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Ein deutsches Requiem

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Das V o 1 k s t h e a t e r widmet die erste Premiere seines Sonderabonnements in der neuen Spielzeit dem Werk „Das Bild des Menschen“ von Peter L o t a r. — Kein Nme wird genannt: Nicht der Name des Gefängnisses, nicht der Name der Gehenkten, nicht der des Henkers. Auch nicht der Name des Führers der Häscher und Henker. Das eindrucksvolle Bühnenbild Willi Bahners zeigt ein Gefängnis, wie es, in der charakteristischen Mischung von Büro, Fabriksgebäude, Folterkammer und klösterlich anmutender Zelle, heute einen weltweit verbreiteten Typus darstellt. Die sorgfältige, ehrfürchtige Regie Leon Epps, bedacht auf die Pflege des Worte, daj hier Zeugnis geben, nicht rhetorisch schallen soll, und auf ine sparsame Gestik, wird dem Ernst der Sache gerecht. So wird es hier gewiß: Was hier vorgestellt wird, geschieht immer wieder, wo Menschen um ihres Bekenntnisses willen gerichtet, gemordet werden, und, im Angesicht des Todes ihre Schwäche und Größe offenbaren. Ebenso gewiß aber Ist: Die Menschen, die hier, in diesem „Prozeß“ geschunden werden, sind nicht, wie in irgendeinem symbolistischen und existentialiitischert Drama, zwischen Kafka und Camus, „Jedermann“, sondern sind deutsche Menschen, die im Gefängnis Plötiensee im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 geschlschtet wurden, wie ein Augenzeugenbericht festhält, „wi Schlachtvieh“. Die Hauptfigur dieses Stückes, der „Herr Graf“, ist nicht eine Symbolfigur, sondern Helmuth James von Moltke, Großneffe des Marschalls der Bismarck-Zeit (von Joseph Hendrichs würdig dargestellt), der mitgehenkte junge katholische Priester ist Alfred Delp, SJ. (Ernst Meister), der protestantische Gefängnisgeistliche (Hans Frank) ist zugleich Pfarrer Buchholz in Plötzensee und Pfarrer Harald Pökhau in Tegel. Und der, sehr passend, in einer einzigen Szene sichtbar werdende schwerverwundete und Schwerkriegsbeschädigte Oberst ist jener Offizier, den Guderian im Einverständnis mit Himmler kurz vor dem 20. Juli als neuen Chef de deutschen Generalstabes vorschlug: Claus Staufenberg. Der Brief, den der „Herr Graf“ zu Eingang und zu Ende des Werkes an seine Gattin schreibt, ist eines der ergreifendsten Dokumente deutscher Selbstfindung, und eilte, wie Eberhard Zellers Bericht „Geist der Freiheit“, vor oder nach dem Besuch der Aufführung gelesen werden. Warum hier dieie Vormerkung? Unser Publikum sitzt '(w'e auch die „Prominenten“) völlig uninformiert im Zuschauerraum -r der jungen, hübichen Dame gehen „diese Symbelflguren“ wohl auch deihalb sichtbar auf die Nerven; nun, sie verläßt mit ihrem Begleiter, der sich während der Aufführung nicht enthalten kann, geschmacklote Bemerkungen zu machen, in der Paue das Theater. Theater? Gewiß, natürlich ist das Volkstheater ein Theater. Wenn es aber, wie hier, mit Recht zu Teten kommt, zu Tetufführungen, die zeigen, wie es um Herz und Nieren, um Gesinnung und Gehalt unserer lieben Wiener heute bestellt it, dann muß man dem Publikum doch diese eine Chance geben: daß e klipp und klar vor der Aufführung erfährt, daß die Schauspieler, die jetzt auf die Bühne treten, nicht nur Rollen agieren, sondern stellvertretend, so gut sie können, hier für Menschen vontellig werden, die vor wenigen Jahren unter uns weilten, auch in Wien (wie Pater Delp zum Beispiel), die zu den Betten gehörten, und die tarben, damit wir würdiger, freier, menschlicher leben; leben können, wenn wir ei wollen. Die Männer hier, auf der Bühne, stehen ja nicht nur für die, dem SS-Bericht zufolge, 700 hingerichteten Offiziere und ?000 nach dem 20. Juli hingerichteten Frauen, Greise, Minner und halbe Kinder, sondern für uns alle da: und zeigen uns da Bild des Menschen auf.

Zum Inhalt dieses Requiem ei noch vermerkt: Er iit sehr stark zentriert auf den Gewissenkampf des Kreisauer Kreises um Graf Moltke, der erst in der Todeszelle die Lösung seines Gewissenikonfliktei fand. Es ist schade, daß die Gruppe der sozialistischen Intellektuellen, um Leber, Haubach, Mierendorf, gar nicht aufscheint (deren Ausrottung stellt vielleicht die empfindlichste Lücke im heutigen innerdeutschen Gewichtsfeld dar), daß auch die Konfrontation mit dem „Tiger“, dem „Gerichtspräsidenten“, also mit Roland Freisler, schwächlich genug ausfällt. Es wirkt manchmal fast beklemmend: Die Todgeweihten finden hier, im Stück auf der Bühne, oft nur schwache Worte, während ie in der Wirklichkeit, wie die protokollierten Prozeßakten von Moltke, Leber, Schulenburg, von Hassell, Fellgiebel, Wirmer fetthalten, diesem hysterischen Beamten unerschrocken entgegentraten und sich auch im Wortgefecht überlegen zeigten. Freisler, der im Stück sofort, in der historischen Wirklichkeit fünf Monate später 1m Gerichtsgebäude von einer Bombe erschlagen wird — tt hielt gerade die Akten Schlabrendorffs in der Hand — wird von Hans Hais mit Recht nicht als ein dämonischer antichristlicher Typ gezeichnet, sondern als ein gerissener, kalter Techniker der Maeht, wie sie heute allüberall herumlaufen.

Ein tiefdunkler, warmer Ton klingt in diesem Requiem in zwei Gestalten auf: In der jungen sozialistischen Mutter (Martha Wallner) und im Schuster (Karl Skraup), den die Gefangenen „Vater“ nennen; er zieht, wenige Stunden vor der Hinrichtung, den Todgeweihten die Schuhe aus. Dieser „Vater“ ist irgendwie die Präsenz der Güte Gottes und des Menschen, die immer gegenwärtig ist. Zum Ganzen: Eine wichtige, verdienstvolle Aufführung, ein Test, ein Mahnmal, eine Hoffnung.

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