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Ein Blick in die Archive

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Einige Beispiele von Fällen aus der jüngsten Zeit, die, nach Belieben aus den Aktenschränken gegriffen, auch jene überzeugen mußten, die von Korruption, Simonie und Bestechlichkeit beim päpstlichen Gericht geschrieben haben:

Ein Negermädchen, Johanna R., aus dem Innern Afrikas, das ein Missionar getauft hatte, sieht eines Tages vor der Hütte ihres Vaters einen jungen Neger mit fünf Kühen, die er dem Vater anbietet für die Hand seiner Tochter. Das Mädchen weigert sich, diesen Michael M. zu heiraten, flieht sogar, wird jedoch wieder eingefangen, zu Hause festgebunden und solange geschlagen, bis sie schließlich ja sagt. Am Tage der Hochzeit noch wird sie angebunden und geschlagen, da sie von neuem widerstrebt. Der Missionar, der von allem keine Ahnung hatte, segnete die Ehe ein. Nach kurzer Zeit entfloh jedoch die junge Frau und erzählte dem Missionar das Vorgefallene. Es kam zum Prozeß, der bis an die Rota nach Rom ging. Im Armenrecht wurde dem Mädchen Gerechtigkeit zuteil und seine Ehe als ungültig erklärt.

Ein junges Mädchen der unierten Ostkirche, Katharina K., mit 16 Jahren Vollwaise, lebte bei ihren Geschwistern In ganz mohammedanischer Umgebung. Da den Geschwistern eine ansehnliche Erbschaft streitig gemacht wurde, gingen sie zum Gericht. Einer der Richter verliebte sich in Katharina. Da sie seinen Heiratsantrag ablehnte, zwangen die Geschwister sie, anzunehmen, damit sie den Erbschaftsprozeß gewännen. Ohne Schutz und Hilfe sah sie schließlich keinen Ausweg mehr. Kaum verheiratet entfloh sie und wurde ihres Erbanteils beraubt. Beim Gericht des apostolischen Vikariats und der Rota in Rom wurde ihre Ehe wegen bewiesener schwerer Furcht ungültig erklärt. Die Kosten trug der Vatikan.

Besonders deutlich aber ist der Prozeß des Sprößlings einer der ältesten Fürstenfamilien Italiens, aus der selbst ein Papst stammte. Der junge Principe hatte nicht nur Namen und Titel seines Geschlechts geerbt, sondern auch dessen ungeheuren Reichtum. Seine Ehe mit einer Dame aus dem höchsten Adel verlief äußerst glücklich, bis eines Tages dine Untreue Liebe und Lebensgemeinschaft zerstörte. Mit ungeheurem Aufwand wurde das päpstliche Gericht bestürmt, die höchsten Beziehungen schalteten sich ein, um die Ungültigkeitserklärung der Ehe zu erreichen. Nach sachlicher Untersuchung der vorgebrachten „Beweise“ antwortete die Rota mit einem klaren „Nein“.

An die päpstliche Rota, die ihre Gerichtsbarkeit ausübt über die ganze Erde hin, kommen die bedauernswertesten Fälle von Ehetragödien, unglücklichen und zertrümmerten Familien, von hoffnungslos zerstörtem Eheglück. Männer und Frauen von jedem Kontinent und jeder Farbe, aus allen Berufen und Gesellschaftsschichten suchen hier ein erlösendes Ja, um vor ihrem Gewissen oder auch nur vor der öffentlichen Meinung eine oft schon bestehende neue Bindung zu legitimieren. Verworrenste Intrigen und dunkle, kaum aufzuklärende Schicksalsverkettungen, unwürdigste Verblendung menschlicher Leidenschaft und plötzlich auftauchende, unvermutete Situationen und Enthüllungen, Geheimnisse zweier Menschen, die sonst vor jedem Dritten aufs peinlichste gehütet werden, reihen sich Jahr um Jahr in den Aktenbänden aneinander, distanzieren sich von der bitteren Wirklichkeit in kühles Juristenlatein und erheischen eine sachliche und genaueste Analyse der rechtlichen Situation. Sosehr ein Richter oder Ehebandsverteidiger von dem Schicksal dieser Unglücklichen menschlich ergriffen wird, sosehr er auch weiß, daß ein endgültiges Nein aus seinem Munde in eine verzweifelte Lage, ja selbst die Betroffenen in ihrer Leidenschaft nur noch vorantreiben wird, ihn kann und darf einzig allein nur die menschenmögliche und verantwortungsbewußte Gewißheit bestimmen, ob die vor der Tragödie eingegangene Ehe, im Augenblick, da sie abgeschlossen wurde, gültig war oder nicht. Kommt er nicht zu dieser Gewißheit, so hat er die Pflicht, sein „Non constat“ auszusprechen. Darüber ist er einzig und allein dem höchsten Richter verantwortlich, der die absolute Unauflöslichkeit eines vollzogenen Ehebandes festgelegt, zum Wohle der menschlichen Gesellschaft selbst. Die Tragödien aus der Welt zu schaffen, ist nicht Sache des Richters, sondern der Eheleute selbst, ihrer Erziehung zur Ehe und ihrer sittlichen Kraft, einem unbeherrschten Egoismus seine in jeder Gemeinschaft geforderten Schranken zu setzen.

Das also ist das objektive Bild der Rechtspflege am päpstlichen Gericht. Doch wie ein gewöhnlicher kirchlicher Prozeß ohne Wortgefecht und Rhetorik verläuft, da jede Verteidigung und Antwort schriftlich erfolgt, so wird auch die päpstliche Rota ihren Beleidigern am 25. Februar, dem zur Verhandlung neu anberaumten Termin, nicht mit effektsuchenden Worten, sondern mit nüchternen Zahlen, Statistiken, Rechnungsbüchern und Bilanz, mit Fällen und Urteilen antworten, kurz: mit Tatsachen.

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