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Drei vom Grenzzaun

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DER FRIEDEN VON TESCHEN im Jahre 1779 brachte kurz vor dem Tode Maria Theresias das Innviertel an Oesterreich. „Ich leugne nicht“, so schrieb die Kaiserin ein Jahr vorher, „ich würde einen erträglichen Frieden einem ruhmvollen Kriege vorziehen. Das mag wohl die Denkweise einer Frau von 61 Jahren sein, aber sie ist nicht so schlecht: weniger Ruhm, dafür mehr Sicherheit!“ Weniger Ruhm — das war also Verzicht auf das uns rechtmäßig zustehende Bayern und damit auf Stärkung Oesterreichs im deutschen Raum, durch Friedrich II. verhindert; mehr Sicherheit — das bedeutete geringere Sorgen im vermehrten Besitz nach Westen zu. Diesem Innviertel, hügelauf und hügelab, sieht heute niemand an, daß es ein Bruchstück eines verhinderten großen politischen Planes gewesen ist, der uns um die Zeiten erträglicher Frieden etliche Male ärmer machte, als er scheiterte — 1785 zum zweiten und letzten Male. Dieses Land — ja, wer sieht es überhaupt an? Die große Ost-West-Transversale zur Schweiz geht an ihm vorbei. Aus den Zügen der zweiten internationalen Strecke nach dem Westen (über Passau an den Rhein, nach Frankreich, Belgien und den Niederlanden) steigen wenige Fremde aus — von Schallerbach vielleicht abgesehen.

DIE BÖHMISCHE MASSE greift mit dem Granit vom Böhmerwald nach Süden. Die landschaftlich wundersam romantische Gegend des Donaudurchbruches bei Engelhartszell und weiter flußabwärts die. Donauschlingp bei Schlügen sind immerhin etwas aus Prospekten der Fremdenverkehrsvereine bekannt. Anders steht es mit dem Inndurchbruch in der Granitmasse zwischen Schärding und Passau. Die Reisenden der westwärts eilenden Züge heben kaum die Köpfe. Und doch kann man behaupten, daß es die Neuburger Enge, ein steiles, walddunkles Tal. bewacht auf bayrischer Seite von Neuburg, nif österreichischer von Wernstein, ruhig mit der Wachau oder dem Strudengau aufnehmen kann. Der Sauwald schließlich hat für die Propaganda einen wenig attraktiven Namen. Das ist vorteilhaft für Einzelgänger, die hier in Ruhe wandern, baden und fischen können. Das obere Innviertel hingegen wirkt recht kontrastreich und wie eine Brücke zwischen den Zeiten. Ranshofen, vielen Oesterreichern durch seine Aluminiumwerke und die einstigen Sorgen des Bundeslastverteilers ob des großen Strombedarfes dieses größten Betriebes seiner Art in ganz Europa bekannt, war einmal karolingische Pfalz! Südwestlich von Ranshofen beginnt eigentlich schon das Innviertier Abenteuer: d r Weilhartforst! Wer weiß schon etwas von diesem Waldgebiet, dessen Größe etwa dem Gemeindeareal von Wien entspricht? Die Lichtungen sind so mit Beerenkraut aller Art gesegnet, daß einmal behauptet wurde, jeder Schritt mache Marmelade.

HAUSRUCK UND KOBERNAUSER WALD ragen aus der fruchtbaren Landschaft des oberen Innviertels heraus. Der „Franz von Piesenham“, unser Stelzhamer, der in Groß-Piesenham nächst Ried zur Welt kam, hat wie kein anderer die stille Schönheit des Kober-nauser Waldes und des Hausruck empfunden und besungen. „Wann i haoeh z Kobernausen vom Wald außa bi, ho wo rennant mit 'm Herzen a d' Augn mehr hi?“ Der Hausruck zeichnet sich für die nach Salzburg eilig Reisenden wie eine blaue, dunkle Wolke in den helleren Himmel einer herben Welt. Am Fuße etwa zwanzig Kilometer breit, bildet der Höhenzug einen langen Rücken, von dem fiederartig schmale Wälle abzweigen. Die Kohlengruben von Wolfs-egg sind nicht mehr ertragreich. Dagegen schürft man fleißig bei Thomasroith, Ampfel-wang und Frankenburg, wo die Vökla schiffbar wird. Der Name Frankenburg erinnert an die Kämpfe während des Bauernaufstan les. an das „Frankenburger Würfelspiel“. Die Städte Braunau, Schärding und Ried sind Schmuckstücke des Innviertels. Von Braunau sollte niemand scheiden, ohne die Werke der Brüder Zürn, Franz Sickingers, Sebastian Hagenauers gesehen zu haben. Schärding ist bereits 804 urkundlich genannt als Wirtschaftshof der Domkirche Passau. Ein großer Teil der Stadtmauer und der Türme ist — wie in Braunau — erhalten geblieben. Ried sollte kein Freund der Volkskunde — des Innviertier Volkskundehauses wegen — versäumen. Das Museum besitzt übrigens bemerkenswerte Stücke der Werke der Brüder Zürn und eine Schwanthaler Sammlung. Die Stadt lebte einstens gut vom Textilhandel. Stelzhamer zählte zu seiner Zeit in der oberen und unteren Weberzeile 64 Webstühle. Der Verkauf reichte bis nach Venedig. Heute macht das Getreide Geschäft und — nicht zu vergessen — das Rieder Volksfest.

