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Dürfen Heilige nichts fühlen?

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„Versuch einer Annäherung an das Phänomen der Heiligkeit” nennt die Autorin ihren Beitrag.

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„Versuch einer Annäherung an das Phänomen der Heiligkeit” nennt die Autorin ihren Beitrag.

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Es gibt Märtyrer im Glauben, deren Leidensweg uns faßbar ist. Ob Jesus selbst oder seine Nachfolger im Heute: ob Dietrich Bonhoef-fer, erhängt als Christ und politischer Aktivist im KZ Flossenbürg, ob Edith Stein, ermordet in Auschwitz, ob Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, die bewußt Gefahr liefen, sich ihren Mitmenschen ans Messer zu liefern. Ihr Glaube war ein Glaube an die Veränderbarkeit der Welt hin zum Guten, im Namen Gottes und im Namen der Vernunft. Es war ein Glaube, der die Spiritualität selbstverständlich miteinschloß, indem er dem Schrecken die Utopie entgegenstellte, die Utopie der „guten Mächte” - um mit Bonhoeffer zu sprechen - die uns „wunderbar” bergen.

Hier soll jedoch weniger von Märtyrern im Glauben als von Heiligen die Bede sein, vom Phänomen der Heiligkeit und vornehmlich von der weiblichen Seite dieses Phänomens, das die patriarchalisch dominierte Kirchengeschichte entscheidend prägte und das begriffen werden kann als ein gewolltes Abweichen vom männlichen Logos.

Als Kind waren Heilige für mich Vorbilder und Schreckgespenster zugleich. Da gab es die Namenspatronin Elisabeth von Thüringen -, die für Edelmut und Großzügigkeit stand: das waren nachvollziehbare Größen. Dann gab es den Beliquienkult: die Gebeine in kirchlichen Vitrinen zur Ansicht freigegeben, die uns Kindern Furcht einflößten. Irgendwo dazwischen, vertraut und illuster zugleich, tummelten sich die Heiligen des Volksmundes. Das „Turamichele” zum Beispiel, das im ehrwürdigen Augsburger Perlachturm eines Hans Holbein zu vorgegebener Stunde den Drachen erstach, wofür wir Kinder ihm stets dankbar waren, als einer tatkräftigen Erscheinung, die in Aktion trat, wenn Bedrohung angesagt war.

Die erste Heilige, die mein Glaubensideal in der Pubertät prägte, war Franz Werfeis Bernadette, ein zur Vision ausersehenes Mädchen aus dem Volk, dem statt der Macht der Worte die Kraft des Sehens gegeben war. Der Eindruck, den die Klarsicht dieser Figur in mir erweckte,*war so stark, daß ich es nicht aufs Spiel setzen würde, nach Lourdes zu pilgern, um sie dort womöglich dem Handel mit Kult und Kirche preisgegeben zu sehen. Mögen dort Wunder geschehen, die Lust an der Sensation möchte ich mir ersparen. Auch Bernadettes Kraft des inwendigen Sehens wurde vom Wort manipuliert. Sie war den Herrschenden ihrer Zeit ein Dorn im Auge, sie blieb ihnen Bechenschaft schuldig wie vor ihr Jeanne d'Arc, die auf dem Scheiterhaufen brennen mußte, wie Agnes Bernauer, die man 1435 in der Donau ertränkte.

„Logos-Lüge-Libido”

Wohl denjenigen unter den Frauen, die ihre Begabung zur Leidenschaft, zur Vision, hinter schützenden Klostermauern zum Ausdruck bringen konnten. Wenngleich unter männlicher Kontrolle. Ein apartes Beispiel männlich zensurierter weiblicher Spiritualität sind die schriftlich verbrieften Offenbarungen der österreichischen Nonne Agnes Blannbekin aus dem 13. Jahrhundert., deren körperliches Erleben geistiger Verzückung die Kirche der Öffentlichkeit vorenthielt, bis Oskar Panizza sich ihrer bemächtigte als den „Offenbarungen einer Geisteskrankheit”.

In „Nicht-Ich”, ihrer herausragenden Studie zur Geschichte der Weiblichkeit und zur Notwendigkeit der sogenannten Hysterie mit dem Untertitel „Logos - Lüge - Libido”, verwehrt sich die Publizistin Christina von Braun gegen das Dogma der „gewaltsamen Trennung von Körper und Geist”, gegen die „Vereinnahmung der Sexualität durch die Sprache”, wie sie nach wie vor von der Kirche, aber auch von anderen Institutionen wie der Psychoanalyse, propagiert wird.

Die erotischen Wahrnehmungen von Nonnen und Heiligen, Geistigkeit als Anlaß zu sexueller Verzückung, dürfte vor dem Mittelalter kirchlich weniger reglementiert worden sein als heutzutage, da Spiritualität an und für sich zumeist unverstanden bleibt. Eine Nonne, die ihre erotische Sehnsucht im Hinblick auf den Mann Jesus anderen gegenüber eingestehen würde, würde auch als geistig abnorm eingestuft werden. Da haben es die Mönche im Kloster in mancherlei Hinsicht leichter.

Frauen unseres Jahrhunderts, die die katholische Kirche heilig sprach, weil sie für die Kontinuität der Keuschheit stehen, durften wohl ihre Leidenschaft für ihren Glauben zum Ausdruck bringen, doch gab es den unausgesprochenen Zwang, auch im Herzen dieser Frauen, ihre Leidenschaft identisch zu setzen mit der Leidenschaft für die Kirche. Frauen wie Simone Weil, für die Glaube Gottessuche war und das Eingeständnis der Unvollkommenheit in die eigene Einsichtsfähigkeit, waren der Obrigkeit nicht dienlich und sind in den An-nalen der Kirchengeschichte nicht verbrieft.

Ein ergreifendes Beispiel für die Begabung zur Leidenschaft ist die Geschichte der Heiligen Therese von Lisieux, von der der Schriftsteller Julien Green sagte, sie habe die Unendlichkeit im Herzen. Eine junge Frau, die niemals Stimmen hörte, die keine sogenannten Tröstungen erhielt, von der es heißt, sie habe das Evangelium in der Nachfolge Christi richtig verstanden.

Was mich an der Figur der kleinen Therese betroffen macht, ist die tragische offene Ambivalenz ihrer Leidenschaft: das Gefühlsverbot, das auf ihr lastet und das unvereinbar ist mit der Intensität ihres Gefühlserlebens. So schreibt die junge Nonne in ein und demselben Brief: „Lieben wir es, nichts zu fühlen, dann werden wir arm sein im Geist und Jesus kommt uns zu holen ...” und fährt an zweiter Stelle fort: „0, wie möchte ich es Ihnen begreiflich machen, was ich fühle...”

Gefühlsverbot und Gefühlserleben

Die willentlich herbeigeführte Distanz vom Gefühl muß die kleine Therese frühzeitig lernen. Als sie vier Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter, die neun Geburten hinter sich hat und mit Therese zum letztenmal schwanger ist. Zehnjährig erlebt sie den Verlust ihrer Lieblingsschwester an den Karmeliterorden, der sie an Epilepsie, Halluzinationen und Abmagerung erkranken läßt. Kein Wunder, daß sie in der Erstkommunion ihren Hunger nach Liebe zu stillen, zu kompensieren sucht. Der Verlust einer weiteren Schwester an den Orden löst in ihr das Dringlichkeitsbedürfnis aus, selbst

Karmeliterin zu werden. Sie erreicht dies unter kämpferischem Einsatz, nachdem sie erst einmal vom Papst abgewiesen wird.

Therese von Lisieux ist ein kurzes, der Selbstaufopferung preisgegebenes Leben beschieden. Der rigide Klosteralltag wird für sie erst nach fünfjähriger Gemeinschaftszugehörigkeit durch die Wahl ihrer Schwester Agnes zur Priorin verschönert. Zum Schreiben aufgefordert verfaßt Therese zwei Stücke über Jeanne d'Arc und versucht sich auch hingebungsvoll als Darstellerin. Ihr Schreiben freilich geht Hand in Hand mit einer Krankheit zum Tode, der Tuberkulose. Als Frau fühlt sich Therese mit jenen Frauen solidarisch, die den Kreuzweg Jesu, anders als die Apostel, bis zu dessen Sterbestunde teilten. Sie ist der tiefen Überzeugung, daß die Frauen auf Erden mehr an Verachtung erleiden als die Männer.

Den Grund dafür sieht sie im göttlichen Auserwähltsein der Frau, zu deren Priester- und Prophetenberufung sie sich selbst bekennt. Es erscheint in diesem Zusammenhang bizarr und ermutigend zugleich, daß Therese von Lisieux als Schutzpatronin der Priester gilt, deren römischkatholische Vertreter die Priesterweihe doch nach wie vor als männliches Privileg zu erhalten trachten.

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