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Ein Dichter dichtet

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Die Art, in welcher Gerhart Hauptmann seine ungeheuerliche Produktivität wenigstens einigermaßen in ihrem stürmischen Anprall zu bändigen suchte, ist eines der interessantesten Kapitel in der Geschichte der Psychologie des künstlerischen Schaffens. Bildlich gesprochen tat er das wie ein Gärtner oder Baumeister, der in einem überreichen Quellgebiet Quelle um Quelle mit einer Fassung zu halten sucht, damit sie ihm nicht durcheinanderrinnen, damit jede ihr Behältnis bekomme, um ihre Selbständigkeit gewahrt zu erhalten. Gespräche mit einem mehrjährigen • Sekretär Gerhart Hauptmanns, der in Salzburg lebt, mit Herrn Ludwig J a u n e r, der in den interessantesten Jahren um den Dichter sein durfte, von 1929 bis in die zweite Hälfte der dreißiger Jahre mit Unterbrechungen, und das ungemein aufschlußreiche, ehrfürchtig liebevolle Buch von C. F. W. Behl, das kürzlich unter dem Titel „Zwiesprache mit Gerhart Hauptmann“ im Münchner Verlag Kurt Desch erschienen ist, schenkten mir die Möglichkeit, in das

Wesen der Schaffensweise des großen Dichters einzudringen. Ich möchte nun im Folgenden zusammenfassen, was ich aus persönlichem Gespräch und aus dem Eckermann-treuen Werk Behls erfahren habe.

Wir kennen ein Bild aus den letzten Jahren Goethes, auf dem dieser dargestellt wird, wie er in dem einfachen, aus fichtenen Möbeln gezimmerten Arbeitsraum seines vornehmen Weimarer Wohnhauses, dem Sekretär John diktierend, auf und ab schreitet. Freilich hat Goethe nicht sein Intimstes, wenn man es so nennen darf, das ihm am meisten Angelegene, wie etwa den zweiten Faust, die „Marienbader Elegie“ oder den „Westöstlichen Divan“ auf solche Art zu Papier bringen lassen, aber er hat eben in der Spätzeit auch manches neben dem ihm obliegenden Staatsgeschäftlichen durch den Sekretär aufnehmen lassen. Gerhart Hauptmann hat seit der Frühzeit, in der er alles selbst schrieb, diktiert. Er hat es bestimmt in jenen Jahren, also von 1913, da Behl mit ihm zuerst zusammen kam, bis zu seinem Tode getan. Er hat' nicht einem bestimmten Sekretär diktiert, sondern hintereinander verschiedenen Menschen, die in diesen Augenblicken nichts anderes als Schreibwerkzeuge für ihn waren. Wenn er von seinen Produktivspaziergängen — Frau Hauptmann nennt sie gern und treffend „Meditationsspaziergänge“ —, die er zweimal am Tag unternahm, zurückkam, sei es zum schle-sischen Wiesenstein, zur gemieteten Villa in Rapallo, zum Haus auf Hiddensee, wenn er angefüllt mit seinen Ideen, die sich während dieser Gänge aufgerundet hatten und ihn zum Platzen erfüllten, heimkehrte, dann mußte jemand zum Diktat bereit sein und es wurde solange geschrieben, bis das Vorgefaßte aufgenommen war. Schrieb Ludwig Jauner oder Fräulein Jungmann, die verständige Sekretärin vieler entscheidender Jahre, so wußten sie, auf welche Art sie den

