6657254-1959_36_07.jpg
Digital In Arbeit

Druck unter Drude

Werbung
Werbung
Werbung

Ein totalitäres Regime, wie es die SED in der DDR errichtet hat, muß, aus reinem Selbsterhaltungstrieb, die geistigen Strömungen unter Kontrolle bringen. Mehr noch, es muß alle Kommunikationsmittel für seine Ziele einspannen, um den Menschen tagtäglich die Richtigkeit seiner totalitären Politik einzuhämmern. Da der Geist trotz Stäatssicherheitsdienst nicht enteignet werden kann, überführte man wenigstens diejeöigen Institute in Staatseigentum, die sich mit der Verbreitung der Geisteswerke befassen. Man nennt das in der fortschrittlichen SED- Sprache „Sektor Kultur“. Seine Aufgabe: die Erziehung zum Kommunismus. Alleinige Richtschnur des Verlagsschaffens in Ulbrichts sowjetischem Provinz ist die Frage, nützt, dieses Buch der. P rWi t oder mütat -ed.rnhr inicht.-' Präziseb formuJier.tu-. £in Buch - dasr.iaial t-,konkBet - der; SED), nützt, wirkt bereits schädlich1.“

.Auf ideologischem Gebiete gibt es für lupenreine Kommunisten keine Koexistenz, und so unterliegen alle Mittel der Bewußtseinsbildung — Presse, Rundfunk, Buch, Film und Theater — der Lenkung durch die Partei. Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Dieser Kernsatz des Marxismus-Leninismus gilt auch für den kulturellen „Ueberbau“. Das Bewußtsein der Menschen soll durch die Auswahl der ihnen zur Verfügung stehenden Literatur geformt werden. Da das gesellschaftliche Sein, oder einfacher ausgedrückt, der Alltag in der DDR nicht geeignet sein dürfte, ein befriedigendes „sozialistisches Bewußtsein“ zu erzeugen, versucht die SED den „kulturellen Sektor“ total zu steuern.

„Handwerkelei“ und „Objektivismus“ werden von der SED nicht geduldet. Das Denken der Schriftsteller („Literaturschaffenden") soll in die Bahnen des „sozialistischen Realismus“ gelenkt werden. Als Literatur anerkennt die SED nur das, was mittelbar oder unmittelbar dem Aufbau des Sozialismus dient. Die Schilderung heldenhafter Taten der „kommunistischen Neuerer der Gesellschaft" ist das Kriterium der belletristischen Literatur. Walter Ulbricht, der . neben politischen, historischen, organisatorischen, militärischen, erzieherischen, soziologischen, philosophischen, theologischen, ideologischen, medizinischen, technischen und wirtschaftlichen Kenntnissen auch noch Entscheidendes über Literatur auszusagen weiß, hat sich im Mai dieses Jahres mit dem „sozialistischen Realismus“ auseinandergesetzt und den Schriftstellern ihre Aufgabe verbindlich zugewiesen.

„Indem der Schriftsteller das Neue in der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft künstlerisch gestaltet, begeistert er die Menschen für die Erfüllung hoher Aufgaben... Ich, will ganz offen sagen: Es geht zu langsamI'Die Aktivisten, die Mitglieder der Brigaden der sozialistischen Arbeit haben ein schnelleres Tempo als ein Teil unserer Schriftsteller und Künstler... Selbstverständlich brauchen wir dieses Tempo der ideologisch-kulturellen Entwicklung der DDR nicht etwa nur, um das Leben der Werktätigen schöner zu gestalten, und deshalb, weil der Sozialismus nicht anders zum Sieg geführt werden kann, sondern auch, weil wir auf allen Gebieten der Kultur die absolute Ueberlegenheit gegenüber West-

deutschland in den nächsten Jahren Unter Beweis stellen müssen...“

Neben der wirtschaftlichen Ueberlegenheit will Ulbricht nun auch auf dem „kulturellen Sektor" die Ueberlegenheit gegenüber Westdeutschland unter Beweis stellen. Welche Merkmale die SED bei diesem Vergleich heranziehen will, verschwieg Ulbricht. Vielleicht die Buchproduktion pro Tonne und Jahr? Dabei werden die Verlage der Bundesrepublik selbstkritisch zugeben müssen, daß sie bereits ins Hintertreffen gerieten. Die Buchproduktion pro Kopf der Bevölkerung ist in der DDR tatsächlich höher als in Westdeutschland. Schließlich werden im Westen ja auch keine kiloschweren, in Kunstleder gebundenen Lenin- oder Ulbricht- Schinken in Massenauflagen hergestellt, die so- wohl3 hüben‘J0jyiÄ!5j!4drübe if‘ nicht verkauft werden können, weil sich keine Leser finden.

