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Ein bunter Strauß aus Rom

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Auch mich hat sie verwirrt, diese vielbesungene, diese Ewige Stadt. Aber das ist keine Einzelerscheinung. Fast jeden Menschen verstrickt sie und preßt ihn an sich, stößt ihn ab. Der Harnisch des Historischen ist stark und Traum wird Wirklichkeit. Wanderer, wo du deine Schritte hinlenkst, da ist vielleicht Cicero, Vespasian oder Konstantin gewandelt. Dieselbe Sonne, die dich und die riefen Gruben des Kolosseums beschienen, haben dort manches sterbende Gladiatorenauge geblendet. Hier in Rom kreuzen sich heute die großen Welten, die Antike und die Kirche. Für so viele Menschen ist darum Rom ein Traum. Die Kunstschätze sind gewaltig. Die Kirche hat im Petersdome ein nicht zu übersehendes Monument hingestellt. Als ich den Vatikan betrat, tat ich es mit einer Scheu, obwohl ich 24 Stunden vorher noch irgendwo bei Aprilia im Hagel der Granaten und Bomben lag. Mich hat der Platz, die gewaltige Kuppel fasziniert. Nur ein Leonardo da Vind konnte so kühn sein, diese Kuppel zu entwerfen und zu bauen. Die Konzentration dieser fruchtbaren Kräfte, Antike und Kirche, die Renaissance, haben diesen Harnisch geboren, an den der Fremdling stößt. Die Gegensätze zwischen neu und alt, arm und reich sind auch heute so kraß, daß jeder Versuch, eine Verbindung beider herzustellen, mißglückt. Das mag ein Grund sein, warum der arme Mitteleuropäer sich verwirren läßt. Nichts ist leichter, als sich als Ortsunkundiger zu verirren, aber auch, wie leicht findet man sich zurecht, wenn man Rom anpackt.

Fast wie eine Filmstadt wirkt die Stadt manchmal. Vor dem Palazzo Venezia das riesige Nationalmonument mit überdimensionalen Figuren — wie klein sich die zwei Wächter des Unbekannten Soldaten ausmachen, links die Asphaltstraße, vorbei am Kolosseum, dem alten Kaiserpalast, dahinter der Venustempel, Gegenüber beginnen Hochhäuser im modernen italienischen Stile, hohe ausladende Fenster und Balkons, meist grell gefärbt. Auf dieser Straße rasen Autos nach der Via Appia südwärts. Fremdenführer suchen dort nach wehrlosen Fremden, um 50 Lire eine Stunde durch die Antike, das ist die übliche Taxe. Aber nicht nur hier treffen sich zwei Welten. In einem großen Park am Pincio finden wir eine Goethe-Büste unter Mimosensträuchern und Oleanderkub. Die grellen Sonnenstrahlen malen filigrane Muster auf den warmen Asphalt. Die Reitbahn an der alten Stadtmauer, die Kinderspielplätze erfreuen mich und sind in freigebiges Grün getaucht. Goethes Hauch läßt uns nach Hause denken, es ist diese Büste kein Fremdkörper, der Garten paßt zur Büste. Eine Symboli- sierang zweier gewaltiger Kulturen ist das Stück am Tiber, wo man von der- Engelsburg zur Peterskirche hinabsieht. Die Engelsburg, Grab des großen Hadrian, breit, gewaltig, unverwirkbar stark, und die Peterskirche, breit, aber die Kuppel ist nicht der Abschluß, sie ist der Wegweiser zur Allgewalt, sie wird leicht getragen, sie scheint fast schwerelos zu sein.

Rom soll auf sieben Hügeln gebaut sein. Ein Fremdenführer sagte auf meine Frage nach dem Namen derselben: „Das ist eine Sage, sehen Sie, vom Granicolo aus, fast eben liegt sie, nur die Straßen gehen auf und ab.” „Das sind ja doch die Hügel”, antwortete ich. Er meinte darauf fast beleidigt: „Die sind doch abgetragen. Rom ist eben.” Dasselbe würde ich über Wien behaupten können, wenn ich bei der Spinnerin am Kreuz stehe.