Worten Hauptmanns zu folgen hatten. Es ging nie schnell. Hauptmann wollte nicht, daß stenographiert wurde. Er schritt auf. und ab, die Hände auf dem Rücken wie Goethe, sprach gemessen und sehr selbstverständlich, genau, als würde ihm von einer höheren Stelle in den Mund gelegt, was er diktierte. Er diktierte alles durcheinander, so daß sich sein kolossal umfangreiches Werk wie in Schichten ordnete: Drama, Prosa, Epos. Kürzere Gedichte zeichnete er bis zum Schluß seines Lebens selber auf. An diesen feilte er lange und gründlich. Am langsamsten diktierte er natürlich Versepen und Ludwig Jauner sagte, wie frappierend es hier gewesen, daß er einmal Hexameter („Till Eulenspiegel'), ein anderes Mal die schwierigen Terzinen des .Großen Traums“, jener phantastischen Versdichtung, die er sich ins Grab mitgeben ließ, diktierte, bedächtig, ab und zu aussetzend, um neu auszuholen, aber nie sich verbessernd, stockend, sich verwirrend, korrigierend.

Merkwürdig ist die Tatsache, daß Gerhart Hauptmann während der Diktate gerne Gegenst?' ' bestimmter Art als Stimulantia, anders kann das nicht gedeutet werden, zur Hand nahm. So befremdete es Jauner eines Tages, als der Dichter mitten im Diktat in einem Buch, das er gerne während dieser Arbeit in den Händen hielt, zu lesen anfing und zu blättern, dabei aber völlig ungestört weitersprach. Nach und nach bemerkte Jauner, daß Hauptmann nicht nur keinen Text las, der in Verbindung mit dem stand, was er gerade schrieb, sondern das Buch verkehrt in der Hand hielt, so daß das Blättern als Stimulans ihm den Eindruck gedruckten Papiers vermittelt haben mochte oder ein alter Ledereinband jenen sorgfältiger, ästhetisch wohltuender Handarbeit. Das scheinbare Lesen darin war ein Lesen mit blicklosem Blick oder ein Schauen hindurch, wie man durch einen M“~--chen schauen kann, unabsichtlich, nur weil der Blick in diesem Augenblick nach innen gerichtet ist. Gerhart Hauptmann brauchte also dieses Gefühl in den Händen, ein plastisches Gefühl sozusagen, zur Unterstützung seiner angespannten Denkarbeit. Ich sage plastisch zu diesem Gefühl, denn ein anderes Stimulans für seine Arbeit, dessen er sich gerne bediente, waren, wie es Ludwig Jauner ebenfalls aus scharfer Beobachtung beschreibt, Murren, alte, schöne Gold- oder Silbermünzen, von denen meist einige auf Hauptmanns Arbeitstisch herumlagen. Diese Münzen nahm er gerne während des Diktats in die Hand und ertastete mit seinen Fingern, indem er anscheinend mit ihnen spielte, die Plastik ihrer Prägung, unbewußt aus seinem bildhauerischen Ur-instinkt daran modellierend oder sie nachformend. In diesem Zusammenhang erscheint es auch wesentlich, daß Gerhart Hauptmann, wie Jauner erzählt, Münzen mit ehrlicher Freude sammelte, wobei es ihm jeweils nicht um den numismatischen Wert gegangen sei, sondern nur um die Schönheit der Reliefarbeit. Folglich sah der Dichter den absoluten bildhauerischsn

Wert des einzelnen Stücks für seine Sammelleidenschaft auf diesem Gebiet als ausschlaggebend an.

Betrachtet man die Schaffensweise Ger-härt Hauptmanns, so gehört dazu als unumgänglich ein kurzer Blick auf die Entstehung seiner unzähligen Tagebücher. Wenn er sich auf den Meditationsspaziergang begab, so steckte er in seine Rocktaschen immer ein oder zwei dieser extra für ihn angefertigten Notizbücher. Wi h-rend des Gehens trug er Grundverschiedenes in sie ein. Die Eintragungen beinhalten meist Splitter, Aphorismen, Nebengedanken, Kurzeinfälle, die mit der Notierung auch bereits vergessen waren. Sie wurden so eingetragen, wie er das Buch in die Hand bekam, gleichgültig nuf welcher Seite, eben dort, wo Platz war, seitenverkehrt, ja oft auf der gleichen Seite gegeneinander vermerkt. Diese Bücher, die sicherlich Wertvollstes an Gedankengut enthielten, einmal zu sichten, wird zum Schwierigsten gehören, was der umfangreiche Nachlaß mit sich bringt, ja wahrscheinlich wird manches nie entwirrt werden können.