Die sowjetzonale Buchproduktion ist seit Anbeginn kommunistisch ausgerichtet. Die ersten Druckschriften, die nach 1945 herauskamen, waren das „Kommunistische Manifest“ und Broschüren von Stalin, Plechanow, Pieck und Grotewohl. Das Ziel, das die SED nach 1945 verfolgte, war einfach und klar. Alle Verlage mußten unter die Kontrolle der Partei kommen oder es mußten neue Verlage aus dem Boden gestampft werden, die an irgendeine kommunistisch gelenkte Massenorganisation angehängt wurden. Der „Dietz-Verlag“ (nach Gründung der. SED aus dem „Vorwärts-Verlag“ und dem Verlag „Neuer Weg“ hervorgegangen) wurde Parteiverlag der SED. Der „Kongreß- Verlag“ gehört organisatorisch zur „Nationalen Front des demokratischen Deutschlands“. Praktisch sind alle größeren Verlage irgendwie mit einer politischen Organisation gekoppelt, so daß die SED in der Lage ist, die Buchproduktion genau zu überwachen. Die wenigen noch im Privatbesitz befindlichen Verlage (es sind höchstens ein Dutzend; die SED sprach verschiedentlich von fünf) gehören allesamt treuen SED- Genossen. Von wohlbekannten Namen, wie J. H. W. Dietz, Kiepenheuer, Greifenverlag, Paul-List-Verlag, Brockhaus, Insel-Verlag 2, ist unter deni Regime Ulbrichts nichts mehr ge-r blieben als der Name. Die Mehrzahl dieser Verlage sind in der DDR sogenannte „volkseigene Betriebe“.

Der rote Faden, der sich durch die ostdeutsche Verlagsarbeit zieht, endet auf jeden Fall beim Zentralkomitee der SED. Zwei Abteilungen — nämlich „Presse und Agitation“ und „Finanzen“ — bilden die Spitze. Daneben wickelt das „Ministerium für Kultur“ die Planung, Druckgenehmigung und die Papierzuteilung an die Verlage ab. Die „volkseigenen“ Verlage unterstehen direkt dem Ministerium für Kultur, das heißt dessen „Hauptverwaltung Verlagswesen“, Alle halbstaatlichen und organisationseigenen Verlage unterstehen dem „Druckerei- und Verlagskontor“ (DVK). Auch der staatliche Buchhandel untersteht dem DVK, das die Herstellung monopolisiert und den Vertrieb über den „Leipziger Kommissions- und Großbuch- handel" (LKG) für das Gebiet der DDR, für das Ausland über die „Deutsche Buch-Export und -Import G. m. b. H." steuert. Beide Vertriebsorganisationen befinden sich in Leipzig. Der eigentliche Buchhandel wird ebenfalls systematisch verstaatlicht. In den größeren Städten sind 90 Prozent der Buchhandlungen sogenannte „Volksbuchhandlungen“, die sich nicht in Privatbesitz befinden, sondern dem Druckerei- und Verlagskontor unterstehen. Auf dem Lande konnte sich der private Buchhandel bisher noch behaupten. Allerdings kann er nur das anbieten, was ihm vom LKG geliefert wird, da selbstverständlich ein direkter Bezug aus Westdeutschland oder dem Ausland (auch Ostblockstaaten) nicht möglich ist.

Die Hauptverwaltung Verlagswesen des Ministeriums für Kultur und das Druckerei- und Verlagskontor bilden praktisch die Gesamtverlagsleitung für die Zone und zudem das Cheflektorat. Beide Institutionen lenken zentral die Buchproduktion von der Themenauswahl und der Papierzuteilung bis zum Sortiment. Mit diesem Organisationsihstrument versucht die SED die Literaturproduktion von „planfeindlichen Zufällen" abzuschirmen. Es werden auf Jahre hinaus sogenannte „Perspektivpläne" zusammengestellt, die den einzelnen Verlagen nach dem jeWeilTgen' Themengebiet zugewicsen werden. Die SED glaubt, den „Manuskriptausstoß“ genau so einplanen zu können, wie etwa den Ausstoß von Automobilen. Was dann als fertiger Druckbogen herauskommt, ist häufig Makulatur. Der Geist läßt sich — zum Leidwesen der Parteifunktionäre - nicht einplanen, und wirklich gute Manuskripte sind, dort wie überall, Geistesblitze aus heiterem Himmel. Sie werden dann von dem Verlag freudig auf gegriffen, um die schon übermäßig lange hängenden „Plangurken“ aus der Themenliste herausstreichen zu können.

