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Digital In Arbeit

Ein Arbeitstag

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Der Wecker rasselt. Schlaftrunken und erschreckt fahre ich empor. Draußen ist es noch dunkel, doch in einzelnen Arbeiterwohnungen wird es licht. Etwas müde von gestern schlüpfe ich in die Kleider, nehme die Jausenkanne (für die 10-Uhr- Jause) und einige Minuten später gehe ich, ein wenig fröstelnd, den bekannten Weg zum Werke, dem Walzwerk in Hönigsberg bei Mürzzuschlag, das, grell beleuchtet wie ein Palast, herübersdiimmert.

Ich bin nicht lange allein. Dort' und da löst sich eine Gestalt von den Häusern, um demselben Ziele zuzustreben. Flüchtig grüßend gehen wir hastig nebeneinander, unberührt von der herben, taufrischen Schönheit des frühen Morgens, den die Vögel mit lauten Gesängen begrüßen. Raschen Tempos kommen die in den umliegenden Ortschaften wohnenden Radfahrer heran und fügen sich den immer größer und dichter werdenden Scharen der durch das eiserne Werkstor Eilenden ein. Innerhalb des Tores verteilen sich die Arbeiter in die einzelnen Betriebe.

Gebraus der Werkstatt empfängt mich, als ich, in meine Abteilung gehend, die Tür öffne. Beleuchtet von blendendem Lampenlicht, drehen sich flirrend große und kleine Räder, Riemen klatschen und glühende Schlangen rasen mir entgegen. Einen Augenblick lang sdiließe ich die Augen und mir ist, als stünde ich einsam auf einem steilen Felsen, während tief unter mir das Meer stürmisch brandet...

Doch 'es ist nicht Zeit, darüber nachzudenken. Als das Glockenzeichen ertönt, das den Beginn der Arbeit anzeigt, habe ich schon den Rock abgeworfen, den Schurz umgebunden und den Tragpolster auf meiner rechten Schulter befestigt. Nun kann's losgehen! Mein Kamerad ist auch schon bereit und wir nehmen jeder einen Bund zusammengebündelter Walzstäbe — fünfzig bis sechzig Kilogramm — und befördern ihn auf unserer Schulter in die Verladehalle, wo wir sie in Fächern aufstellen. Die ersten Bunde schmerzen wohl, besonders, wenn die Schulter vom Vortage noch wund ist, aber man beißt die Zähne zusammen ...

Bund um Bund lehnen wir hinein, und die erste Partie ist zu Ende. Draußen wird es mählich lichter und wir werfen hie und da einen Blick durch die schmutzigen Fensterscheiben auf die bewaldeten Berge mit den purpurgesäumten Rändern, hinter denen sich golden glänzend und funkelnd das Tor des Ostens wie die Tür eines Tabernakels auf tut...

Mein Kamerad, der zwei Stunden vom Werk entfernt wohnt, wird noch immer vom Schlaf bedrückt und torkelt unsicher mit seinem Bunde auf der Schulter dahin, um ihn nach „Buenos Aires“ zu tragen, während meiner nach „Prag“ gehört hatte. Die Verladehalle ist nämlich in Abteilungen gegliedert, von denen jede eine Ortsbestimmung trägt. Und auch die fertiggebundenen und adjustierten Bunde tragen die Ortsbezeichnung. So kommen wir oft in einer Stunde durch die ganze Welt! Wir besuchen Tokio, Schanghai, Süd- und Mittelamerika, Paris, Mailand, Rom usw. Sehnsüchtig sieht man oft den abrollenden Bunden nach: wer doch mitfahren könnte!

Gleichmütig und abgestumpft schultern wir die schweren Bunde, werfen uns ab und zu einige Worte zu, winden uns zwischen scheinbar zwecklos hin- und hereilenden Männern durch, und so vergehen die ersten Stunden. Nun wird die mitgebrachte Jause — meist ein „Kaffee“ und ein Stück Schmalzbrot — stehend verzehrt. Es mundet trotzdem!

Der Meister kommt auf mich zu und gibt mir den Auftrag, die vom Blockwalzwerk gewalzten Rundstangen mit dem Kran auf einige Wagen zu verladen. Hocherfreut über die gewünschte Abwechslung, werfe ich den Polster weg. Mein Weg führt vorbei an den Fein- und Mittelstrecken, der Walzstraßen mit kleinem und mittlerem Durchmesser, aus deren dampfenden Walzen glühende Stäbe wie gefolterte Riesenschlangen hervorschießen. Das dumpfe Rollen mit den Walzen vereint sich mit dem hellen Surren der Krausei, eines Gerüstes mit ineinandergreifenden gerillten Walzen, die die Bewegungen des Schwungrades auf die Walzenstraße übertragen, und dem Klappern der Muffen, der Verbindungsstücke zwischen den Walzen, zu einem eintönigen, aber rhythmischen Ganzen. Blaßroter Staub bildet kleine Wolken ober den leise erbebenden Walzgerüsten, zwischen denen hurtig die Stäbe mit Zangen lenkenden Walzer stehen.