Große, weite Plätze, wenige Geschäftsstraßen, gefüllt von Müßiggängern, Beschäftigung vortäuschende und auch wirklich schaffende Menschen bilden ein schönes, buntes Bild. Nachmittags auf dem Korso. Weiche Parfümwolken, Schlürfen von faul gehobenen Schuhen, Lachen aus grellgefärbtem, übergroßem Munde, Schlagermelodien, gesummt und gepfiffen, begleiten das aufdringliche Klingeln der rumpelnden Straßenbahn. In den Korbstühlen rekeln sich Modeflaneure beiderlei Geschlechts. In den Restaurants gleiten disziplinierte Kellner lautlos über das Parkett, indirektes Licht soll die Vornehmheit erhöhen. Das ist Rom als moderne Weltstadt. Aber wir wollen Römisches erleben. Gehen wir zur Villa Este in den großen Park oder auf den Pincio. Abends soll es sein. Fern vom Getriebe lassen wir uns von dem Gefühle der Bodenschwere befreien. Lehnen wir uns in einen vom wilden Wein umrankten Bogen und träumen. Hier ist es schön. Der Dunst der Menschen, fernes Rufen, Hasten fängt sich in dem reichlichen Grün der Gärten. Ruinen des alten Aquädukts als blau- schwarze Siihuette bilden den rechten Rahmen des Bildes. Die Peterskuppel thront in der Mitte als ewiges Symbol der Stadt Ein verwirrendes Netz von Straßen, Gassen und Gäßchen bildet die Adern der ruhelosen, verwirrenden Stadt. Rom lebt immer, daher seine nervenverzehrende Umklammerung, aber die Landschaft um sie gibt einem die geraubten Kräfte voll zurück. Das ist die Campagna.

Trauliche Bilder voll Ruhe, Kraft und Gedeihen, üppiges Wuchern. Nach Süden die zwei Viae Appiae, die alte und die neue. Sie werden von alten Ruinen, wohl verfallenen Bastionen und Gräben, umsäumt. Die Zypressenbäume spenden Schatten. Auf saftigen Wiesen weiden Schafherden, die Schäfer wie lebende Statuen unter ihnen. Dann die Weingärten, die sich an sie Hange 3er Albanerberge ziehen, na.cK Frasquati, San Marino, Farata, deren Name für Weinkenner genießerische Erinnerung hervorruft. Die Albaner Weinbauern hängen mit Liebe und großem Können an ihren Weinbergen wie bei uns die Wach- auer. Am Rande dieser Berge stehen herrliche Villen, große Parks unterbrechen die Weinlandschaft. Gandolfo, der Albanerund Nemisee sind dort die besonderen Kostbarkeiten dieser Landschaft. Still liegen diese grünen Oasen als Smaragd zwischen subtropischen Koniferen eingebettet. Leichter Wind von den oben in Schnee gehüllten Bergen gibt der Lunge Kühlung und Erfrischung. Aber die Hitze drückt über den Glast Her zitternden Landschaft. Staubfahnen wälzen sich träge an der Straße entlang. Nackte Kinder spielen im Staube, Federvieh suhlt sich darin, und das fröhliche Volk der Campagna, arm und abergläubisch, besingt die Abende. Gearbeitet wird nicht allzuviel. Sie haben die gleiche Ansicht wie eine Südfranzösin, die zu mir sagte: „Arbeiten, ja, aber nur so viel, um nicht zu verhungern, und ein bißchen mehr; wir leben nur einmal.” Eine südliche Philosophie, die die Grundlage der Fröhlichkeit und der Unbefangenheit bei den einfachen Bauern oder Handwerkern bildet. Darum liebe ich diese einfachen Menschen hier, die anderen sind zu viel auf der Jagd nach Geld und Arbeit.

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