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Ein Brief an Herrn Pieflie

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Lieber Piefke! Ritte entschuldige die rauhe Anrede - ich weiß, Du magst sie nicht. Sie ist in letzter Zeit wieder vermehrt in Mode gekommen bei uns. Ich schicke voraus: zu meinem aufrichtigen Redauern. Wieso ich sie dann dennoch verwende? Damit Du gleich weißt, worum es get?

Übrigens wundere ich mich, daß Ihr Deutschen noch immer zu keinem verbalen Gegenschlag ausgeholt habt. Rei Eurer Sprachkraft! In früheren Jahren hattet Ihr wenigstens den „Kamerad Schnürschuh", mit dem Ihr Euch für den „Piefke" revanchieren konntet. Aber der ist mit dem Abtreten der Wehrmachtsgeneration obsolet geworden. Da müßte also dringend etwas Neues her. Denk einmal nach!-Man muß ja den Masochismus nicht auf die Spitze treiben.

Nicht, daß ich Euch' aufhetzen wollte, ich trete nur für Waffen-gleichheit ein.

Waffengleichheit? Das klingt ja direkt nach Krieg!

Nun, Krieg wird man es wohl nicht gleich nennen können, was da in jüngster Zeit zwischen unseren beiden Völkern passiert ist. Sagen wir es vielleicht so: Das langgewohnte Schönwetter ist durch ein gelegentliches Tief getrübt. Schlimm genug.

Du fragst mich, dem die Wiederherstellung des alten Zustandes ebenso am Herzen liegt wie hoffentlich Dir, nach den Gründen dieser beklagenswerten Veränderung. Ich will versuchen, sie Dir zu nennen.

In einem, lieber Piefke, sind wir einander gleich: Sowohl Ihr wie wir wollen geliebt werden. Und nicht nur von unseresgleichen, sondern vor allem von den andern. Daran, das muß man anerkennen, habt Ihr es all die Jahre nie fehlen lassen. Ihr habt Euer Urlaubsgeld in Osterreich ausgegeben, manche von Euch sind sogar dageblieben und haben sich bei uns einen Zweitwohnsitz zugelegt. Ihr beginnt das neue Jahr, indem Ihr Euch vor die Mattscheibe setzt und Euch von unseren Philharmonikern aufgeigen laßt. Ihr versäumt keine Gelegenheit, die Güte unserer Schnitzel, unserer Germknödel, unseres Veltli-ners zu preisen. Ihr beneidet uns um den Opernball. Und auch an unserer Art zu sprechen habt Ihr einen Narren gefressen - so sehr, daß unsere Mimen nirgends ein so leichtes Spiel haben wie bei Euch.

Aber Ihr habt bei alledem auch schwere Fehler gemacht, die Ihr mit jenen modernen Eltern teilt, die ihren Gschrappen (so sagt man bei uns zu Kleinkindern) in Affenliebe zugetan sind: Ihr habt des Guten zuviel getan! Ihr habt uns verzogen! Ihr habt, was unsere Unarten betrifft, zu oft ein Auge zugedrückt. Und bekommt jetzt, da wir in die Flegeljahre gekommen sind, die Rechnung dafür präsentiert.

Was das heißt?

Als Österreich - ebenso wie Deutschland - 1945 vor dem Neuanfang stand, wurde es von einem Großteil seiner Bevölkerung für nicht lebensfähig angesehen. Das hat sich gründlich geändert: Es ist eine selbstbewußte Nation geworden, stolz auf Eigenstaatlichkeit, Neutralität und Wohlstand. Schon vor dem Eintritt in die Europäische Union, die unserem Ego einen weiteren Schub nach vorn verschafft hat, machten sich in unserem von seiner eigenen Erfolgsstory berauschten Land allerdings auch Trugbilder breit: Wir ließen uns -und da wirkt wohl das Erbe unseres „Sonnenkönigs" der siebziger Jahre nach - in dem Hochgefühl einlullen, ein Muster an Reichtum, Weltoffenheit, politischer Reife, gewerblicher wie industrieller Innovation zu sein. Gar nicht zu reden von den Schönheiten des Landes und seiner kulturellen Kompetenz - da sind wir sowieso die Nummer eins.

