6741953-1966_44_19.jpg
Digital In Arbeit

Echte und falsche Liebe

Werbung
Werbung
Werbung

Während eines Aufenthalts in Paris im Jahr 1930 erwähnte Pirandello in einem Gespräch mit Andrė Maurois eine Idee, von der er seit seiner Schulzeit besessen sei. Und zwar halte er es für unmöglich, daß die Einheit der Person dem wahren Bild des Menschen entspreche. Das zielte auf die pirandelleske Problematik von Maske und Antlitz. Doch in dem zehn Jahre früher in Rom uraufgeführten Schauspiel „Alles zum Guten“, das derzeit im Theater in der Josefstadt wiedergegeben wird, tragen die Menschen keineswegs Masken, sie hüllen sich nicht in ein Schein-Ich, sie stecken in einer falschen Wirklichkeit, die sich über die faktische lagert. Doch die falsche kann sehr lange allein Faktizität besitzen.

Alle Welt verachtet den Staatsrat Lori, da sein Freund, der Senator und ehemalige Minister Manfroni, der eigentliche Vater seiner Tochter Palma ist und er sich von ihm zum Kabinettchef befördern ließ. Alle Welt glaubt, daß Lori um der Karriere willen schwieg, daß er von der Untreue seiner vor sechzehn Jahren verstorbenen Frau wußte, aber der Ahnungslose weiß es nicht, er geht noch immer täglich zum Grab seiner Frau. Ja, er deckt auch nicht den wissenschaftlichen Betrug seines Freundes auf, weil sich Manfroni um Palma so sehr annimmt; gerade deshalb macht er sich Vorwürfe. Eine ergreifende Gestalt, dieser Lori, der die erschreckende Einsamkeit, die ihn umgibt, nicht begreifen kann.

Mangelnde Mitwisserschaft des Publikums mit alledem, was den Bühnenflguren bekannt ist, kann durchaus wirksam sein, wenn man diese Art der Szenenführung beherrscht. Aber Pirandello verwirrt leider den Zuschauer weit über den ersten Akt des dreiaktigen Stücks hinaus, statt ihn langsam, in steigender Spannung, an das Grundmotiv heranzuführen. Dann aber bricht die Problematik jener , falschen Wirklichkeit, die wirklicher als die wirkliche sein kann, vehement und packend auf. Und nun findet die Umkehrung statt. Der Titel ist keine Ironie, wie man vermuten könnte, es wendet sich tatsächlich „alles zum Guten“, denn Palma, die ihren „Vater“ Lori ebenfalls für ehrlos hielt, vermag ihn nun zu lieben, ja, diese Liebe ist fester gegründet als eine nur durch die Kiridschaft bedingte. A USflOMiOiß-Ö

Die Regie von Maximilian Schell durchbricht erfreulich die in Wien gewohnte Konvention. Er wendet Strehlers Lichttechnik an, nicht so sehr die bei der „Entführung aus dem Serail“ oder bei „Le Baruffe Chiozzotte“ gezeigte, sondern jene, die Strehler vor Jahren bei einem späten Goldoni-Stück, bei'der „Vil- leggiatura“, vorführte. Das Licht kommt meist nicht von vorne, sondern aus seitlichen Türen und — manchmal hochgelegenen — Fenstern. Dadurch werden die Darsteller, je nachdem wo sie stehen, oft nur teilweise und nur vorübergehend aufgehellt. Das Prinzip der fehlenden vierten Wand ist hier — vielleicht erstmals — restlos durchgeführt. Denn Schell läßt überdies die Darsteller ein Gespräch am Kamin im Hintergrund der Bühne mit dem Rücken zu uns Zuschauern führen. Ja, die nicht sichtbaren Nebengemächer werden ebenso ins Spiel einbezogen wie, akustisch, die Umgebung des Hauses, in dem die

Vorgänge vor sich gehen. Der Bühnenbildner Filippo Sanjust entwarf naturalistische Räume, die zugleich sehr expressiv wirken.

Auch schauspielerisch beeindruckt die Aufführung. Hans Holt bietet ein psychologisch subtiles Bildnis des unwissentlich Betrogenen, WaZ- ter Rilla ist ein Senator von glattkühler Überlegenheit auch noch nach der Entlarvung seines Betrugs. Echte Innigkeit besitzt Christine Merthan als Palma, Ursula Schult wirkt als Gesellschafterin zugleich distinguiert und hintergründig, Lotte Lang überchargiert leider die Komik von Palmas Großmutter.

Murray Schisgal, der Büglerssohn aus Brooklyn, hat eine Komödie „Liiiebe“ — Aufführung in den

Kammerspielen — zwischen Literatur und billiger Unterhaltung angesiedelt, wodurch er beide verfehlt. Er kokettiert mit tieferer Bedeutung und kann sich zugleich allzu primitiver Gags nicht enthalten.