Die schwerste und politisch gefährlichste Aufgabe fällt den Lektorenkollektiven zu, die eingehende Manuskripte auf Parteilinie biegen müssen und dabei Gefahr laufen, daß diese Parteilinie bis zur Herstellung des Buches sich selbst weiter verbogen hat. Daher wird jedes Manuskript nicht nur vom Fachlektor und vom Cheflektor geprüft, sondern muß auch — gleich welchen Themas — das Lektorat „Gesellschafts wissenschaften“ passieren. Oberste Richtschnur des Lektors ist in jedem Falle die „Parteilichkeit“ des Manuskripts.

Neben der ideologischen Kontrolle ist die SED bemüht, die Verlagsarbeit.zu konzentrieren.. Während im Jahre 1955 in der DDR. noch 117 Verlage gezählt wurden, weist der „Bücherkatalog 1958/59“ nur noch 89 Verlage.aus. Im Jahre 1927 bestanden auf dem Gebiete der heutigen DDR noch 1028 Verlage. Das Schwergewicht der Verlagsarbeit verlagert sich zunehmend von Leipzig nach Berlin. Bereits 1955 er- schienen von insgesamt 5359 Titeln 3209 in. Ost-Berlin und nur 1305 in Leipzig (der Rest in anderen Städten). Leipzig, das 1927 401 Verlage zählte, kam 1955 noch auf 3 5 und 1958 weB piß ann t&IFWl r . tion- jiinimt dagegen ständig zu. bnUahpe W7 wurden in der DDR 8277 Titel' herausgegeben und im Jahre 1958/59 dürfte die 10.000-Marke erreicht sein. Die Parteiliteratur hält dabei selbstverständlich sowohl nach Titeln als auch nach Auflage die Spitze. Größter Verlag in Mitteldeutschland ist der parteieigene Dietz- Verlag (Berlin), der Parteiliteratur in Massenauflagen produziert. Wobei Parteiliteratur auch als „schöne, Literatur“ und „Lyrik“ angepriesen wird. An zweiter Stelle rangiert der „Akademie- Verlag“, Qst-Berlin, der führende Wissenschaft- liehe Verlag. Größter belletristischer Verlag — auch im gesamtdeutschen Maßstab — ist der „Aufbau-Verlag“ in Ost-Berlin.

Charakteristisches Merkmal der DDR-Buchproduktion ist die Verschiebung innerhalb der Fachgebiete. Ganz deutlich ist aus den Veröffentlichungen abzulesen, daß sich die Parteifunktionäre vor gewissen Themen drücken. Alles, was sich nicht in den Marxismus-Leninismus einordnen und mit ihm erklären läßt, wird vernachlässigt. Das wären žum Beispiel, die Fachgebiete Philosophie, Religion, Psychologie, Geschichte, Volkskunde und Handel. Themen, die in diese Fachgebiete fallen, werden praktisch nicht auf gegriffen oder nur in oberflächlichen Pamphleten abgehandelt. Historische Themen sind am meisten gefürchtet. Selbst aus der sogenannten „Geschichte der Arbeiterbewegung“ wurden bislang nur einzelne „Geschichten". Man kann den älteren Genosseh, die aus eigener Erfahrung noch wissen, wer beispielsweise Leo Trotzki war, wohl auch kaum zumuten, daß sie auf die Geschichtsmärchen der SED hereinfallen. An den historischen Tatsachen wird die „Lite- taturproduktion“ der DDR noch etliche Jahre zu beißen haben, darüber wird auch der neueste Beschluß des Politbüros des ZK der SED zur Gestaltung der Parteischulung 1959/60 nicht hinweghelfen, der lautet: „Die Kulturrevolution der DDR — Grundlage der Kultur des neuen Deutschlands.“

1 „Leipziger Börsenblatt" vom 31. Mai 1958.

9 Die meisten Verlage befinden sich heute in Westdeutschland, nachdem sie in der Zone enteignet worden waren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung