Andreas Fasching ist der erste SOS-Kinderdorf-Vater der Welt. Gemeinsam mit seiner Frau, einer leiblichen Tochter und vier anvertrauten Kindern lebt er das tagtägliche Abenteuer Großfamilie - und hat seine Berufung gefunden.
Eigentlich wäre er gerade heiß begehrt. Eigentlich müsste er gerade selbst gekrakelte Porträts bewundern, Puppen reparieren oder zwei kleine Mädchen versöhnen. Schließlich ist die Vierjährige, nennen wir sie Vanessa, gerade aus dem Spielzimmer gestapft, am selbst gezimmerten Chinchilla-Käfig vorbeigeschlüpft und beim großen Esstisch gelandet, um sich lautstark über ein taktisches Foul ihrer Spielkameradin zu beschweren. Doch ihr Papa ist leider beschäftigt. "Hör zu, Vanessa", sagt er mit stoischer Gelassenheit, "ich habe jetzt ein Interview, und da muss ich reden, ohne dass du dauernd zu mir kommst und etwas fragst. Wenn du etwas willst, dann geh bitte einfach zur Jelena."
Es muss viel passieren, damit Andreas Fasching seine Contenance verliert. Und das ist gut so: Schließlich ist Geduld - neben Konsequenz und der unabdingbaren Liebe zu Kindern - sein größtes berufliches Kapital. Seit Dezember 2007 ist Fasching als SOS-Kinderdorf-Vater im Einsatz. Gemeinsam mit seiner 24-jährigen Ehefrau Jelena, der dreijährigen, leiblichen Tochter Samantha, drei weiteren Mädchen, einem Buben und ein paar Chinchillas lebt er in einer großen, modernen Wohnanlage in Wien-Floridsdorf - Tür an Tür mit Studierenden, Singles und "ganz normalen" Familien.
Fels in der Brandung
"Floritz" nennt sich dieses erste urbane und integrative Kinderdorf-Projekt, das neben zwei weiteren SOS-Kinderdorf-Familien und fünf Wohngruppen auch noch ein Kommunikations- und Kompetenzzentrum namens "FamilienRAThaus" sowie das "Café Floritz" umfasst. Hier, im Café, oder in einer nahen Besucherwohnung können die leiblichen Eltern alle zwei Wochen ihre Kinder kontaktieren, gegebenenfalls zu Ausflügen abholen oder mit Kinderdorf-Eltern wie Andreas Fasching aktuelle Fragen und Probleme besprechen. "Natürlich ist auch in unserer Familie nicht immer alles nur toll", gesteht der Profi-Vater. Auch sei der Kontakt zu den Müttern und Vätern, die selbst mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert waren und teilweise das Sorgerecht an das Jugendamt abgeben mussten, oft schwierig. "Aber sie sehen auch, dass es ihren Kindern gut geht und dass es hier die nötigen Ressourcen gibt."
Es gibt 180 Quadratmeter Heimeligkeit und einen Garten zum Austoben; es gibt klare Grenzen und eine fixe Tagesstruktur; und vor allem gibt es da diesen Papa, den so gar nichts aus der Ruhe bringt.
Andreas Faschings außergewöhnliches Erziehungstalent kommt nicht von ungefähr. Er ist 14 Jahre alt, als sein kleiner Halbbruder geboren wird. Ein Jahr später beginnt seine Mutter, über den Verein "Allianz für Kinder" vorübergehend kranke ausländische Kinder zu beherbergen, die in Österreich medizinisch behandelt werden. Schließlich nimmt sie als fixe Pflegemutter nach und nach drei Pflegekinder auf. "Damals habe ich die Verantwortung, aber auch die Freude mitbekommen, die ein Leben mit Kindern mit sich bringt", erzählt Andreas Fasching.
Der Anstoß, seine Berufung zum Beruf zu machen, kommt freilich auf Umwegen: Nach einer Tischlerlehre ist Andreas Fasching vorerst als Bühnentechniker an der Wiener Staatsoper im Einsatz, als er plötzlich wegen Rückenproblemen gezwungen wird, sich neu zu orientieren. Der 22 Jahre junge, frisch verheiratete Mann informiert sich über ein mögliches Engagement bei der "Allianz für Kinder" - und lotet mit dem zarten Hinweis "Du, Schatz, wir bekommen ein Kind!" die Bereitschaft seiner Gattin aus. Als sie ihm ihren Sanktus gibt und eine Probephase für alle positiv verläuft, beschließt das Paar, das Projekt "Berufseltern" auszubauen. Im August 2006 beginnt Andreas Fasching im SOS-Kinderdorf in der Hinterbrühl ein einjähriges Praktikum und in Wels die vorgeschriebene Ausbildung. Ein Jahr später, zwei Monate nach der Geburt der leiblichen Tochter, schreibt er schließlich als weltweit erster SOS-Kinderdorf-Vater Geschichte.
Auch wenn in Österreich mittlerweile zwei weitere Männer diese Ausbildung durchlaufen: Als hauptberuflicher Vater ist und bleibt der junge Mann ein Exot. In der "Mutter-Rolle" sieht er sich trotzdem nicht: "Die wird von meiner Frau ausgefüllt, ohne die ich mir das alles gar nicht vorstellen könnte", erklärt er. Die ehemalige Friseurin lässt sich derzeit ebenfalls zur Familienpädagogin ausbilden und ist mit 20 Wochenstunden beim SOS-Kinderdorf angestellt. Eine weitere Betreuerin, die sich ebenfalls mit 20 Stunden einbringt, unterstützt die beiden und ermöglicht ihnen kurze Auszeiten vom täglichen Abenteuer Großfamilie.
Es sind kostbare Zeiten, die Andreas Fasching gern zum Tischlern nutzt. Oder auch nur dazu, neue Pässe oder Jacken zu besorgen - ohne fünf Kinder zwischen drei und acht Jahren im Schlepptau. "Insgesamt habe ich aber wenig Bedürfnis, hier rauszumüssen und mich abzugrenzen", sagt dieser junge Mann mit stoischer Gelassenheit. "Wenn es allen gut geht und wir miteinander viel Spaß haben, das entspannt mich mehr als alles andere."
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