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„DU HOLDE KUNST...“

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Noch klingen mir die Worte im Gemüt, die Bruno Walter dem kurz vorher dahingegangenen Freunde ins Grab nachgesandt hatte, dem „teuren Freunde“, der mit ihm unvergeßliche Konzerte zelebriert hat und dessen Spiel ihm stets inniges Entzücken vermittelte, hohe Anregung zu gemeinsamem Schaffen. Noch träumte ich vom eigenen Erlebnis solcher Fest- und Weihestunden der Musik, als eine neue Trauerbotschaft uns erreichte: Bruno Walter, der den Freund, mit der ihm eigenen Fähigkeit selbstloser Begeisterung, zu verherrlichen wußte, war gleichfalls in die Sphäre eingegangen, wo ewige Harmonie herrscht. Doppelt bewegt, ja erschüttert lauschte ich in einer Feierstunde des Gedenkens der Wiederholung jener Worte Bruno Walters, als wäre es in Wahrheit eine Stimme der Verklärung. Erinnerungen steigen auf von vielen Stunden, die mich den beiden großen Meistern nahegerückt, Stunden höchsten Entzückens, da sie gemeinsam im Dienst der holden Kunst sich Meisterwerken neigten.

An diesen Höhepunkten der Begegnung werde ich zu Momenten persönlichen Erlebens geführt, die eng mit dem Schaffen der beiden Meister verbunden sind. Zuallererst mit Fritz Kreisler, mit dessen früher Entwicklung als Musiker ich schon in meinem Elternhaus in Berührung kam. Ja, noch ehe ich das Licht der Welt erblickte, hatte Dr. Kreisler, der Vater des jungen Fritz und unser Hausarzt, seinen Sohn in unsere Familie eingeführt. Meine blonde Mama hörte dem Geigenspiel des Kindes zu, mit dem sicheren Gefühl, daß hier eine wirkliche Künstlerschaft sich vorbereitete, wobei auf Wunsch seines Vaters alles vermieden wurde, was den Begriff Wunderkind so billig macht. Als ich dann, selbst noch Kind, in die Geheimnisse der Musik den Weg suchte, ist mir wiederholt der junge Geiger Hilfe und Wegweiser gewesen, vielleicht ohne daß er es wußte. Meine Familie blieb in regem Verkehr mit Dr. Kreisler und dessen anmutiger Tochter, auch sie sprachlich und musikalisch begabt, sowie ihrem Zwillingsbruder, dem späteren Cellisten Hugo, dessen früher Tod dem Bruder sehr naheging. In späteren Jahren verbrachten wir mit Dr. Kreisler und seiner Familie zwei wundervolle Sommer in dem uns heute verschlossenen Waldparadies Gräfenberg in den Sudeten mit seinen siebzig kristallklaren Quellen, und jeder Tag brachte Briefe und Nachrichten von Frjtz, dessen Ruhm inzwischen weltumspannend geworden war. Die Lektüre solcher Briefe zeigte den Menschen, dessen Bescheidenheit und Herzensgüte durch seine Berühmtheit nur noch erhöht wurde. Während seines ganzen Schaffens hatte er jeden persönlichen Überfluß abgelehnt und seine

reichen Einnahmen den Notleidenden zugewendet, wobei ihn seine junge Frau tatkräftig unterstützte.

Später, als ich als Musik- und Theaterrefeientin in München sehr häufig von der Staatstheaterintendanz zu mancher Beratung und Mitarbeit beigezogen wurde, habe ich das Glück gehabt. Bruno Walter in einer bedeutsamen künstlerischen Angelegenheit näherzukommen. Bruno Walter war als genialer Pianist und Chopin-Interpret schon während seiner gemeinschaftlichen Arbeit mit seinem Lehrer und Meister Gustav Mahler in Wien und anderen Großstädten hervorgetreten und erst allmählich wegen der Überfülle seiner Dirigentenaufgaben von dem Klavierspiel abgerückt. In der Chopin-Biographie des amerikanischen Musikhistorikers James Huneker war dem Dirigenten wie dem Pianisten begeistertes Lob gespendet worden. Wie groß war meine Freude, als Bruno Walter mich in den Räumen der Staatsoper begrüßte und, Hunekers Chopin-Biographie in meiner Übersetzung in den Händen, mich um eine Widmung bat. Im weiteren Verlauf des sehr angeregten Gesprächs kam es zum Plan eines gemeinsamen Chopin-Abends, bei dem Bruno Walter zum erstenmal wieder in München Klavierwerke von Chopin vortragen und vor allem mit zwei Kollegen das Trio, das seltsamerweise fast unbekannt war, spielen sollte. Dazu sollten Chopin-Lieder und meine eigenen Chopin-Verse kommen, die schon in Wien zur Aufführung gelangt waren. Da brach die Krise aus, und Bruno Walter verließ München und ging nach Berlin. So hatte ich durch längere Zeit Gelegenheit, seine großartige und warmherzige künstlerische Persönlichkeit zu bewundern und vor allem die Treue, die ihn seinen Kollegen verbunden hat.

Bald darauf habe ich in München Fritz Kreisler bei einem seiner großartigen Solistenkonzerte wiedergesehen und mit ihm über gemeinsame Erlebnisse in der österreichischen Heimat geplaudert. Später hat uns, wie so viele andere Menschen, die Weltgeschichte auseinandergerissen. Als ich die warmen Gedenkworte von Bruno Walter für Fritz Kreisler vernahm, ohne zu ahnen, daß er wenige Tage später ihm im Tode wieder verbunden sein sollte, erstand in meinem Geist der unermeßliche Reichtum von Beglückungen und Wohltaten, den die beiden Männer wie einen unsichtbaren Bogen über die ganze Welt gespannt hatten. Und im Einklang mit dieser Erkenntnis hörte man von jenseits des Ozeans die Stimme der großen Sängerin Lotte Lehmann, die mit bewegten Worten und tiefem Dank von ihrem Lehrmeister Bruno Abschied nahm.

Mr war es ein Symbol, daß die Kunst Zeit und Grenzen überdauert.

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