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Ein Evangelium des Lebens

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Mit kräftigen Worten warnt der Papst die Welt vor der sich ausbreitenden Kultur des Todes und ruft alle zur Mitwirkung an einer Wende zum Leben auf.

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Mit kräftigen Worten warnt der Papst die Welt vor der sich ausbreitenden Kultur des Todes und ruft alle zur Mitwirkung an einer Wende zum Leben auf.

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Der Mensch ist zu einer M Lebensfülle berufen, ■ die weit über die Di-* B mensionen seiner irdi-m sehen Existenz hinausgeht, da sie in der Teilhabe am Leben Gottes selber besteht. Die Erhabenheit dieser übernatürlichen Berufung enthüllt die Größe und Kostbarkeit des menschlichen Lebens auch in seinem zeitlichirdischen Stadium. Denn das Leben in der Zeit ist Grundvoraussetzung, Einstiegsmoment und integrierender Bestandteil des gesamten einheitlichen Lebensprozesses des menschlichen Seins das in der Ewigkeit zu seiner vollen Erfüllung gelangen wird... Zugleich unterstreicht diese übernatürliche Berufung die Relativität des irdischen Lebens von Mann und Frau. In Wahrheit ist es nicht „letzte”, sondern „vorletzte” Wirklichkeit; es ist also keilige Wirklichkeit, die uns anvertraut wird, damit wir sie mit Verantwortungsgefühl hüten und in der Liebe und Selbsthingabe an Gott sowie an die Schwestern und Brüder zur Vollendung bringen. (2)

Unsere Aufmerksamkeit will sich ... im besonderen auf eine ... Art von Angriffen konzentrieren, die das werdende und das zu Ende gehende Leben betreffen, Angriffe, die im Vergleich zur Vergangenheit neue Merkmale aufweisen und ungewöhnlich ernste Probleme aufwerfen: deshalb, weil die Tendenz besteht, daß sie im Bewußtsein der Öffentlichkeit den „Verbrechenscharakter” verlieren und paradoxerweise „Bechts-charakter” annehmen... (11)

Wenn man die Dinge von diesem Gesichtspunkt her betrachtet, kann man in gewisser Hinsicht von einem Krieg der Mächtigen gegen die Schwachen sprechen: das Leben, das mehr Annahme, Liebe und Fürsorge verlangen würde, wird für nutzlos gehalten oder als eine unerträgliche Last betrachtet und daher auf vielerlei Weise abgelehnt. Wer durch seine Krankheit, durch seine Behinderung oder, noch viel einfacher, durch sein bloßes Dasein den Wohlstand oder die Lebensgewohnheiten derer in Frage stellt, die günstiger dastehen, wird zunehmend als Feind angesehen... (12)

(Wir) stehen ... tatsächlich einer objektiven „Verschwörung gegen das Leben” gegenüber, die auch internationale Institutionen einschließt, die mit großem Engagement regelrechte Kampagnen für die Verbreitung der Empfängnisverhütung, der Sterilisation und der Abtreibung anregen und planen. Schließlich läßt sich nicht leugnen, daß sich die Massenmedien häufig zu Komplizen dieser Verschwörung machen, indem sie jener Kultur, die die Anwendung der Empfängnisverhütung, der Sterilisation, der Abtreibung und selbst der Euthanasie als Zeichen des Fortschritts und als Errungenschaft der Freiheit hinstellt, in der öffentlichen Meinung Ansehen verschaffen, während die Positionen, die bedingungslos für das Leben eintreten, als freiheits- und entwicklungsfeindlich beschreibt. (17) *

Wo bleiben da die Menschenrechte?

Auf der einen Seite sprechen die verschiedenen Menschenrechtserklärungen und die vielfältigen Initiativen, die von ihnen inspiriert werden, von der Durchsetzung einer moralischen Sensibilität auf Weltebene, die sorgfältiger darauf achtet, den Wert und die Würde jedes Menschen als solchen anzuerkennen, ohne jede Unterscheidung von Basse, Nationalität, Beligion, politischer Meinung und sozialem Stand.

Auf der anderen Seite setzt man diesen edlen Proklamationen leider in den Taten ihre tragische Verneinung entgegen. Diese ist noch bestürzender, ja skandalöser, weil sie sich in einer Gesellschaft abspielt, die

die Durchsetzung und den Schutz der Menschenrechte zu ihrem Hauptziel und zugleich zu ihrem Buhmesblatt macht...(18)... Das ursprüngliche, unveräußerliche Becht auf Leben wird auf Grund einer Parlamentsabstimmung oder des Willens eines - sei .es mehrheitlichen - Teiles der Bevölkerung in Frage gestellt oder verneint... Auf diese Weise beschreitet die Demokratie ungeachtet ihrer Begeln den Weg eines substantiellen Totali-tarismus. Der Staat ist nicht mehr das „gemeinsame Haus”, in dem alle nach den Prinzipien wesentlicher Gleichheit leben können, sondern er verwandelt sich in einen tyrannischen Staat, der sich anmaßt, im Namen einer allgemeinen Nützlichkeit ... über das Leben der Schwächsten und Schutzlosesten, vom ungeborenen Kind bis zum alten Menschen, verfügen zu können. (20)

Weil man Leiden als sinnlos ansieht

Die Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen führt unvermeidlich zum praktischen Mate-

rialismus, in dem der Individualismus, der Utilitarismus und der He-donismus gedeihen. Auch hier offenbart sich die ewige Gültigkeit dessen, was der Apostel schreibt: „Und da sie sich weigerten, Gott anzuerkennen, lieferte Gott sie einem verworfenen Denken aus, so daß sie tun, was sich nicht gehört” (Rom 1, 28)...

