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Dunkel-lichte Schattenspiele

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Es muß der Renaissancebühne als Verdienst angerechnet werden, das Wiener Publikum mit dem amerikanischen Erfolgsstück „Anna Lucasta” von Philip Yordan bekanntzumachen. Der deutsche Titel „Schwarzer Markt der Liebe” (die Übertragung ins Deutsche stammt von Fritz Habeck) wirkt leider stark irreführend: es handelt sich hier nämlich keineswegs um einen modernen Sketch oder Kitsch, sondern um die Darstellung eines der schwersten und schwierigsten inneren Probleme, mit denen die Vereinigten Staaten zu ringen haben, in der sehr lebendigen Legende eines Menschenlebens. — Das Leben einer Mischlingsfamilie. Der Vater ein ziemlich heruntergekommener „weißer Mann”. Frau Theresa ist Negerin. Die Kinder — Stanley, Anna, Stella — vertreten in Hautfarbe, Temperament und Charakter verschiedene Regen’’ogenfarben; wobei zu vermerken ist, daß „schwarz” nicht mit schwarz, „weiß” nicht mit weiß identisch sein muß … Das schwere Leben kleiner Leute, die recht und schlecht ihr Auskommen finden. Alles in allem: mehr schlecht als recht. Immerhin, die Mutter, die „Mamy”, die Negerin, hält das auseinanderbrechende Gefüge der Gegensätze zusammen. Dafür hat der weiße Vater vor Jahren die Tochter Anna aus dem Haus verwiesen. Sein puritanisch-kleinbürgerlicher Rigorismus verwechselte Moral mit Moralin. Und nun soll dieses „schwarze Schaf”, welches in der Zwischenzeit kaum einige Höhen, wohl aber etliche Tiefen und Untiefen des Lebens kennengelernt hat, die Familie retten: durch eine Heirat mit einem sonnigen, lichten Jungen aus den Südstaaten. Die Konflikte, die sich aus dieser Situation ergeben — aus der seelischen Not des dunklen, leidgezeichneten Menschenkindes Anna, aus der Rebellion der „guten” Familienmitglieder gegen die „verlorene Schwester” —, sie werden vom Verfasser in scharfumrissenen, dramatisch äußerst wirksamen Szenen dargestellt; „ausgebeutet”, ist man versucht, zu sagen, so sicher, heftig, sdinell greift sein Griff nach dem bühnenmäßig Wirksamen! Dennoch ist er nicht einfach ein Blender. Dazu erweist sich die thematische Grundlage als zu echt. Hier ist wirklich etwas eingefangen vom starken Leid und von der starken, jähen Lebensfreude der Colouredmen, des Volkes, das seit Jahrhunderten mit seinem Schweiß zuerst den Boden des Südens, dann den der Arbeitsstätten des Nordens gedüngt hat.

Hier liegt auch der ausgesprochen erzieherische Wert dieses Stücks für ein europäisches Publikum. Es lernt hier etwas kennen von der tiefen, uns oft fremden, uns oft verschwiegenen, so eigenfarbigen Humanität der schwarzen Rasse. Von der Kraft, Unmittel, barkeit und Ursprünglichkeit eines Gefühls, eines Lebens, das sich des „rechten Weges” durchaus bewußt ist und imstande ist, plötzlich und jäh den harten Betonboden der grauen Alltäglichkeit zu durchbrechen; wie ein Geiser im Yellowstone-Park, im Naturgarten des amerikanischen Volkes. Kostbarste Kräfte, oft verschüttet durch die Schminke

Kd Starre spät-später Zivilisation, noch mer aber vorhanden — bereit aufzubrechen, oft unvorhergesehen und an Orten und in Zeiten, wo es niemand anderer vermuten würde. — Die echte Beliebtheit, welcher sich etwa die Negertruppen im hungernden Berlin von 1945/46 erfreuen durften — sie stammt aus demselben Quell, der dieses Stück pochend und strudelnd unterfließt: aus einer warmen, leidenschaftlich offenen, instinktsicheren, frischen, frohen und starken Menschlichkeit.

Die Aufführung der Renaissancebühne ist sichtlich bemüht um eine Rekonstruktion der amerikanischen Atmosphäre. Leider sind nicht alle Darsteller ihrer Rolle gewachsen. „Anna Lucasta” müßte sonst selbst Wien erobern und die Beklommenheit hier etwas auflockern.

