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Ein Fanal der Freihei

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Im Beethoven-Jahr kann Salzburg nicht umhin, die einzige Oper des Komponisten aufzuführen. Nun ist unser Land seiner konservativen Einstellung wegen bekannt, doch beschert es dafür auch besondere Reize. So hat beispielsweise der Österreicher, genügend Geldmittel vorausgesetzt, die Möglichkeit, im Laufe eines Jahres in Wien und Salzburg drei verschiedene Inszenierungen von Beethovens „Fidelio“ zu erleben und noch dazu unter drei der berühmtesten Dirigenten der Gegenwart, unter Leonard Bernstein, Karl Böhm und Herbert von Karajan. Die Karajansche Interpretation steht uns erst zu den Osterspielen 1971 bevor.Freilich, von Nietzsches Satz: „Genießen macht gemein“ sind wir schon längst abgerückt. Eine Generation, die ständig von Angstträumen geplagt wird, irgendein Irrtum oder Verbrechen könnte die Atombombe zur Erpressung oder zur Menschheitsvernichtung verwenden, mag das Recht des Genießens für sich in Anspruch nehmen, auch wenn der Gegensatz von Armut und Reichtum, Unterdrückung und Freiheit noch niemals so kraß in Erscheinimg trat. Und so ist auch „Fidelio“, von Beethoven als Protest gegen Terror und als Freiheitsfanal konzipiert, in erster Linie ein Stilproblem geworden.

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Im Beethoven-Jahr kann Salzburg nicht umhin, die einzige Oper des Komponisten aufzuführen. Nun ist unser Land seiner konservativen Einstellung wegen bekannt, doch beschert es dafür auch besondere Reize. So hat beispielsweise der Österreicher, genügend Geldmittel vorausgesetzt, die Möglichkeit, im Laufe eines Jahres in Wien und Salzburg drei verschiedene Inszenierungen von Beethovens „Fidelio“ zu erleben und noch dazu unter drei der berühmtesten Dirigenten der Gegenwart, unter Leonard Bernstein, Karl Böhm und Herbert von Karajan. Die Karajansche Interpretation steht uns erst zu den Osterspielen 1971 bevor.Freilich, von Nietzsches Satz: „Genießen macht gemein“ sind wir schon längst abgerückt. Eine Generation, die ständig von Angstträumen geplagt wird, irgendein Irrtum oder Verbrechen könnte die Atombombe zur Erpressung oder zur Menschheitsvernichtung verwenden, mag das Recht des Genießens für sich in Anspruch nehmen, auch wenn der Gegensatz von Armut und Reichtum, Unterdrückung und Freiheit noch niemals so kraß in Erscheinimg trat. Und so ist auch „Fidelio“, von Beethoven als Protest gegen Terror und als Freiheitsfanal konzipiert, in erster Linie ein Stilproblem geworden.

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Die Salzburger Fidelio-Aufführung, die schon zwei Jahre auf dem Programm steht, wurde heuer vom Großen Festspielhaus in die umgestaltete Felsenreitschule transferiert. Das geschah zu ihrem Vorteil. Was bei der Bühne des Festspielhauses stört, ihre überdimensionale Breite und geringe Tiefe, das nimmt der Zuseher bei einer Naturbühne hin. Außerdem gelingt dem Regisseur Günther Rennert dadurch, daß er die Arkaden der Bühne in der Felsenreitschule als Zuschauerlogen mit Leuten bevölkert, eine außerordentliche Verlebendigung des Spieles. Die Handlung rollt nun inmitten der Besucher ab, geht gewissermaßen in den Alltag ein, was noch durch das Fehlen von Bühnenbild und Requisiten unterstrichen wird. Das Stück spielt deshalb pausenlos durch und vollzieht sich realistisch vor den Augen aller. Gefangene und Wächter tragen gleichermaßen Drillichanzüge, denn im Grunde sind alle Menschen Gefangene, nur besitzen die, die gerade die Rolle der Wächter spielen, Waffen. Auch kommen in der Schlußszene die Leute nicht im Feiertagskleid, sondern im Arbeitsanzug. Sie laufen von der Arbeit fort, als sie die Nachricht von der Ankunft des Ministers hören. Die Oper „Fidelio“ wird somit eine Geschichte, die sich jeden Tag ereignen könnte und verliert damit ihre Einmaligkeit. Diese ist gewissermaßen an den Beginn vorverlegt, denn die Dritte Leonoren-Ouverture, diese dramatische Legende vom Sieg der Freiheit, wird nun nicht mehr zwischen dem Jubelduett und dem Finale der Oper gespielt — es gibt ja keinen Umbau —, sondern am Beginn der Oper. Das hat viel für sich, nur nimmt es den musikalischen Höhepunkt vorweg. Es fällt schwer, sich vom Siegestaumel des Finales der Ouvertüre auf das Geplänkel von Marzelline und Jaquino umzustellen.

Bei Bernsteins undogmatischer Interpretation in der Wiener Aufführung faszinierte die Leidenschaft, mit der sich der Dirigent auf Beethovens ^lusik stürzte. Diese erhielt dadurch etwas von der ursprünglichen explosiven Kraft zurück. Eine solche Hitze ist Karl Böhm fremd. Er setzt voraus, daß das Publikum die Oper kennt. Er jedenfalls kennt sie wie kaum ein anderer Dirigent. Deshalb kommt es ihm darauf an, die Architektur des Werkes, die kühnen Bögen, aber auch die unsagbar schönen Details herauszuarbeiten. Doch er verweilt nirgends, weil es so schön ist, wie dies trotz aller Leidenschaft Bernstein bisweilen tat. Böhm bekennt sich zum klassischromantischen Ideal, und die Wiener Philharmoniker fühlen sich unter ihm wahrscheinlich noch wohler als unter Bernstein. Böhms Ideal ist auch das ihre. Das Gefühl soll tief, aber gebändigt sein.

Ingrid Bjoner, die im Vorjahr von Christa Ludwig die Rolle der Leo-nore übernahm, gibt dem Zuhörer vor allem die Sicherheit, daß sie keine falschen Töne produziert. Ihre Stimme ist in allen Lagen ausgeglichen, besitzt Durchschlagskraft und ein schönes Timbre. Bjoner sieht gut aus und spielt mit starker Intensität. Theo Adams ungemein dramatische Gestaltung des Pizarro ist schon von der Wiener Aufführung her bekannt. Das gleiche gilt von Franz Crass, der mehr die sympathischen als die opportunistischen Züge des Kerkermeisters Rocco herausstellt, und von Jomes King, dessen Gestaltung des Florestan immer wieder ergreift. An Donald Grobes Jaquino ist nichts auszusetzen, dagegen enttäuscht Tom Krause, ein ausgezeichneter Guglielmo und ein guter Don Giovanni, als Minister. Seiner Stimme fehlt die Tiefe für diese Partie. Dagegen lassen Stimme, Spiel und Ausstrahlung von Edith Mathis als Marzelline keinen Wunsch offen. Die Aufführung ist ausgewogener und geschlossener als die Wiener Aufführung, doch fehlt ihr deren Feueratem.

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