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Drei Zernattos

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Mit dem alten Pfleger der Herrschaft Treffen ging es zu Ende. Seine Familie glaubte, die Bitternis dieser letzten Stunden verwischen und dem ehrfürchtig geliebten Herrn Vater nur einmal eine Wahrheit verschweigen zu können. Aber aus . den weißen Polstern, auf denen der Sterbende lag, befahl seine fordernde Stimme: „Man hole den Herrn Doktor1“ Der Arzt kam, untersuchte und horchte, aber dieses Lebensrinnsal war am Versiegen. Herr Hermann erfuhr, wie es um ihn stand. Da blieb nur noch wenig zu tun: „Man bringe den Notar!“

Kurz darauf rollte ein Wagen vom Pflegerhaus fort gegen Villach. Der Kranke lag still auf seinem Lager. Wie oft hatte er selbst zu dieser Fahrt in die Stadt anspannen lassen. Nun trabten die Braunen wieder, aber er führte nicht mehr die Zügel. Bald werden sie an St. Ruprecht vorbei sein, die Draubriicke passieren und durch das Untere Tor in die Stadt ein-fahrer. In einer weiteren Stunde konnte der Wagen wieder zurück sein. Der Notar •aus Villach war da gewesen und längere Zeit mit dem Herrn Verwalter allein geblieben. Nun war alles bestellt, was er auf Erden zu ordnen hatte. Nur eine Rechnung war noch offen: „Man rufe den Herrn Pfarrer!“

Nachdem der geistliche Herr die Sterbesakramente gespendet hatte und auf Geheiß des Kranken bewirtet worden war, befahl Herr Hermann seine Familie wieder zu sich, aber seine Kinder mußten Geigen und Gitarren mitbringen. Wozu hatte er sie alle singen und spielen lernen lassen? Wie er das Leben am meisten geliebt hatte, so wollte er es endigen. Während sich der Schatten des Todes immer tiefet über den alten , Herrn in den aufgeschichteten Kissen beugtp, begann ein Musizieren wie zu Kirchtag und Hochzeit. Soviel die Töchter auch von der klingenden Seele des- Sterbenden ererbt hatten, nun wollte den jungen Mädchen doch jeder Ton zu einem Schluchzen werden und jeder Saitengriff das Herz zusammenkrallen. Doch der Herr Vater begann selber zu singen. „Brüderlein fein“, hatte er angestimmt, „Brü-der-lein fein, einmal muß ge-schie-den.. .“ Dann war sein Kopf zur Seite gesunken.

Das berichtet die Familientradition vom herrschaftlichen Pfleger Hermann in Treffen. Selbstgewiß und angesehen war er durchs Leben gegangen. Dem Zeitgesdiehen verbunden, nahm er lebhaften Anteil an den Ereignissen des Jahres 1848. Ein schwarzrotgoldenes Bänddien, das er damals wohl als Mitglied der „Nationalgarde“ trug, hat sich weitervererbt. Es ist sinnhaft dafür, wie die von sozialen Impulsen geweckte österreichische Revolution des vergangenen Jahrhunderts rasch in eine nationalliberale Bewegung abgeleitet wurde, die weite Bürgerkreise erfaßte und in ihren Ausläufen mitschuldig wurde an der österreichischen Tragödie von 1938. Die private Atmosphäre in Hermanns Heim war Kärntner Biedermeier. Auch das gab es, wie eine Reihe noch vorhandener Andenken und Neujahrskärtchen, darunter eine reizende Originalzeichnung des tüchtigen Malers Willroider, beweisen. Aber das JKostbarste, das Pfleger Hermann, der singend gestorben ist, hinterlassen hat. ist die musische Anlage seiner Nachfahren, die der österreichischen Literatur in diesem Jahrhundert drei Dichter geschenkt hat. Eine der Töchter Hermanns, die selbst schon fein empfundene Gedichte schrieb, hat den Treffener Gastwirt Zernatto geheiratet, der seinerzeit landauf und landab ob seiner unübertroffenen, echt kärntnerischen Schlagfertigkeit, die si“h nicht selten aus tiet'katholischer Haltung heraus besonders am freisinnigen Bürgertum er-

probte, geradezu berühmt war. Damit wurde eine Familie begründet, aus der seither drei Zernattos hervorgegangen, die mitzuzählen sind, wenn wir unsere österreichische Literatur neu erschließen: Guido Zernatto der Äkere, Religionsprofessor in Spittal an der Drau; dessen Neffe Guido Zernatto der Jüngere, der als Staatssekretär und Minister bis zum März 1938 in der vordersten Reihe der opfermutigen Kämpfer für Österreich gestanden und aus dem Exil nicht mehr heimgekehrt ist; und

