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Ein Dokument aus der Familie Goebbels

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Nach jedem Krieg hat die Jugend geschlagener Völker bekanntlich die Phase des Schocks durchzustehen, und wir erleben auch heute wieder, daß sie dieser Aufgabe in verschiedener Form begegnen kann — von opfervoller Meisterung des Zusammenbruches über apathische Gleichgültigkeit bis zur moralischen Verwahrlosung werden alle Varianten praktiziert. Dieser Phase des Schocks folgt nach den Gesetzen der Geschichtspsychologie zweifellos auch diesmal die Phase der Auseinandersetzung und Entscheidung, teilweise mit revolutionärem, teilweise mit jugendbewegtem Vorzeichen und Ausgang. Die Älteren — die gegenüber dem Schock nur wirkungsmildernd der Jugend helfen können — stehen inmitten einer solchen Auseinandersetzung voll schwerer Verantwortung da; Versäumnisse und Fehlgriffe können sich dabei verhängnisvoll auswirken. Die Jugend von 1918 ist heute Generation der Väter und sollte aus der Rückbesinnung nun gegenüber der Jugend von 1946 eher das Rechte treffen.

Für das Ringen damaliger Eltern um ihre Kinder in der Krise kam mir kürzlich ein erschütterndes und historisch weittragendes Beispiel zur Hand, das h i e m i t der Öffentlichkeit erstmalig übergeben wird. Ich fand einen wichtigen Teil des Originalnachlasses von Joseph Goebbels, der für dessen Entwicklungsgang außerordentlich aufschlußreich ist. Es ist zweifellos, daß Goebbels auf den Nationalsozialismus wie auf das deutsche Volk in den letzten zwanzig Jahren außerordentlichen Einfluß ausgeübt hat. Und es hat manche Frage gegeben, wie dieser begabte Mann aus offensichtlich katholischer Familie einen derart unheilvollen Weg nehmen konnte. Ich hoffe, auf diese Frage — die heutzutage neu aktuell werden könnte — aus den eigenhandschrift-lidien Quellen von Goebbels selbst antworten zu können. Für heute bringe ich ein Dokument, das den Beginn des Entwicklungsganges eindringlich beleuchtet.

Joseph Goebbels — damals 22 Jahre alt — studierte gerade in Heidelberg und geriet dort in eine erste schwere Krise. Auf seinen entsprechenden Brief antwortet ihm sein Vater (Fritz Goebbels, von Beruf Kaufmann) unterm 9. November 1919 aus Rheydt folgendermaßen:

„Lieber Joseph!

Mein vorgestriges Schreiben schätze ich in Deinem Besitz. Ich möchte jetzt kurz auf Deine lieben Zeilen vom 31. vorigen Monats zurückkommen. Aus Deinen Zeilen vernahm ich vieles, was mich sehr gefreut hat, wenn midi auch wieder anderes recht schmerzlich berührt. Ich glaube, daß bei einem beiderseitigen guten Willen das frühere, zutrauliche Verhältnis wieder schnell hergestellt sein dürfte. Grundbedingung hiefür wäre allerdings, daß Du Deinem Vater stets offen und wahr gegenüber trittst. S

Daß Du es in Deinem Studium nie an Fleiß und Ausdauer hast fehlen lassen und Deine Erfolge von manchen Studenten beneidet worden sind, ist stets meine Überzeugung gewesen. Ganz besonders freut es mich, daß Du Dich sittlich hochgehalten hast, und Deine Worte hierüber tun einem Vaterherzen wohl.

Wenn Du nun weiterschreibst: ,W e n n ich meinen Glauben verliere...', so darf ich wohl annehmen, daß Du ihn noch nicht verloren hast, und daß es nur Zweifel sind, die Dich quälen. Dann kann ich Dir zur Beruhigung sagen, daß kein Mensch, besonders in den jungen Jahren, von diesen Zweifeln verschont bleibt, und daß die, die am meisten unter diesen Zweifeln leiden, bei weitem nicht die schlechtesten Christen sind. Auch hier kommt man nur durch Kampf zum Sieg. Didi dieserhalb von den Sakramenten -fernzuhalten, ist ein großer Fehler, denn welcher Erwachsene könnte behaupten, stets mit dem kindlich reinen Herzen zum Tische des Herrn zu treten, wie er es bei der ersten Heiligen Kommunion tat?

Ich muß nun einige Fragen an Dich stellen. Denn wenn unser Verhältnis die frühere Zutraulichkeit bekommen soll, die keiner mehr wünscht wie ich, dann müßte ich diese Sache schon beantwortet haben:

1. Hast Du oder beabsichtigst Du Bücher zu schreiben, die mit der katholischen Religion nicht zu vereinbaren sind?

2. Willst Du vielleicht einen Beruf ergreifen, in den kein Katholik paßt?

Ist dies alles nicht der Fall, und sind Deine Zweifel anderer Art, dann sag' ich nur das eine: bete Du, und ich bete auch, und unser Herrgott wird Dir helfen, daß alles gut geht.

