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Echte und falsche Sittenpredigt

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„Gott ist das Schrecklichste auf der Welt.” Dieser Satz steht in Ödön von Horvaths großem Zeitroman „Jugend ohne G’ott”, der erstmals 1938 in Amsterdam erschien und 1948 in Wien neu aufgelegt wurde. Dieser Satz schwebt als Richtsatz auch noch hinter Horvaths Zeitstück „G’s chichten aus dem Wiener w a 1 d”, die ihre österreichische Erstaufführung im Volkstheater erleben. Ein Verdienst, ein großes Verdienst des Volkstheaters — wir betonen dies gegenüber einem allerdings nur in einer Vorstellung randalierenden Publikum und auch gegen randalierende Kritiker. — Diese Ereignisse, diese Tatsachen zeigen nur, wie weit die Wiener geistige und seelische Atmosphäre noch beklommen und verhaftet ist in den abgestandenen Gewässern falscher Sentimentalität, eines vergilbten Romantizismus, einer billigen Scheinhumanität. — Die Kinder, nein, sie hören und sehen es nicht gerne. Was in England ein Graham Greene, in Frankreich ein Julien Green und Bernanos geschrieben, was ein Mauriac gerade im letzten Winter auf die Pariser Bühne gestellt hat, was in Italien soeben erst Gian Paolo Callegari bühnenmäßig zur Aussage zu bringen strebt, nach der geistigen Vorarbeit eines Papini — hier, bei uns, soll es nicht wahr sein, darf es nicht aufgezeigt werden! Trotz Karl Kraus, trotz Wildgans, trotz Horvath, der dieses Stück zeitlich bereits vor jenen ausländischen Schöpfungen schrieb Und damit für Österreich das Recht beanspruchen könnte, Wegbereiter jenes neuen transparenten Realismus zu sein, in dessen Zeichen heute die fortschrittliche Dichtung und Kunst im ganzen christlichen Raum steht.

Worum geht es in diesem Stück? Ein Dach wird aufgehoben, eine Decke wird weggezogen, eine Kulisse beiseite geschoben, ein Kostüm, eine Maske fallen: die „goldne Wienerstadt”, die Menschen mit dem goldenen Wienerherzen entpuppen sich hier. Abgründe tun sich auf. Es sind jene Jugendlichen, die heute vor Gericht stehen, die in den Zeitungsberichten immer wieder genannt werden. Und es sind jene Alten, denen wir einst in der johlenden Masse, heute auf dem Grauen und Schwarzen Markt und wieder im Gerichtssaal so oft begegnen. Nein, nicht nur dort, in der Straßenbahn, im Büro, im Treppenhaus. Überall treten sie uns entgegen, jedem sichtbar, der sehen will, der etwas, ein Element von ihnen, in der eigenen Brust erspäht. — Kleinbürger. Ein Fieischihauer, ein Besitzer eines kleinen Geschäftes mit seiner Tochter, die Trafikantin Valerie, elri junger Kerl mit seiner Sippschaft; ein Rittmeister a. D., ein reichsdeutscher Student —• diese beiden letzteren sind jedoch nur Kulisse, Staffage. Das Drama spielt intern, in Wien, in diesen Wienern. Weiche, wankelmütige Menschen, zugleich voll Berechnung, Schlauheit und Herzenshärte. Ein brutaler, beinerner Egoismus, der sich nicht ungern religiös tarnt. Horvath seziert mit wenigen Strichen, mit wenigen Schnitten diese Menschen, diese Wiener: ihre „Liebe”, ihren Haß, ihr Sentiment. — Grausamkeit des Poeten? Nein,. vielmehr eine Liebe, der es sehr ernst ist um das Geliebte und die glaubt, ihm nur durch die Wahrheit, durch die Aufdeckung und Aufzeigung der ganzen Wahrheit dienen zu können. Horvath, der in seiner „Jugend ohne Gott” schildert, wie ein Atheist die Stimme der Wahrheit, des Gewissens, in seiner Brust als Gottesbeweis, als erschütternde Manifestation der Essenz und Existenz Gottes erfährt, muß auch in seinen „G’schichten aus dem Wienerwald” von diesem „Gott der Wahrheit” aus verstanden werden. Allerdings — und hier darf kein Mißverständnis aufkommen, es ist kein katholisch konzipiertes Gottesbilid, das hinter diesen Szenen steht. Kein Zufall auch, daß die katholische Frömmigkeit, so zumal in der schwierigen und falschen Beichtszene, stark verzeichnet wird. — Dieser Gott-Richter, dieser unerbittliche Herr der Wahrheit schält wie Ibsen im Knopfgießer Peer Gynts die Menschen aus wie leere Zwiebeln, enthüllt sie in ihrer, erbärmlichen Nacktheit. Kleine, arme Seelen, Nur-Sünder, stehen sie vor ihm, jammervoll behängt mit den Faschingsmasken ihrer Eitelkeiten und Süchte. Ein gerade dem. Wiener durchaus fremdes Gottesbild, das alttestamentarische und kalvinische Wucht und Unerbittlichkeit vereint. Karl Barth dramatisiert… — Der Schluß des Stückes, das die Versöhnung, die Begnadung. der Sünder bringt, legt nur einen schmalen . Saum um die harte, von höllischen Schründen zerklüftete vulkanische Landschaft, um dieses,. Wien Horvaths. Dieses Drama, „Komödie” genannt (die späteren Zeitgenossen nannten . auch Dantes Höllen- und Himmelfahrtsstück „Komödie”), zeigt also unerbittlich gerad- lienig auf, wie ein einseitiges Gottesbild ein einseitiges Menschenbild konstituiert — und . umgekehrt. — Sicherlich, die Wiener erleben . sich nicht als jene zuckenden Menschlein, die hier, bei Horvath, von der sengenden Sonne der richtenden Gottheit in allen ihren Armseligkeiten enthüllt werden. Unsere Wiener,, vertragen selbst von der Kanzel herab nur . verzuckerte Strafpredigten. Danken wir dem . Dichter, der es einmal wenigstens in der-maßen . ungeschminkter, offener Form zu sagen gewagt hat. Auf der Bühne, auf der Bühne unseres Volkstheaters.