Wie seltsam: Zu den „Schwarzen”, nach Südafrika, floh ein Mann, der den Zauberreigen des ‘Biedermeiers, den späten, satten Glanz der Wiener Gesellschaft der frühen Grillparzer-Zeit als Gimpeltanz, als Heuchelei und Lüge entlarvt. Es ist Herr Kern in Nestroys reifem, lange Zeit vergessenem Meisterstück „Der alte Mann und die junge Fra u”, um dessen Erstaufführung . sich die Josefstadt mit Liebe, Wärme und Erfolg bemüht hat. Dieser „alte Man “, der bürgerliche Ziegeleibesitzer Kern, ist eine prachtvolle Erscheinung! Nur natürlich, das alles, was inneres Offensein, wahre Jugend, Freiheit und Fortschritt (ja, „Fortschritt” im noch unverfälschten reinen Sinn des Frühglaubens des Bürgertums) liebt, sich um ihn und mit ihm findet, während eine „alte Welt” der Engheit und Beschränktheit, eines starren Bürokratismus und Feudalismus wider ihn steht. — Die persönliche Tragik des „alten Mannes” besteht nun darin, daß auch seine junge, sehr junge Frau ganz dieser „alten Welt”, die ihr in Gestalt eines Barons verführerisch entgegentritt, zu erliegen droht. Da Herr Kern aber doch, von der Warte einer höheren objektiven Ordnung her gesehen, der jüngere Mensch ist — der Mensch mit dem stärkeren, offeneren, blutendem Herzen, der Freund und Schirmer aller Bedrückten und Bedrängten, die bei ihm Zuflucht suchen — deshalb gelingt es ihm, als der Konflikt seines Privatlebens seinen Höhepunkt erreicht hat, auch seine junge Frau innerlich in seine — junge — Welt heimzuholen!

Nestroy, der „Frauenhasser” (dieser „Haß” ist die schmerzlich bewegte verschämte Form seiner Liebe), hat sich mit Nestroy dem Satiriker, mit Nestroy dem Humoristen und Nestroy dem Gesellschaftskritiker hier, in diesem einzigartigen Stück, zu jenem Nestroy verbunden, als der er im lebendigen Gedächtnis seines Wiens fortleben und fortwirken sollte: Als der liebende Mahner, der ernste, große, wissende Freund der „menschlichen Komödie”, die in diesem Großraum des Menschlich-Allzu- menschlidhen gestern, heute, immerdar gespielt wird.

Ein zartes schelmisches Sommerstück, das man nicht mit Verstand und wohl oder übelmeinenden Überlegungen sezieren darf: Noel Cowards „Spuk im Hause C o n d o m i n e”, bearbeitet und herausgebracht von Curt Goetz im Volkstheater. Diese „unwahrscheinliche Komödie” (wie der Autor selbst die Phantasie um zwei Frauengestalten nennt) überspielt den Okkultismus, den Gespensterglauben einer übersättigten englischen Gesllschaft mit feinen Lichtern des Spottes, der Ironie, der Satire und vor allem, mit einem Humor, welcher denn doch bezeugt, daß der Autor diese luftigen Gestalten zweier Scheinreiche mit inniger Sympathie geschaffen hat. — Das Spiel einer „toten” und einer „lebenden” Frau um einen Mann — hier kann kein Rechenexempel aufgehen — weshalb die Affäre sich am Schluß mit Recht in Spuk — und Traumgespräche auflöst. Mit denselben Augen will Klabunds „X-Y-Z” in der Insel gesehen werden! Völlig falsch, hier Moralin wie Mottenpulver in die duftigen Gewandfalten dės Spiels einzustreuen. Dieser Sand verdirbt nur das Getriebe… Dabei ist dieses „Spiel zu Dreien” in seinem innersten Wesen gar nicht „unmoralisch”. Ein junger netter Mann ohne Namen, Titel, Vermögen gewinnt durch eine List Herz und Hand eines Komteßchens; er hat sich ihr als Graf Z. präsentiert. Als dieser nun selbst auftaucht und mitspielen will, ergeben sich Drolerien, Sommerspiele, Fontänen, die im Garten verliebter Laune; schäumender Lebensfreude aufsteigen. Tut es not zu sagen, daß dieses Spiel ganz von der Spielkraft der Schauspieler abhängt? Und hier wird glänzend gespielt: Trude Sommer gibt mit Hans Brand und Helmut Janatsch ein Konzert (diskret begleitet von Walter Varndal), das alle jene erfreuen wird, die noch etwas Sinn für innere Buntheit, Besdhwingtheit, Scherzhaftigkeit des Lebens — das jung ist — übrig haben.

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