In einem solchen Gesamtrahmen wird das Leiden ... „beanstandet”, als unnütz zurückgewiesen, ja als immer und auf jeden Fall zu vermeidendes Übel bekämpft. Kann man es nicht überwinden und schwindet die Aussicht wenigstens auf ' künftiges Wohlergehen, dann scheint das Leben jede Bedeutung verloren zu ha-

ben, und im Menschen wächst die Versuchung, das Becht zu seiner Beseitigung geltend zu machen. (23)

Das Leben ist unantastbar

Das Leben, das Gott dem Menschen schenkt, ist anders und eigenständig gegenüber dem eines jeden anderen Lebewesens, weil der Mensch, auch wenn er mit dem Staub der Erde verwandt istin der Welt Offenbarung Gottes, Zeichen seiner Gegenwart, Spur seiner Herrlichkeit ist...: im Menschen erstrahlt ein Widerschein der Wirklichkeit Gottes selbst. (34)

... Das Leben des Menschen kommt aus Gott, es ist sein Geschenk, sein Abbild und Ebenbild, Teilhabe an seinem Lebensatem. Daher ist Gott der einzige Herr über dieses Leben: der Mensch kann nicht darüber verfügen.(39)

... Aus der Heiligkeit des Lebens erwächst seine Unantastbarkeit, die von Anfang an dem Herzen des Menschen, seinem Gewissen, eingeschrieben ist (40)

Ein schweres sittliches Vergehen

Mit der Petrus und seinen Nachfolgern von Christus verliehenen Autorität bestätige ich daher in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen Menschen immer ein schweres sittliches Vergehen ist..

Die willentliche Entscheidung, einen unschuldigen Menschen seines Lebens zu berauben, ist vom morali -sehen Standpunkt her immer schändlich und kann niemals, weder als Ziel noch als Mittel zu einem guten Zweck gestattet werden. (57)

... Die vorsätzliche Abtreibung ist, wie auch immer sie vorgenommen werden mag, die beabsichtigte und direkte Tötung eines menschlichen Geschöpfes in dem zwischen Empfängnis und Geburt liegenden Anfangsstadium seiner Existenz

Die sittliche Schwere der vorsätzlichen Abtreibung wird in ihrer ganzen Wahrheit deutlich, wenn man erkennt, daß es sich um einen Mord handelt... (58)

Den Tod des noch ungeborenen Kindes beschließen außer der Mutter häufig andere Personen. Schuldig sein kann vor allem der Vater des Kindes... Nicht verschwiegen werden dürfen sodann die Beeinflussungen, die aus dem weiteren Familienverband und von Freunden kommen. Nicht selten ist die Frau einem so starken Druck ausgesetzt, daß sie sich psychologisch gezwungen fühlt, in die Abtreibung einzuwilligen... Verantwortlich sind auch die Arzte und das Pflegepersonal, wenn sie ihre berufliche Kompetenz, die sie erworben haben, um das Leben zu fördern, in den Dienst des Todes stellen. Aber in die Verantwortung miteinbezogen sind auch die Gesetzgeber, die Abtreibungsgesetze gefördert und beschlossen haben, und in dem Maße, in dem die Sache von ihnen abhängt, die Verwalter der Einrichtungen des Gesundheitswesens, die für die Durchführung von Abtreibungen benutzt werden... (59)

Keine Versuche an Embryonen

Die sittliche Bewertung der Abtreibung muß auch auf die neuen Formen des Eingriffs auf menschliche Embryonen angewandt werden, die unvermeidlich mit der Tötung des Embryos verbunden sind, auch wenn sie Zwecken dienen, die an sich erlaubt sind. Das ist bei der Durchfuhrung von Versuchen an Embryonen gegeben, die auf dem Ge-

biet der biomedizinischen Forschung in wachsender Zunahme begriffen und in einigen Staaten gesetzlich erlaubt ist...(63)

Verbot der Euthanasie

... (Ich) bestätige ... in Übereinstimmung mit dem Lehramt meiner Vorgänger und in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die Euthanasie eine schwere Vzrletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu akzeptieren ist. (65)

Abtreibung und Euthanasie sind Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen... (73)

Die Verpflichtung zum Dienst am Leben lastet auf allen und auf jedem einzelnen...Wir spüren alle miteinander die Verpflichtung, das Evangelium vom Leben zu verkünden, es in der Liturgie und in unserem gesamten Dasein zu feiern, ihm mit verschiedenen Initiativen und Strukturen zu dienen, die seine Unterstützung und Förderung zum Ziele haben. (79)

Mitwirken an einer Wende

Zusammenfassend können wir sagen, daß die hier herbeigewünschte kulturelle Wende von allen den Mut verlangt, einen neuen Lebensstil zu entfalten, der sich darin ausdrückt, daß den konkreten Entscheidungen - auf persönlicher, familiärer, gesellschaftlicher und internationaler Ebene - die rechte Werteskala zugrunde gelegt wird: der Vorrang des Seins vor dem Haben, der Person vor den Dingen. Dieser erneuerte Lebensstil schließt auch ein, daß wir uns ändern von der Gleichgültigkeit zur Anteilnahme für den anderen und von der Ablehnung zu seiner Aufnahme: die anderen sind nicht Konkurrenten, vor denen wir uns verteidigen müssen, sondern Brüder und Schwestern, mit denen wir solidarisch sein sollen; sie müssen um ihrer selbst willen geliebt werden; sie bereichern uns durch ihre Gegenwart. Bei der Mobilisierung für eine neue Kultur des Lebens darf sich niemand ausgeschlossen fühlen: alle haben eine wichtige Rolle zu erfüllen (98)

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