Eines der erstaunlichsten und unglücklichsten Experimente unternimmt die Insel mit der Erstaufführung der Komödie „Hidalla oder die Moral der Schönheit” von Frank Wedekind. Ein Stück, lesenswert vielleicht für Kulturhistoriker und Soziologen, die sich der Selbstauflösung einer gewissen Gesellschaftsschicht Deutschlands zwischen Nietzsche und Freud, Wilhelm II. und Wedekind, letztlich Weimar I (Goethe) und Weimar II (Thomas Manns „Zauberberg”) beruflich zu widmen haben. Dem literarisch Interessierten wird zudem hier ein Einblick in die Pathologie Wedekinds gewährt. Was bleibt für den Normalverbraucher, für den gutwilligen Theaterbesucher von Wien 1948? Ein Experiment Erich Ziegels und die Fünfminutenrolle Heinrich Trimburs. — ‘Ziegel als Hetman in der Hauptrolle wird wohl von wenigen verstanden. Dieser Karl Hetman, um dessen tolle Streiche sich das müde Stück dröht,. ist ein romantischer Narr seltsamer Art. Reformer des Geschlechtslebens,- Züchter eines neuen Menschentyps (Nietzsches blonde Bestie), Literat dritter Klasse. Wedekind, der diese Rolle selbst spielte; sah sich selbst in neurotischer Haßliebe im . Spiegel dieser Gestalt, die eine merkwürdige Anziehungskraft auf Spekulanten, Glücksritter und hysterische Frauen ausübt — nicht mehr aber auf Menschen von 1948. Als alle Stricke reißen, greift Hetman zum Strick und erhängt sich. Dieser Selbstmord bestätigt dem Ende der „Komödie” die fatale Note, die ihr im ganzen anhaftet. Fragen, die heute nicht mehr bestehen (Frauenemanzipation, „freie ‘ Liebe”, ein reinrassisch-physisches Schönheitsideal), werden hier in einer Weise behandelt, die nur allzu sehr die Verhaftung, des Autors in ihre gestrige Komplexheit beweist; Vielleicht wäre, als höllische Farce, als Panoptikum des Närrischen,. dieses pastorale Lehrstück einer weit- und wirklichkeitsfremden’ Lebensphilosophie für Literaten’ noch zu retten gewesen — in einer Aufführung, die das Zeitkolorit München 1900 bis,, 1910 gewährt hätte. Die modernen Kostüme, die Alltagsallüren der Schauspieler, die mit wenigen Ausnahmen keine Beziehung zu Wedekind verspüren’ lassen, verbannen jedoch das Spiel hier und heute in ein7 geistiges und seelisches Niemandsland.

Schade, sehp schade,, Hier .wird der Gutwilligkeit eines geistig aufgeschlossenen Publikums zuviel zugemutet. Ein Insel-Sein kann seine eigenartige Schönheit, die Prägung eines künstlerischen Charakters aufzeigen. Eine Insel in den Wolken von vorgestern vermag sich auf dieser Erde nicht zu halten. Sie hat ihr’ ja auch nichts zu geben. Hoffen wir auf ein rasches Vergessen und. auf neue. Taten.

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