Zwei Männer und eine Frau scheitern in diesem Dreipersonenstück am Leben, der Erfolglose will sich in den Fluß werfen, weil er auf die Frage nach dem Wozu des Lebens keine Antwort findet, der Erfolgreiche, weil er von seiner Frau nicht loskommt, die ihm so etwas wie einen Kinsey-Report seiner Unterlassungen vorhält. Das Changez-la-Dame entblößt nur noch mehr die Unfähigkeit der In-sich- Versperrten zu wirklicher Liebe und das Happy-End eines inneren Wandels glauben wir nicht. Da zeigen sich Ansätze zu einem seelischen Laboratoriumsexperiment, vermischt mit Absurdem und Clownhaftem; die Amalgamierung gelingt nicht. Zwecks leichten Hinunterspringens in den Fluß, mehrfach getätigt, spielt dieses Zwitterstück unter einem Brückenbogen. Eva Kerbler, Franz Messner und Alfred Böhm bieten, geleitet von Imo Moszkowicz, gute schauspielerische Leistungen.

seinem Spiel, hat bei Überwindung aller (beträchtlichen) technischen Schwierigkeiten völlig klare Disposition, formale und inhaltliche Ausgewogenheit. Die Gefühlskomponente tritt zugunsten intellektueller Gestaltung zurück und ist dennoch untergründig spürbar, es bleibt gleichsam kein ungelöster Rest in seinem Spiel. Daß die Sonate, obwohl op. 1, infolge ihrer strengen Formgebung stärker fesselt als die lockerer gebauten Stücke, liegt auch in ihrer vom Volkslied inspirierten Thematik. (Andante-Thema: „Verstohlen geht der Mond auf“.) Kat- chen konnte für begeisterten Beifall danken.

Kurt Rapf gab einem Orgelabend im Mozartsaal, an dem er sich auch als Orgelkomponist mit „Präludium und Doppelfuge“ vorstellte. (Uraufführung.) In dem Werke scheint der Stil Franz Schmidts, durch ein ande res Temperament gesehen, ziemlich direkt fortgesetzt Das vorhergehende Programm war mit Werken von Frescobaldi, Dandrieu, Pachelbel und Jofi. Seb. Bach (Prälüdium und'Fuge D-Dur)' gestaltet; nach’ der Pause in weiterer chronologischer Folge mit „Barpeggio e Fuga“ von Joh. Jos. Fux, den sechs Flötenuhrstücken von Joseph Haydn (in ihrer Eigenart und Wiedergabe ein besonderer Erfolg), und vier Choralvorspielen von Franz Schmidt. Stellt die Orgel im All- round-Wirken von Kurt Rapf keineswegs die Mitte dar, ist die Gründlichkeit seines Könnens erstaunlich. Auffassung und Vortragsweise sind allerdings mehr traditionell als modern, die Details überspielen gelegentlich die Gesamtlinie. Nichtsdestoweniger zeigte sich seine Künstlerpersönlichkeit in klaren Umrissen und verdiente den reichlichen Beifall.

An seinem Liederabend überzeugte der bekannte Darsteller aus „Harpeggio e Fuga“ von Joh. Jos. auch in der Kleinkunst des Liedes in sinem sehr gewählten, anspruchsvollem Programm. Mit natürlichem Pathos erklangen die Gellert-Lieder Beethovens. Den vier Gesängen von Henry Purcell fehlte die Profilierung, die bei den fünf Liedern von Franz Schubert in liebenswürdiger Weise gelang. Den Höhepunkt erreichte er mit den (russisch gesunkenen) „Liedern und Tänzen des Todes“ von Mussorgsky und einigen Vegro-Spirituals. Die Ausdruckskraft der schönen dunklen Stimme st enorm, die unterstützenden kleinen Gesten sind mehr Temperament als Notwendigkeit. Warfield mußte sein Programm um viele Draufgaben /erlängern. Hans Dokoupil war ein verläßlicher Begleiter.

Der Mädchenchor der Musikschule ier Stadt Linz unteę. Leitung von Zva Schmutz veranstaltete im Mozartsaal einen Chorabend, der in seiner Weise Einmaligkeit besaß. Daß ein Schulchor ein abendfüllenies Programm mit Werken von Händel bis zu zeitgenössischen Kompositionen auswendig singt, ist ein äußere? Zeichen ernster Arbeit; aber iaß auch die geistigen Profile haarscharf getroffen waren, war der stärkere Beweis ihres künstlerischen IVertes. Händel, Aichinger, Martini, Salius, Mozart und Brahms klangen [original oder bearbeitet) echt und recht. Den Höhepunkt (und auch den löchsten Schwierigkeitsgrad) bildern „Drei Chorstücke“ von Robert Scholium und fünf „Autosprüche“ mn Emst Pfiffner (Basel). In erste- ren war die (vorwiegend homophone) [ntonationssicherheit, in letzterem iie klare Linearität der Wiedergabe Dewundemswert, sowie der versteckte, erst am Schluß unverhüllte Humor. Den hübschen Mädchen gesichtem war das restlose Beteiligtsein aufgeprägt, das sich dem Zuhörer sogleich mitteilte. Der Chor stellte sich selbst und damit vor allem seiner Leiterin das beste Zeugnis aus. Die instrumentale Unterstützung leisteten Instrumentalsolisten der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien.

Franz Krieg

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung