6647919-1958_35_08.jpg
Digital In Arbeit

Düsenjäger und Höhlenkirchen

Werbung
Werbung
Werbung

„ABER KEINE SPUR, DAS MACHT NICHTS“, zerstreute der türkische Major unsere Bedenken, als wir auf der Fahrt von Adana nach Kayseri mit unserem Wagen plötzlich erschrocken stehenblieben und auf die Tafeln zu beiden Seiten der Straße blickten, die „Askeri mintika“ („Militärische Zone“) als Aufschrift trugen.

„Himmeldonnerwetter“, hatte unser Fahrer geflucht und war blaß geworden, „da habe ich ja was Schönes angerichtet!“ Man konnte seine Bedenken und Befürchtungen verstehen: jeder, der die Türkei auch nur einigermaßen kannte, wußte, daß das Betreten militärischen Sperrgebietes zu dem Unangenehmsten gehört, was einem Fremden passieren kann. Alle unsere Gepäckstücke würden wohl im nächsten Augenblick durchwühlt werden, Leibesvisitationen und peinliche Verhöre, die sich bis in die späte Nacht zogen, würden folgen, Tätlichkeiten begeisterter türkischer Patrioten, die isich freuten, einen Spion ertappt zu haben. Wer konnte wissen, wie lange wir im Gefängnis sitzen müssen, bis uns jemand auf diplomatischem Wege oder sonstwie herausholte. War nicht unser Generalkonsul wieder einmal auf die Jagd gefahren, also unauffindbar?

Ein dichter Schwärm von Soldaten hatte im Augenblick einen Kordon um uns gezogen. Sie sahen herzerfrischend unfreundlich aus und trugen die Maschinenpistolen längst nicht mehr über der Schulter. „Aber, bitte, kommen Sie nur“, wiederholte der Major, der erst türkisch gesprochen hatte, in mühseligem Deutsch, und pfiff seine Leute zurück. „Sie wollen doch sicher den Flugplatz sehen!“

„Mit größtem Vergnügen!“ gab ich zur Antwort und stieß unseren Fahrer, der etwas langsamer verstand, kräftig in die Seite. „Wenn wir Sie nicht belästigen?“

Im Weiterfahren erläuterte der Major uns die Anlagen ringsum, und der Mund unseres Fahrers, der vor Erstaunen noch immer weit offen stand, schloß sieh widerstrebend! ,Ja, aber“, stieß er endlich hervor und war mit einem Satz schon so in Fahrt, daß er den Rückwärtsgang nicht mehr hineinbekam, „ist denn das nicht geheim?“

„Natürlich“, gab ihm der Major recht, „aber wir gehören doch alle zur NATO, nicht wahr?“

Und da niemand da war, der ihm seinen Glauben nehmen wollte, bewunderten wir die neuesten Bombermodelle, Jäger und manches andere. Das war nicht viel früher, als die Amerikaner wegen der Unruhen in den arabischen Ländern auch in der Türkei Truppen landeten. Was sie wohl gesagt hätten, wenn ihnen bekanntgeworden wäre, daß Fremde alles besichtigt hatten? Ich sehe unseren freundlichen Major wie leibhaftig vor mir, wenn ich daran denke; und fast glaube ich, auch seine Antwort zu kennen: „Nichts können die Amerikaner dagegen haben“, hätte er wohl gesagt, „denn wir gehören ja alle zur NATO!“ ,

Von einem Leutnant geleitet, kamen wir aus dem Sperrgebiet unangefochten wieder heraus und wischten uns nachträglich noch den kalten Schweiß von der Stirn. Aber so ist dieses eigenartige Land: manchmal wird jemand bloß deshalb verhaftet und blutig geschlagen, Weil er einige Minuten auf einer (völlig unmilitärischen) Wiese liegend, vielleicht irgendeine Warnungstafel . übersehen hat, dann wieder erhält man unter fachmännischer Leitung einen kurzen, aber umfassenden Ueberblick über einen NATO-Flugplatz.

DIE TÜRKEN MÖGEN - wie alle Völker -auch unangenehme Eigenschaften haben; eines aber muß man ihnen lassen: sie sind treu. Sie vergessen ihre Freunde niemals und setzen mit der Einspurigkeit einfacher Menschen ihr Leben für sie ein, tun für sie alles, was nur in ihren Kräften steht, und erwarten von ihnen die gleiche Haltung.

Unser Wegweiser begleitete uns bis weit über den Taurus und gab uns zum Abschied eine Straßenkarte mit: „Damit Sie den Weg nicht ein zweites Mal verfehlen. ..“, lächelte er, aber es klang doch wie eine kleine Warnung. „Auf dieser Straße da kommen Sie nach Nevschehir und Uergüp zu dem Tal der tausend Klöster. Ich glaube nicht, daß es auf der Welt noch ein zweites Tal wie dieses gibt. Auch wohl keine Reisenden, die von einem Düsenflugplatz glatte eineinhalb Jahrtausende zurück in die Vergangenheit fahren...“ Er winkte uns zum Abschied: „Güle, güle — auf Wiedersehen! Möge Ihr Weg vor Ihnen offen sein ... !“

Wie recht der Leutnant mit seinen Worten gehabt hatte, sahen wir erst am nächsten Tag, als wir in unserem kleinen Dorfhotel die Augen aufschlugen und aus dem Fenster blickten. Ja, das war es wirklich und leibhaftig, das „Tal der tausend Klöster“! In imponierender Oede flirrte das Land unter der glühenden Sonne, strahlte eine weiße Wirrnis von vulkanischen Kegeln das empfangene Licht zurück zum bleiernen Himmel. Wo ein welkes, dürres Grün sich hervorwagte, verstärkte es den Eindruck der Verlassenheit, statt ihn zu mildern.