Seit einiger Zeit wissen wir (und wollen es partout nicht wissen), daß wir einer gewaltigen Selbsttäuschung erlegen sind. Als Staat sind wir schwer verschuldet, als Urlaubsland sind wir zu teuer, die Europa-Euphorie ist in Katzenjammer umgeschlagen, und die mit den jüngsten Republik-Jubiläen reichlich spät in Gang gekommene Vergangenheitsbewältigung hat uns überdies um die angenehme Illusion gebracht, durch den „Anschluß" ans Großdeutsche Reich zum NS-Opfer und durch dessen Zusammenbruch zum Refreiten geworden zu sein: Wir waren Mittäter - und nicht zu knapp.

Das heutige Österreich steht also in mancherlei Hinsicht vor einem Scherbenhaufen, für dessen Beseitigung wir schlecht gerüstet sind. Und so, wie verzogene Kinder für das, was sie angerichtet haben, niemals die Schuld bei sich selber suchen, brauchen wir, die wir nun ins Trotzalter gekommen sind, für die Bewältigung unserer Misere einen Sündenbock. Wer, lieber Piefke, eignete sich für diesen Part besser als Ihr? Haben es uns nicht die Engländer immer wieder eindringlich vorexerziert, wie man isich in solchen Situationen auf Eure . Kosten Erleichterung verschafft?

Verzeih, daß ich das sage, aber Ihr macht es uns dabei auch verdammt leicht. Fangen wir mit dem Tourismus an, der bekanntlich in eine arge Krise geschlittert ist. Wieso müßt Ihr immerzu von einem Extrem ins andere fallen? Zuerst sucht Ihr unsere Ferienregionen in einem solchen Übermaß heim, daß unser Tiroler Hausdichter Felix Mitterer gar das Fernsehen um Hilfe anrufen und mit der „Piefke-Saga" das Land vor Überfremdung retten muß; und dann, kaum sind seitens der Staatsorgane (Autobahnvignette) und seitens der Fremdenverkehrswirtschaft (Höchstpreise) die ersten flankierenden Maßnahmen gesetzt, da fallt Ihr auch schon um und bleibt einfach aus. Ist das die vielbeschworene Nibelungentreue? Nehmt Euch ein Beispiel an

Helmut und Hannelore - die lassen sich durch nichts verschrecken, haben auch schon für 1997 ff. ihre Vorausbuchung für den Wolfgangsee in der Tasche.

Auch Diskretion ist nicht Eure star ke Seite. Es wird Dir vielleicht bekannt sein, daß es Industrie und Handel in unserem Lande an Kapitalkraft und unternehmerischer Potenz mangelt. So haben wir in jüngster Zeit eine Reihe großer Unternehmen, die unser ganzer Stolz sind, an Euch verlieren müssen. Ihr wart so nett, zuzugreifen, habt unser größtes Reifenwerk, unsere größte Supermarktkette, unsere berühmteste Möbelmanufaktur, sogar die Reste der einst so gloriosen Donaudampfschiffahrtsgesellschaft aufgekauft, habt Euer gutes (und inzwischen ebenfalls knappes) Geld in unsere Banken gepumpt, seid an diesem und jenem Projekt beteiligt. Brav! Aber daß nun sogar schon die Mozartkugeln nicht mehr in österreichischer Hand sind - geht das nicht doch zu weit? Das Schlagwort vom „Ausverkauf Österreichs" geht um, vom „Verscherbeln des Familiensilbers". Und jetzt frage ich Dich: Muß man das alles unbedingt an die große Glocke hängen?

Etwas, was ebenfalls für böses Blut bei uns sorgt, ist die Art, wie Ihr mit unseren Dichtern umspringt. Gut, Peter Handkes und Peter Turrinis, Thomas Bernhards und Ingeborg Bachmanns Bücher erscheinen in deutschen Verlagen. Aber gibt Euch das schon das Recht, sie als „deutsche Autoren" zu vereinnahmen, wie das laufend geschieht?

