzulande, niemals hätten Heilige von hierzulande, niemals hätten selbst einfache Leute aus unseren Dörfern ihn verlassen. Niemals französische Ritter; niemals französische Bauern, niemals einfache Pfirrkinder aus französischen Pfarreien. Niemals hätten die Kreuzfahrer ihn verlassen, niemals hätten ihn diese Menschen verleugnet, eher hätte man ihnen den Kopf abgerissen.

Leute vom Lothringer Lande, Leute vom französischen Lande.“

Mutter Gervaise beschwichtigt, redet gut zu und tadelt. Umsonst. Immer aufs neue wiederholt Jeanette monoton:

„Das hätten wir niemals zugelassen.“ Schließlich gibt sie ihrem französischen Herzen noch einen Stoß und trumpft auf: „Was das Schlimmste ist. Von allem.

Ich liebe die Engländer nicht. Ich sage: Niemals hätten die Engländer das zugelassen.“ Doch auch Mutter Gervaise ist um Antworten nicht verlegen und das Wechselgespräch in Peguys Brust klingt, nachdem noch manche Bilder und Gleichnisse scheinbar unvermittelt eingeblendet würden, in den Disput über die Rasse der Hähne aus. Anlaß dazu ist jener Hahn im Vorhof des Hohen Priesters:

„Es ist sonderbar, man spricht immer nur von diesem Hahn, er ist berühmt; von dem Hahn der sich dort befand, um die Verleugnung durch Petrus zu bekrähen, zu verkünden, zu vermerken. Das geschieht, um das Thema zu wechseln, um die Unterhaltung auf etwas anderes zu lenken.

Weh uns, weh uns, es gibt keinen einzigen Hahn auf keinem einzigen Hof, der nicht täglich, unter jeder Sonne, schlimmere Verleugnungen, mehr als dreifache Verleugnungen bekräht, verkündet, bei Sonnenaufgang angezeigt, vermerkt hätte.“ Erweckt diese Sprache und der Geist, der hinter den Zeilen steht, wirklich den „Eindruck des Langatmigen, wenn nicht des Langweiligen, weil sie das Religiöse abstrakt, blaß und lebensfern bietet, als reine Gedjinkendichtung“, wie einmal eine kritische Stimme bemerken zu müssen glaubte?

Eines freilich stimmt: Peguy ist einer von jenen, die die katholische Literatur endlich und endgültig von frommen Traktaten und harmlosen Kalendergeschichten geschieden haben. Seine polemischen Prosaschriften — mit einer von ihnen wird die Peguy-Edition des Herold-Verlages ihre Fortsetzung finden — werden dies noch deutlicher zeigen.

Das Buch vom Gardasce. Von Robert Z u m e r und F. Hieronymus Riedl. Bergland-Verlag, Wien. 200 Seiten mit 12 Farbkunsttafcln, 54 Zeichnungen und einer Karte. Preis 125 S.

Schon Catull hat ihn besungen, Dante und Vergil ihm Verse gewidmet, Martial und Sueton haben ihn (nicht zuletzt auch seine Fische und Weine) mit Ehren genannt. Goethe hat an seinem Nordufer Italien entdeckt, und nach ihm eine lange Reihe von Dichtern bis herauf zu Stifter und Hofmannsthal. Alle Wege aus dem Norden zum Gardasee führen über Tirol — also über Oesterreich —, und er ist aus der österreichischen Geschichte nicht so leicht fortzudenken. In seinem Umkreis, mit den Scheitelpunkten Desenzano-Peschiera, liegen die Schlachtfelder der Jahre 1848, 1859 und 1866. Noch im letztgenannten Jahre kreuzte auf dem Gardasee eine österreichische Flottille, und vor noch nicht 40 Jahren zogen sich über die Hänge des Monte Baldo österreichische Schützengräben. 400 Jahre war Riva in österreichischem Besitz.

Hinter den großen Schlachtennamen und von ihnen oft zu Unrecht überschattet, steht die friedliche Dauerwirkung der österreichischen Verwaltung, die bis heute noch in Architektur, Volkssitte und Lebensauffassung auch im „welschen“ Südtirol deutliehe Spuren hinterlassen hat. Es gibt also heute noch Bande der Gemeinsamkeit zwischen diesem und dem österreichischen Raum.Sie vertiefen für den Oesterreichcr, der dieses Buch aufschlägt und in ihm eine kunsthistorisch, geographisch und geschichtlich gleich anfegende Schilderung des Gardasees findet, den Wunsch, diese Gegend kennenzulernen, geben ihm das Gefühl einer inneren Affinität. Schnell fängt den Leser der Zauber einer echten Einfühlung der schriftstellerischen und der künstlerischen Darstellung ein. Ein Reisehandbuch? Auch! Aber ein solches von hohem Format. Kein Landschaftskatalog für Autoböstransporte, sondern ein Buch zur besinnlichen Vorbereitung auf einen echten und nachhaltigen Genuß.

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