dessen jüngerer Bruder Dr. Otto Zernatto. *

Guido Zernatto der Ältere wurde am 29. August 1879 in Treffen geboren. Nach Gymnasial- und Theologiestudien in Klagenfurt kam der junge Priester nach Spittal, und dieser kleinen rührigen Stadt an der grünen Drau ist er als Religionslehrer immer treu geblieben. Nur zwischen 1938 und 1945 wurde er vorübergehend dem geliebten Wirkungskreis entzogen, hat aber seither seine Bildungsarbeit am Spittaler Realgymnasium wieder aufgenommen. Gleidigeschätzt wie als Jugenderzieher ist Professor Zernatto als Kanzelredner und als eifriger Förderer des Musiklebens der Stadt. Der sangesfrohe Enkel des singend verstorbenen Pflegers von Treffen ist Sänger und Poet.

Die .. österreichische Literaturgeschichte wird einmal ein eigenes Kapitel den katholischen Priesterdichtern nach 1900 widmen müssen, und dabei wird neben dem Steirer Ottokar Kernstock, dem Tiroler Anton Müller (Br. Willram), dem Niederösterreicher Eduard Süß, dem Wiener Heinrich Suso-WaJdeck, der in seiner starken Eigenart freilich diesen Kreis weit überragt, der Kärntner Guido Zernatto anzuführen sein. Diese Poetengilde verbindet viel mehr als nur eine Zeitgenossenschaft. Sie bedeutet eine späte und spezifisch österreichische Blüte der Romantik und ist ein lebensfroher Nachklang des vergangenen Jahrhunderts. Fast alle diese Priesterdichter sind ausschließlich Lyriker, alle halten die Laute im Arm und singen ihr Gedicht wie ein Lied, wenn es nicht in prangender Wortfülle dithyrambisch aufrauscht. In der Literatur ist diese Lyrik ein reichbehangener auslaufender Zweig, für die Geistesgeschichte unserer Heimat aber ist ihr Einfluß nicht leicht abzugrenzen, zumal alle diese Dichter der Jugend besonders nahe waren.

Guido Zernatto der Ältere hat viele seiner Gedichte im Laufe der letzten Jahrzehnte in Kärntner Zeitungen und in Zeitschriften veröffentlicht, gesammelt liegt seine Lyrik aber nur im Manuskript „Der heimliche Garten“ vor, das sich in folgende Teile gliedert: „Am Bildstöckl“ — „Am Eichcnhügel“ — „Vom Rosenbeet“ — „In der Rebenlaube“ — Vom „Lugg' ins Land“ — „Auf der Lindenbank“ — „Blätter am Weg“. Schon in dieser Einteilung und Benennung spricht sich ein Dichter aus, der ganz aus dem problemlosen Glauben an die Wunder der schönen Erscheinungswelt lebt und schafft. Vorab sein Heimatland ist ihm zu allen Zeiten ein Preislied wert, wie er es in der „Vision in Kärnten“ singt: U-'en die walddunklen Berge, Burgen verwittert und grau,

Dörfer in sonnigem Frieden, Seen in schimmerndem Blau,

Goldschwere Ackerbreiten, Fluren in prangendem Grün,

Und auf den Feldern ein Singen und in den Gärten ein Blüh'n,

Und auf den Straßen ein Wandern, ein Leuchten auf Hügeln und Höh'n

Und ein Jubel im Herzen: Kärntnerland, wie bist du schön!

Balladeske Breite und Bewegtheit erreicht er in seinen patriotischen Gedichten aus

der Zeit des ersten Weltkrieges („Des

Schwertes Botschaft“ oder „Die Falken des Monte San Michele“) und des Kärntner Befreiungskampfes. Professor Zernatto itt 1915 als Feldkurat mit den Kärntner Standschützen selbst an die bedrohten Landes-gfenzen gezogen. Das Kriegscrlebnis hat ihn zu ernsten und befeuernden Gesingen mitgerissen, in denen ein nationaler Ton mitschwingt, der zeitbedingt ist und ungleich die Erinnerung an den Cr0*vatcr des Dichters und an das Jahr 1848 weckt. Sein 1915 in den „Fliegenden Blättern“ erschienenes Gedicht „Deutsches Recht“, das in diesen Zusammenhang gehört, hat ein ganz besonderes Schicksal erlebt. Es wurde am 11. Februar 1934 im Münchner „Völkischen Beobachter“ wieder abgedruckt, doch zeichnete ein Rudolf Proksch als Autor, denn zur Zeit des Nationalsozialismus war es offenbar „deutsches Recht“ geworden, einen österreichischen Dichter frech zu bestehlen.

