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Ein Engerl klettert auf die Kloschüssel

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Der Knochenmann sitzt auf einem Fassel, hat bernsteinfarbige Augen und ein rotes Mascherl um den bleichen Hals und zeigt auf eine Stelle in einem Buch. Was dort steht, verrät er nicht. Er grinst bloß, wie es bekanntlich seine Art ist. Gevatter Tod ist aber auch als Bier-krügel, Briefbeschwerer, Schnapsflasche oder Kaffeehäferl zu haben, ja sogar als Duo zweier großer Totenschädel, die, Prost Mahlzeit, an kleinen Totenschäderln knabbern.

Am 9. und 10. Dezember kommen all diese Tode im Wiener Palais Ferstel unter den Hammer. Aber nicht, um zertrümmert, sondern um vom Aktionshaus Zacke dem Meistbietenden zugeschlagen zu werden. Und mit ihnen ganze Begimenter von Hasen mit Butten am Buckel, wahre Gebirge von Aschenbechern, Batterien von Kaffeehäferln, geschmückt mit braven Kindern, putzigen Katzen und schielenden Gesichtern. So eine „Schieltasse”, einst zu Tausenden weggeworfen, ist heute rund 700 Schilling wert. Auch den kleinen, aber feinen Aufmarsch sogenannter Teepuppen wollen wir nicht vergessen. Insgesamt rund 5.000 Objekte. Es handelt sich um ein Auktionsereignis besonderer Art: Das Wiener Auktionshaus Zacke versteigert die größte

Nippes-Sammlung der Welt.

Ungerechterweise steht die Auktion „Alte Reklame”, ebenfalls Zacke, die schon heute, Donnerstag, und morgen im Vienna Hilton stattfindet, im Schatten des Großkitschereignisses. Denn auch die Versteigerung alter Reklameschilder, Blechdosen und allerlei Werbemittel ist umfangreich und mit zum Teil künstlerisch interessanten Objekten beschickt. •

Doch Werbekunst wird öfter versteigert, etwas w\e die Nippes-Auktion gibt es selten. Nicht so bald wieder werden soviele verschiedene lustige Eierbecher auf einem Haufen zusammenkommen, genug, um eine kleine Kulturgeschichte des weichen

Kis darauf zu gründen, ganz zu schweigen von den Tellern, die ausreichen, um die Wände einer Zwölfzimmerwohnung zu dekorieren. Allein die weißen Behältnisse mit oder ohne Aufschrift „Warme Würstchen”, doch stets einem oder zwei braunen Würstchen auf dem Deckel, füllen locker ein Fach in einer Vitrine.

Gesammelt haben diese gigantische Mischung von Anmutigem mit gräßlichem Plunder Jutta und Günter Griebel, die in ihrem kleinen Betrieb in Deutschland Geschenkartikel herstellen. Ihre „Igitt-Sammlung” ist in 30 Jahren auf rund 10.000 Stück angewachsen (weitere Auktionen und

Freiverkäufe stehen noch bevor). Die Trennung ist vielleicht auch ein Befreiungsakt. Und der Schätzwert der ersten Auktion beträgt immerhin um die sieben Millionen Schilling. Nippes, laut Lexikon „kleine, aufstellbare Schau- und Zierfiguren, Vasen und ähnliches”, sind zwar meist aus Porzellan, doch die Griebels sammelten bald auch Objekte aus Steingut, Gips und sogar Pappmache der Zeit von etwa 1850 bis 1950. Sie wurden zu wahren Theoretikern des Kitsches und gründeten das „Erste deutsche Gartenzwerg-Museum” in Bot am See. Schließlich war Griebels Urgroßvater um 1880 einer der Väter des deutschen Gartenzwergs.

Aug in Auge mit einem Küken auf einem Eierbecher (Schätzwert eintausend Schilling) gerät so manchem der Kunstbegriff ins Wanken: Ist das nun Kitsch oder anständiges Kunsthandwerk? Art Deco oder wirklich, wie angegeben, schon um 1900 entstanden? Auch der grinsende braune Vollmond mit zugekniffenem Auge und einer Zigarette im Mundwinkel (Schätzwert 8.000 Schilling) mag klammheimlich manchem gefallen, der es nie zugeben würde. Allerdings überwiegen die eindeutigen F'älle. Die Siegespalme für das kitschigste Objekt gebührt möglicherweise der Sanitärfirma Otto Franz in Dresden. Sie feierte 1940 ihr fünfzigjähriges Bestehen mit der Miniatur einer Kloschüssel, an der ein Engelchen hochklettert. Dieses Stück ist so schaurig, daß der Schätzwert, ein Tau -sender, geradezu bescheiden anmutet.

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