Solltest Du aber dennoch glauben, Deinen Glauben zu verlieren, dann möchte ich Dich zurückführen in das Jahr 1915, wo Du morgens neben mir an dem Sterbebette unserer leider so früh verstorbenen Elisabeth auf den Knieen saßest und mit mir ein Vaterunser für die Seele dieses Engels betetest. Was war da der Trost in unserm Schmerz — dodi nur, daß die liebe Verstorbene mit den Tröstungen der Kirche versehen war, und daß wir gemeinsam beten konnten. Und dann wird auch einmal die Stunde kommen, wo Du an das Krankenbett Deines Vaters, Deiner Mutter gerufen wirst. Willst Du dann als Ungläubiger Abschied nehmen von Deinen Eltern? Und wenn Deine Geschwister am Sarge Deiner Eltern knien, willst Du dann abseits stehen? Nein, mein Sohn, das tust Du nicht! Mag es in Deinem Innern aussehen, wie es will — wenn es auch schlimmer ist, als ich meine: nur Mut, Du bekommst audi wieder Ruhe. Und glaubst Du doch, die Ruhe nicht finden zu können, dann komme nach Hause; das Geld hiefür sollst Dil haben.

Ich erinnere mich soeben einer selbst erlebten Geschichte, die ich Dir kurz mitteilen werde. Ein hiesiger Spinnereibesitzer — er starb kürzlich — war katholisch geboren und erzogen; er verlor seinen Glauben, heiratete protestantisch und ließ seine Kinder auch protestantisch erziehen. Die Kirche besuchte er nicht mehr. An einem Mai-Abend sah ich diesen Mann aus der Maiandacht kommen. Was hatte den mit Glücksgütern reich gesegneten Mann in die Kirche getrieben? Die innere Unruhe trieb den Mann nochmals dorthin, wo er als Kind gekniet! Die Welt hatte ihm den inneren Frieden nicht geben können.

Du schilderst den Tag Deiner letzten Heiligen Kommunion als einen glücklichen Tag. Auch Du willst Dir doch einmal einen eigenen Hausstand gründen. Willst Du denn dann Deinen Kindern dieses Glück vorenthalten? Ich habe beim ersten Kommuniontage meiner Kinder dieses Schauspiel mit gläubigem Herzen und mit tränendem Auge gesehen, beglückt von dem Glück meines Kindes. Wie wird es an einem solchen Tage in dem Herzen eines ungläubigen Vaters toben? Wie wird er sich seiner Jugend erinnern, wie wird seine Vergangenheit auf ihm lasten? Der Ungläubige, der früher Katholik war, findet seine Ruhe nicht; die jungen Jahre mögen diese Unruhe dämpfen, das Alter wird sie zur Qual machen.

Du schreibst in Deinem Briefe: .Sage“ mir, daß Du mich verfluchst, als den verlorenen Sohn, der seine Eltern verließ und in die Irre ging!' Und ferner: ,Wenn Du meinst, ich dürfte nicht mehr Dein Sohn sein...' Beides tue ich als katholischer Vater nicht. Ich bete für Dich, wie ich sooft für Dich gebetet habe.

Nun jetzt Schluß! Die Antwort an mich brauchst Du nicht zu übereilen. Halte nur den Briefwechsel mit Zuhause aufrecht. Da die Paketpost nicht mehr gesperrt sein soll, schicke ich Dir dieser Tage ein Eßwarenpaket.

Mit herzlichen Grüßen, auch von Mutter und Geschwistern, verbleibe ich wie stets Dein D. 1. V.w“

Die Reaktion des Sohnes aal diesen — in seiner schlichten Unmittelbarkeit doppslt ergreifenden — Brief stand bereits unter dem Zeichen einer andersgearteten Entwicklung. Außerdem schaltete sich in diese Zeit verhängnisvoll eine unglücklich verlaufende Liebesaffäre (mit „Anka“) ein, der sich andere anschlössen, wie der vorliegende Briefwechsel belegt. Ein Jahr später steht dann der offensichtliche Entschluß von Joseph Goebbels, dem Leben verzweifelt ein Ende zu bereiten. Sein „Testament“ vom 1. Oktober 1920 schließt mit dem Satz:

„Ich scheide gern von einem Leben, das für mich nur noch eine Hölle war.“

Vielleicht ergibt sich bald eine Gelegenheit, seinen weiteren Weg aufzuzeigen. Die Stunde der Entscheidung war aber für ihn längst vorbei.

Sperrungen im Satz des Briefes, entsprechen dem Original.

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