Natürlich ist Euch - so wie uns — die Pressefreiheit heilig. Und was habt Ihr für hervorragende Zeitungen! Wir lesen sie gern, sie sind besser als die unseren. So etwas wie das „Streiflicht" auf Seite 1 der „Südr deutschen" müßtest Du bei uns mit der Lupe suchen. Diese Formulierungskunst, diese glitzernden Pointen, dieser Esprit! Aber wie findest Du das, daß man in dieser Perle der Journalistik (wie aus Anlaß des Ostarrichi-Millenniums geschehen) unser Land als einen Dritte-Welt-Nobody verunglimpft sieht, dessen einzige Errungenschaft nach 1945 der „Almdud-ler" gewesen sei (der sich dann auch noch als „urinfarbenes" Erfrischungsgetränk schmähen lassen muß)?

Und wenn wir schon bei den Medien sind: Müßt Ihr Euch wirklich gar so lustvoll an unseren Affären und Skandalen weiden? Ich -gebe zu, wir sind auf diesem Sektor führend. Einen Spitzenpolitiker, der den Wahlkampf mit seiner Musterehe bestreitet und ihn zugleich von seiner Nebenfrau organisieren läßt, hat nicht jedes Land vorzuweisen. Auch ein Kirchenfürst, der im Verdacht steht, Halbwüchsigen an die Wäsche zu gehen; ein ehemaliger Regierungschef, der gerichtlich als Lügner verurteilt wird; und ein Versicherungsbetrüger und Mehrfachmörder, über den eine ganze Ministerriege ihre schützende Hand hält - das kann sich gewiß sehen lassen. Nur- ist das nichtalles unser Problem? Nie etwas von Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines befreundeten Staates gehört?

Und dann schickt Ihr uns auch noch dieses Großmaul Peymann, der sich aufspielt, als hätte er nicht nur das Burg-, sondern das Theater überhaupt erfunden! Den Moitier, der Ähnliches mit den Salzburger Festspielen treibt, können wir Euch leider nicht anlasten - der ist Belgier.

Aber ein Wort noch zu Eurem schon erwähnten Helmut. An und für sich lassen wir ja nichts auf ihn kommen - und überhaupt jetzt, wo Ihr ihm selber so zusetzt. Wir werden doch nicht auch noch den letzten Österreich-Urlauber vergraulen! Aber was er sich da voriges Jahr bei seinem Staatsbesuch in unserer Hofburg geleistet hat, geht denn doch zu weit. Auf die Fragte eines Journalisten, wieso er denn nicht längst mit unserem Franz per Du ist, gelobte er, das Versäumte schleunigst nachzuholen, schließlich sei auch schon in alten Zeiten zwischen Generalfeldmarschall und Leutnant das Du-Wort gang und gäbe gewesen. Da sprach aus ihm der gelernte Historiker. Aber sprach aus ihm auch der zu Takt verpflichtete Gast? Was konnte unser armer verunsicherter Franz anderes tun, als die eingeforderte Verbrüderung von der Klärung der Vorfrage abhängig zu machen, wer denn da wohl der Generalfeldmarschall sei und wer der Leutnant?

Das rechte Wort zur rechten Zeit -da hapert's ja überhaupt zwischen Euch und uns. Hier ließe sich allerdings noch am ehesten Abhilfe schaffen. Ich schlage vor, Ihr nehmt für den Umgang mit uns Sprachunterricht. Ist es denn wirklich zuviel verlangt, daß Ihr endlich lernt, statt Pfannkuchen Palatschinken zu sagen, statt Blumenkohl Karfiol, statt Eisbein Stelze? Das wäre doch immerhin ein Anfang. Über den Rest reden wir später.

In diesem Sinne schicke ich Dir ein herzliches „Servus!", und wenn Du mir zurückschreibst, dann bitte ohne dieses gräßliche „Tschüß!"

Dein Kamerad Schnürschuh (oder ist Dir da schon etwas Besseres eingefallen?" Denk nach!).

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