KAISER MAXIMILIAN verglich das Mühlviertel mit einem gefalteten Mantel, „der, ausgebreitet, ein fruchtbar Land ergäbe“. Wer die viel zu wenig bekannte Donaustrecke von Passau nach Linz befährt, ahnt kaum offenes Land. Der Blick verfängt sich in den nördlich auslaufenden Flußmündungen. Diese Täler sind oft so schmal, daß man von einem Plattenrande der Hochfläche, wo die Siedlungen liegen, bis zum anderen die Glocken läuten hört — aber Stunden braucht, um die tiefen Täler zu überwinden und zu dem Kirchturm zu gelangen, dessen melodischer Gruß so nahe schien. Mühlviertel — äas'W' Stifter-Landschaft. Wer könnte ihn vergessen in Kirchschlag, Schwarzenberg, Kefermarkt, Wildberg, Schaunburg und anderwärts, wer entsänne sich oben beim Plöcken-stein nicht des so nahen und doch unerreichbaren Naturauges und an die „versteinerte Träne“, an den See, um dessen Zugang oder

Ufererwerbung seit Jahren geredet und hinter gepolsterten Türen geschwiegen wird. Mühlviertel — das ist aber auch Bruckner-Landschaft. In Wandhaag bei Freistadt war der „Musikant Gottes“ Schulgehilfe. In Leopoldschlag hat er in einem Gasthaus musiziert, und einmal nahm auch Stifter, der die Schule inspiziert hatte, an tanbm Musiklabend teUkuDesnHwiErSchuIinspeldßi; httf)fab1'dlieh HerW'iinttrlehter'unterwiesen; daß man nicht sagt: „Der Wein ist noch nicht ausgegärt“ (wie Bruckner sich ausdrückte), sondern daß es richtig zu heißen habe: „Der Wein hat noch nicht ausgegorn.“ Geistlicher und kultureller Mittelpunkt des Mühlviertels ist das Prämonstratenserstift Schlägl. Es war schon frühzeitig um die Weiterbildung der bäuerlichen Jugend bestrebt. Bereits 1924 entstand dort eine fachlich ausgerichtete Winterschule für die Jungbauern.

DAS DRITTE VIERTEL, das im Verborgenen liegt, heißt Waldviertel. Es wird ein Schildbürgerstreich sondergleichen werden,*kail9~*ö-wirklich das zweite Geleise dtr■-Franz-Josefs-Bahn zwischen Gmünd und Sigmundsherberg abmontiert. Denn diese Bahn ist die Lebensader des Waldviertels, und eine vorübergehende, durch die politischen Verhältnisse im Norden erklärbare Verminderung des Durchgangsverkehrs gibt kein Recht dazu, den ohnehin nicht mit Glücksgütern gesegneten Waldviertlern an die Gurgel zu fahren. Drei Farben sind es, welche das Kleid des Landes bereiten, nach den Worten des Lyrikers Hans Giebisch in seinen „Waldviertler Sonetten“: das Rot der Heide, das Gold der Haferbreiten Und der Wälder ewig grüne Höhen. „Vom Drang und Lärm der großen Welt geschieden, von Gottes weitem Himmel überblaut, ruht rings im Land der Dörfer breiter Frieden.“ Die Hochebene des Waldviertels überragen kleinere Höhen und Rücken. Die Ackerfluren des Gneislandes tragen mächtige Blockkanzeln. Die Granitblöcke liegen, wie von Riesenhand verstreut, in Aeckern und Wiesen. Ein Kranz von Burgen, Schlössern und Ruinen (Arbesbach, Wimberg, Lichtenfels, Rapottenstein, Rastenberg, Ottenstein, Heiden-reichstein, Litschau, Weitra, Rosenau) ziert die oft schluchtartigen Täler. Goldbraun ist die Farbe der Wasser, olivgrün spiegelt sich hochstämmiger Forst darin. Läge dieses Waldland jenseits der Grenzen, hieße es wie der Thüringer Wald das „grüne Herz“. Bei uns haben nur wenige seinen Pulsschlag vernommen. Mag sein, vom Zisterzienserstift Zwettl, seinem einzigartigen gotischen Hallenchor mit dem vierzehn-zelligen Kapellenkranz, von dem gewaltigen Turm, den die Barockmeister Steinl und Mungenast errichteten, von dem ältesten österreichischen Kreuzgang haben manche Leute gehört. Ein Zufall — ein Autobusaufenthalt über die vorgesehene Zeit hinaus — bescherte mir das Wunder Schönbach: eine mächtige Pfarrkirche aus dem 15. Jahrhundert in Verbindung mit dem ehemaligen Hieronymitenkloster und — in einem Gotteshaus - gleich drei gotische Altäre! Es ist vielleicht doch kein Zufall, daß das Waldviertel in der Dichtung unserer Zeit die am tiefsten tönende Glocke rührt. Misson, Hamer-ling, Imma von Bodmershof, Szabo, Franke, Fischer-Colbrie, Sacher, Weinheber und noch viele andere sangen Preis dem Lande, wo die ..Märchen sind zu Haus“.

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