Als Hans Pfitzner kurz vor seinem Tod dem letzten Konzert eigener Werke im Salzburger Mozarteum beiwohnte, wurde ein selten gespieltes Klavierduo von ihm gebracht. Nach dem Konzert sagte er zu einem Freund, daß er sich an dieses Stück nicht mehr erinnert hätte. Damals meinte ein Musikhistoriker, als er diese wahre Anekdote vernahm, das sei ein ganz netter, doch unorigineller Spaß Pfitzners. Behl berichtet von Gerhart Hauptmann, wie er bei Veranstaltung des ersten Teiles der Ausgabe letzter Hand mit dem Dichter verschiedene Dramenentwürfe aus früherer und frühster Zeit durchgegangen und wie Hauptmann vielem darunter mit Interesse gelauscht habe, weil er nicht nur die Beziehung zu solchen eigenen Schöpfungen verloren, sondern diese als eigenständig völlig aus dem Gedächtnis verloren hatte. Es ist durchaus einzusehen, daß geniale Menschen in der Fülle drängenden Schaffens am ~nde eines langen und reichen Lebens so manches früh Begonnene, nicht zu Ende Geführte vergessen haben. Jauner konnte, wie er berichtet, nicht genug darüber staunen, wie Hauptmann jahrelang abgelegene Dichtungen an der Bruchstelle nahtlos fortsetzte, als hätte er gerade gestern dort aufgehört. Während der Arbeit an der Ausgabe letzter Hand griff er zum Beispiel den frühen Entwurf eines Gustav-Adolf-Dramas, „Die hohe Lilie“ betitelt, auf und baute wesentliche Teile dieses ihn wieder faszinierenden Stücks weiter, um es dann doch nicht abzuschließen. Bei der Vorlesung längst vergessener Werke durch Dr. Behl wurde der.alte Dichter oft zu Tränen ergriffen. Er wünschte fortzusetzen oder ließ es als gültig aufnehmen in das, was bleiben sollte. Nur aus der Distanz fand er aus subjektiv-objektiver Sicht das richtig abwägende Verhältnis zum eigenen Werk. So hieß er es gut, daß Behl das einst eingestampfte „Prome-thidenlos“ in die große Ausgabe stellte.

Wie Hauptmann geradezu in Trance diktierte, wie er dieses Dichten außerhalb der ihn umgebenden realen Welt stellte, dafür gibt Ludwig Jauner ein schönes Beispiel. Der Dichter war dabei, ihm sein Drama „Vor Sonnenuntergang“ zu diktieren, als er sich plötzlich unterbrach und wortlos ins Nebenzimmer '•-'iritt, wo Jauner vernahm, wie er sich mit jemandem unterhielt, auch irgendeine Mappe oder ähnliches betrachtete. Nach etwa einer Stunde kam Hauptmann in das Arbeitszimmer zurück, wo Jauner, ohne sich zu rühren, gewartet hatte. Als er diesen sah, erschrak er und setzte zu der Frage an, wieso er dorthin komme. Dann fing er sich gewissermaßen im Sturz selbst wieder auf und setzte bedächtig sein unterbrochenes Diktat als eine Selbstverständlichkeit genau an jener Stelle und bei demselben. Wort fort, wo er früher stehengeblieben war, geradeso, als hätte er sich gar nicht unterbrochen. Hier ergab sich ein Brennpunkt der Schaffensweise, des Schöpfungsvorgangs von Gerhart Hauptmann, die klare Scheidungsstelle auch zwischen der irrealen Welt des Dichters, einer Art höherer Trance, und der realen des Menschen, die bei ihm, dem im klassischen Sinn erosbetonten Sinnenmenschen, ganz nahe beieinander lagen.

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