Aus den Ritzen des sich etwas oberhalb befindenden Schweißofens blecken gierige Flämmchen empor und aus einem offenen Türl schimmern weißglühende Stahlklötze. Unter den mit ungeheurer Geschwindigkeit rotierenden Steinen der anschließenden Schleiferei quellen dichte, strahlende Funkenströme hervor, die das scheinbar regellose Gewirr von schwingenden Riemen und flirrenden Rädern rötlich beleuchten. Nebenan trillern die Preßluftmeißel gellend, während das dumpfe Stoßen des Kompressorkolbens den Takt gibt.

Glücklicherweise ist der Kran nicht frei, und ich habe daher Zeit, das Blockwalzwerk zu besichtigen. Es ist ein langgestreckter, niedriger Bau, an dessen Flanke der große, auf zierlich durchbrochenen Pfeilern ruhende Kran majestätisch schwebend seine Schwingen breitet. Es liegt etwas eigenartig Schönes in diesem Gewirr von schlanken Stäben und wuchtigen Traversen, die, zu einem luftigen Gebilde zusammengefügt, über eine unvorstellbare Widerstandskraft verfügen. Melodiös fließt das graugestrichene Gestänge zusammen, durchdrungen bis zum kleinsten Winkel, zum zartesten Stahlstäbchen vom Geiste der Technik. Aufjauchzend in zierlicher Leichtigkeit streben die Pfeiler und Stützen so schlank himmelan, daß sich das Riesengewicht des darauf lastenden Krans singend und surrend wandelt in ein ehernes Preislied auf den schöpferischen Menschengeist.

Inzwischen ist der Kran frei geworden. Mühelos verlade ich mit seiner Hilfe die schweren Stangen auf einige bereitstehende Wagen. In zwei Stunden kann ich wieder in meine Abteilung zurückkehren.

Langsam trotte ich auf meinen Arbeitsplatz zurück, wieder vorüber an der Schleiferei und an den klappernden Strecken. Nachdem ich den Schulterpolster angeschnallt habe, beginnt es von neuem: zehn Bunde für „Torino“, fünf für „Berlin“ usw. Die Sonne wirft blendendhelle, körperhafte Strahlen durch die Fenster und durch die Ritzen des Daches, die den schwärzlichen Stahl und die Wände goldig überhauchen. Wolken von feinem Staub werden sichtbar. Die Sohlen beginnen zu brennen, die Schultern wieder zu schmerzeri und die Bunde scheinen ständig an Gewicht zuzunehmen. Oft blicke ich auf die Uhr und meine Blicke treffen sich mit denen meiner Arbeitskollegen, die gleich mir ungeduldig das langsame Vorrücken des Zeigers verfolgen, Eintönig und einschläfernd surren die Räder der Richt-maschinen, das laute Knattern der durch die Reelmaschine gehenden Stäbe wird manchmal unterbrochen durch schrilles, gellendes Gekreisch. Das bedeutet, daß ein Stab steckenblieb, daß die Walzen den Stab aufschürfen. Dann schreckt man jäh aus seinen Gedanken auf und blickt auf die andere Seite, wo gleichmäßig feilend Arbeiter bei ihren Werktischen stehen.

Oft kommt man sich vor wie ein Mülleresel, dessen Schicksal es ist, sein Leben lang Säcke zu schleppen; manchmal verliert man ganz das Gefühl, Mensch zu sein, und kommt sich vor wie ein bescheidener Teil einer riesengroßen Maschine, eine kleine Schraube etwa, die ohneweiteres ersetzt werden kann, ohne die es aber doch nicht geht. Verwoben ins Räderwerk des Werkes und der Zeit, schwingen wir. mit im .Lied der Arbeit ohne eigenen Rhythmus; Den Rhythmus bestimmt die Maschine. Und sie zerstampft gleichmäßig surrend mit wuchtigem Fuß hochfliegende Sehnsuchtsträume, die an den blanken Stahlstäben hochklettern, bald betäubt herabstürzen und mit gebrochenen Flügeln zurück ins Werkgebraus humpeln.

Doch dies liegt oft nur an der äußeren Form der Arbeit, liegt in ihrer Entseelung. Denn trotz zeitweisem Haß gegen sie, spürt man doch auch manchmal blitzartig die innere Verbundenheit mit ihr, mit jedem Stück, das uns durch die Hände geht. Und man begreift und weiß, daß Arbeit Sinn und Zweck, des Lebens ist.. .

Schweigsam trotten wir mit immer matter werdenden Bewegungen, gleich dem Pendel einer Uhr, zwischen Waage und Verladehalle hin und her. Mitunter dreht man sich mit schmutzigen Fingern eine Zigarette, wischt sich den Schweiß von der Stirn und ruft sich ein paar Worte zu. Im Vorübergehen werden rasch Bemerkungen ausgetauscht, Flüche und Hänseleien ge-wediselt, um die Eintönigkeit zu unterbrechen.

Endlich ertönt der sehnlichst erwartete Schrei der Sirene, aufatmend lege ich den Polster und den Schurz in den Kasten, um ihn am nächsten Tage wieder hervorzuholen ...

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