Besonders charakteristisch für Zernattos Werk sind seine volksliedhaften Gedichte um Liebesglück und Liebesleid, die nach. Vertonung geradezu verlangen, und seine S'pielmannsweisen, die ganz die Klangfarbe der Scheffel-Romantik haben, wie etwa eme Strophe seines „Vagantenliedes“ dartut:

Das war ein schweres Zechgelag

Bis in den trüben, grauen Tag,

Der Römer ging in Scherben.

Wer sprach mir was vom Glück und Ghw?

Verloren dies, zerschlagen das —

Mir gilt es gleich!

Wenn Lieb' und Treue sterben,

Braucht keines was zu erben!

Aber ist das wirklich nur Romantik oder lebt hinter dem so handfest znr Schau getragenen Welttrutz und hinter dem glatten, mit kunstvollen Versmaßen gewebten Sprachkleid dieser Dichtung doch auch ein kleines, in Freud und Leid altes Menschlichen aufzuckendes und hinmüden-des Herz? Der ältere Zernatto hat die nackten Worte nicht, die enthüllen und preisgeben. In Erziehung und Beruf durchgeformt und in eine Zielgewißheit gestellt, muß es ihm widerstreben, Ungeformtes in das Gedicht zu nehmen. Aber das Herz und gerade da Herz ist da. Es bat, wenn es in seinen Versen hörbar wird, einen besinnlichen, wehmütigen S'chlag, der diesen Teil seiner Lyrik zum persönlichsten Bekenntnis macht. Und im Gedicht „Mein

MäwhenhMch“ sagt er, wofür das üSrige aufgespart ist, das er nicht aufschreiben mag:

▼enfi meine Sonne niedergeht, Wird nodi ein Morgen tagen. D werden wir in Gottes Licht, Vereint vor seinem Angesicht, Mein Lebenimärchen lesen: Wie ich gelacht, geweint, gebebt, w“ie idi gerungen und gestrebt, was Uli erlitten und erlebt, Da ich ein Mensch gewesen.

Es ist schon gesagt worden, daß die österreichischen Priesterdichter der letzten Jahrzehnte weite Kreise der Jugend be-einfluit haben. Für Professor Zernatto trifft das im allgemeinen zu, aber auch im besonderen, insofern er in der Familie seines Bruders einer jüngeren Generation den Weg in die Bereiche des Geistes und der Dichtung bahnen durfte. Ak seine Neffen noch Knaben waren, sorgte „Onkel Guido“ schon für ihre Lektüre. Wenige Wochen vor Weihnachten kam die große Kiste von Herder in Freiburg nach Treffen unter den Christbaum. Als wertvollste Gegengabe erhielt der Onkel etwa zwanzig Jahre späte- von seinem Neffen Guido Zernatto dem Jüngeren, dem späteren Staatssekretär, dessen Gedichtbuch „Die Sonnenuhr“ mit der dankbaren Widmung: „Meinem Vorfahr in Apoll und Lehrmeister herzlichst! — Treffen, 15.' April 1933.“ Mit dem jüngeren, sHei zu früh und allzu fern verstorbenen Gnido Zernatto und seinem Bruder Ot*o tritt die zweite Dichtergeneration in dieser Kärntner Familie an, die eine gesonderte Darstellung erfordert.

Die alte Laute Ans meiner alten-Laute Kam mir •■ ein fremder Klang. Es woöt' mir heute scheinen. Als ob ein fernes Weinen In meine Lieder drang.

In meiner alten Laute Lag ein vergilbtes Blatt. Die es in Schmerz geschriebr' Wußte ein Lied vom Lieben Das jäh geendet hat.

Seit ich das Blatt gelesen. Das Klingen ich versteh': Es ist vor hundert Jahren Wie heut' durchs Land g Die Lirt* und das Weh.

König Herbst

Zum Hochwald steigt der Herbst empor

Die graue Felsentreppc;

Sein Nebelmantel wallt und kreist,

Der Brombeerhecke Ranke reißt

Ihm Fetzen aus der Schleppe.

Und durch den nadelnassen Wald Weht seines Haares Strähne, Aus seinem Aug' fällt dann und wann Ein blauer Schimmer in den Tann' Wie eine stumme Träne.

In Sterbeschleiern liegt die Welt

Vor seinem Fclsenthrone;

Doch durch die grauen Schwaden bricht

Der blauen Augen mildes Licht, Das Leuchten seiner Krone.

Trost

... Des freu' ich mich, o Herr:

Daß ich dein Lob verkündet,

Und in so vielen Herzelein

Von deiner Lieb den Widerschein

Gar sorglich hab' entzündet.

Wenn einst mein Leib im Grabe ruht,

Wird von dem Feuer eine Glut,

Ein Herze wo erwarmen:

Woll' drum, dich mein erbarmen

O lieber Herre Gott!

Guido Zernatto der Ältere

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