
Dummheit ist kein Kavaliersdelikt
Mojca Kumerdej kleidet in „Chronos erntet“ eine Analyse der Mechanismen der Macht in ein historisches Gewand.
Mojca Kumerdej kleidet in „Chronos erntet“ eine Analyse der Mechanismen der Macht in ein historisches Gewand.
Wer das Volk kritisiert, hat momentan keine guten Karten. Es ist der Souverän, ist im Besitz blutig erkämpfter Rechte, abgerungen autoritären politischen Systemen. Kein Politiker würde ein kritisches Wort verlieren über das Volk, wenn es Entscheidungen trifft, die mühsam erworbene Fortschritte wieder zurückdrängen. Umso mehr ist von Demut die Rede, wenn nach geschlagenen Wahlen die Spitzen der Macht ihren Dank an das Volk abstatten. Von der Politik wird das Volk umworben, die Literatur aber hofiert es nicht. Die Slowenin Mojca Kumerdej spricht ihre Vorbehalte nicht direkt aus, sondern verkleidet sie in einen Roman, der rund um das Jahr 1600 angesiedelt ist, als das heutige Slowenien von den Habsburgern verwaltet wurde. Auch den Herrschenden traut diese Autorin nicht über den Weg, was die Lage prekär macht. Es gibt niemanden, an den man sich halten könnte. Das ist schwer zu widerlegen, zumal sich Kumerdej den Mechanismen der Macht zuwendet.
Der Einzelne spielt in diesem System von Anpassung und Unterdrückung keine Rolle. Als miserable Charaktere erweisen sich alle, die, denen daran gelegen ist, als Profiteure der Macht das Eigenwohl zu steigern, und jene, die mitspielen, um nicht als unbotmäßige Bürger aufzufallen, die von der Obrigkeit drangsaliert und eliminiert werden dürfen. Dazu bedarf es keiner auffallend rebellischen Haltung: „Und wenn einer Lindengötter schnitzte, war das zum Ende des 16. Jahrhunderts ein ausreichender Grund für ihren Schnitzer oder Verehrer, auf einem Scheiterhaufen in Flammen aufzugehen.“ Alle Macht geht von der katholischen Kirche aus, und die ist reichlich damit beschäftigt, Abtrünnige vom Schlage der Protestanten und andere Widerständige zur Räson zu bringen. Es lebt sich gefährlich in solchen Zeiten, weil jeder Einzelne unter Beobachtung steht. Wer sich verdächtig verhält, hat schon verloren. Das befördert die hohe Zeit des Denunziantentums. Um sich selbst zu retten, muss der andere dran glauben, der dem falschen Glauben, wenn nicht gar dem Hexenwesen anhängt.
Masse und Macht
Bei Mojca Kumerdej darf mit Nachsicht niemand rechnen. Sie hat eine Methode entwickelt, mit deren Hilfe es ihr gelingt nachzuweisen, wie Volk und Obrigkeit zusammenspielen, um solch ein Klima der Gewalt zu schaffen, in dem niemand sicher ist. Alle wissen, dass das System krank ist, und keiner denkt an Veränderung. Um ins Innere der Gesellschaft einzudringen, bedarf es der unterschiedlichen Stimmen, die zusammen das Puzzle einer Unterdrückungsmaschine ergeben. Moralische Kategorien greifen in diesem Buch nicht, in dem nur die Mischungsverhältnisse von Gut und Böse Individualität ausmachen. Ansonsten besteht die Dorfgemeinschaft aus reichlich dumpfen Seelen.
Wie wird aus dem Volk eine Masse, wie entsteht daraus eine Meute? Diese zwingende Frage steht im Herzen des Romans. Volk ist ein neutraler Begriff für eine Gemeinschaft, die von einem politischen System zusammengehalten wird. Zur Masse wird es erst, wenn sich Leute zusammenfinden zu einem gemeinsamen Ziel, das nach Elias Canetti auf Entladung aus ist. Individualität verschwindet, alle zusammen ergeben ein großes Ganzes. Die Meute ist vom Jagdinstinkt auf alles Fremde getrieben und nimmt mörderischen Charakter an.
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