Von Ferne hob der Erdschias sein mächtiges Haupt, als betrachte er wohlgefällig sein Werk. Auf einer Fläche, die etwa dem Burgenland in Oesterreich entspricht, hatte er seinen vulkanischen Tuff angelagert und dann wuchtige Brocken härteren Gesteins darübergeworfen. Wußte er, zu welch gewaltiger Architektur der Winterregen der Jahrtausende die Gesteinsmassen ausschleifen würde? Korn um Körnchen trug er von dem weichen Tuff ab, einzig und allein von den dichtverstreuten Blöcken gehindert, die ihm sein Zerstörungswerk wehren wollten. Aber der Regen wusch den Tuff rings um die Blöcke ab und trug ihn hinweg, daß schlanke Säulen emporwuchsen, die ■ wie von mächtigen Häuptern gekrönt schienen. Der Winterregen grub Schluchten in das Land und riß ihm tiefe Wunden von schmerzlicher Schönheit, meißelte mit feinen Hammerschlägen. Burgen und Schlösser, ließ schweigende Schildwachen in ragende Höhe wachsen und brach voller Ungeduld die von ihm geschaffenen Gebilde wieder entzwei, wie ein Kind, das ein anderes Spielzeug gefunden hat.

Soweit man die Spuren verfolgen kann, lassen sie darauf schließen, daß schon zur Zeit der Apostel an verschiedenen Orten Einsiedler und Gemeinschaften diese Täler besiedelten. Bis hinauf ins 20. Jahrhundert setzte sich die Tradition fort, die vielleicht schon bei Paulus beginnt: erst 1924, ftäW'tferh türM&rietfWSf-heits'krieg unter*Ätart*,“'Vifließetf!,aie“letzten Christen unter Zwang das „Tal der tausend Klöster“.

Es sind in Wirklichkeit viel mehr, zehn-tausende wohl, die noch zum Teil unbekannt und unerforscht sind. Der weiche Tuff lud dazu ein, sich seine Wohnstätte nicht zu erbauen, sondern einfach in den Stein zu graben. Es war ein Paradies für mönchische Gemeinschaften, da jeder sich seine Zelle aus dem Berg schabte, daneben einen kleinen Andachtsraum, eine Kirche, Gemeinschaftsräume, Speisesäle, in denen der Tisch und die Bänke aus gewachsenem Fels bestehen, die Wölbungen nicht gemauert, sondern herausgemeißelt sind ...

DEN WAGEN HABEN WIR IRGENDWO STEHEN LASSEN: er war dem Flugplatz noch gerade adäquat gewesen, hatte aber hier keine Berechtigung mehr. Nein, hier konnte man nur gehen — per pedes apostolorum — oder auf einem kleinen Esel reiten.

Trotz der Hitze vermeint man manchmal ein Frösteln zu fühlen, so tot, so trostlos verlassen liegen die Wohnstätten da, die leeren Kirchen, in die jetzt das heiße Licht des Mittags glüht, nachdem die gleiche Natur, die gewaltige Massive hier angesammelt hatte, sie wieder zer-bYacVUÄi fcewtfc&senen Ffels einstürzen ließ, ihn zerbrachwiWlneniünne.Ei\f9bhaIe, die Ruinen aber dastehen ließ, als Mahnmal für uns und die kommenden Geschlechter.

In einem nahen Dorf haben die Bauern für ihr Kaffeehaus eine der Höhlen benützt, einer alten Frau dient eine Kapelle mit packenden Fresken als Geräteschuppen, den sie abends zusperrt. Durch die Gesichter der Heiligenbilder laufen tiefe Schnitte, die nicht der Regen schuf, die nicht das Erdbeben hervorrief. Man kratzte ihnen die Augen aus und verstümmelte sie, daß sie dastehen wie Märtyrer, wie tote Gestalten in einem Panoptikum der Heiligkeit und des Hasses.

Aber die Bauern sind wißbegierig. Einen dichten Kreis schließen sie um uns in dem kleinen Höhlenraum, der etwa drei Meter im

Geviert messen mag, so dicht, daß uns keine halbe Armlänge von ihren kantigen Gesichtern trennt. Bald haben sie alles erfragt, was ihnen an uns wissenswert scheinen mag und mehr. Immer wieder schieben sie ein neues Glas. Tee zu uns, um uns zu bewirten. Es sind gute Menschen, hilfsbereit und treu wie das ganze Land. Irgend jemand wirft plötzlich die Frage zwischen uns, und es ist, als müsse es so sein, daß sie den Namen dessen aussprechen, der noch immer auf den leeren Altären gegenwärtig ist. Die Männer rücken noch dichter heran. Wenn es mir möglich wäre, den Arm auszustrecken, könnte ich ihrer acht oder zwölf berühren.

„Gibt es in deiner Heimat auch Moscheen?“ ' „Nein.“

Sie nicken schwerfällig und wie mißverstehend mit den Köpfen. Wie das denn nur möglich sei?

Einige beginnen leise zu murren, als sie hören müssen, daß Europa christlich sei (ist es wahr, was ich ihnen sage?), als sie von Christus hören, der Sein Leben für alle Menschen gab. Auch für sie. Es kommt ihnen merkwürdig vor und irgendwie beachtlich. [

Sonst nichts.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung