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Ein Fest der Bühne

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Nirgends in der „Italienischen Reise“ ist so viel vom Theater die Rede wie hier vom venezianischen, nirgends so ausführlich von einem Theaterstück wie von Goldonis „Le Baruffe Chizzotte“, das Goethe im Oktober 1786 zu sehen bekam, „Rauf- und Schreihändel von Chiozza“ übersetzte er den Titel der Komödie, weit anschaulicher als das nüchterne moderne „Skandal in Chioggia“. „Ein Gelächter und Ge- jauchze von Anfang bis zum Ende“ notierte er als Wirkung der Aufführung auf das Publikum in Venedig. Eine Komödie ist dieses so gut wie unübersetzbare Volksstück aus dem Leben und Treiben der Fischer in dem Lagunenstädtchen Chiozza nur so nebenbei, denn was da zum „angenehmsten Zeitvertreib“ geschaffen wurde, sind lautstark aufflammende Eifersüchteleien, die sich bis zu Tätlichkeiten steigern, vor dem sich langweilenden Gerichtsadjunkten (dem Goldoni autobiographische Züge lieh) aber sich in Nichts auflösen. Drei Paare Anden am Ende in bezaubernder Versöhnung zueinander. Doch die köstlichen Griffe in das Volksmilieu sind so absichtslos, so ursprünglich geraten, daß man heute noch seine helle Freude an dem Spiel hat.

Zumal Giorgio Strehler, der mit Recht berühmte Regisseur des Piccolo Teatro di Milano (das an drei Abenden im Burgtheater gastierte), den venezianischen Geist Goldonis zeitlos und lebendig machte. Unwahrscheinlich meistert das Ensemble den tollen Wirbel des Geschehens, das Geschnatter und Gekeife der Frauen, das polternde Schimpfen der Männer, die Behendigkeit der Gestik, die Umwandlung der Beine in Instrumente darstellerischen Ausdrucks. Dabei sprechen die Mailänder ein rasendes Italienisch, ohne sich aber je in ihren Wortkaskaden zu verhaspeln. Wir genießen eine unerhörte Pantomime mit fremden Worten und halten uns an die tausend mimischen Gesten und das Gliederspiel, das universal ist. Der Erfolg dieses einmaligen Theaters? Keinen Augenblick ist die Disziplin zu übersehen, die das Spiel kontrolliert, die jeden Schritt bewacht und den Trubel ordnet. Je entfesselter sich ein Theater gibt, desto exakter muß es in der stilistischen Konzeption und im technischen Ablauf des Spiel seih. Die Aufführung war eine Apotheose der disziplinierten Ausgelassenheit, und das Publikum wurde von ihr mitgerissen. Herrlich das Bühnenbild gleich einer venezianischen Vedute (Luciano Damiani): im Vordergrund die schmale dunkle Silhouette des Hafens auf dem hellblauen Hintergrund eines riesigen Himmels. Zum Schluß trat das Ensemble, sich an den Händen haltend, an die Rampe. Sie waren alle einander ebenbürtig, die da mitspielten und den jubelnden Beifall empfingen.

Von einem komödiantischen Fest war leider bei der Aufführung von Gogols „Revisor“ im Akademietheater recht wenig zu merken. Gewiß ist die Komödie aus Vorsicht vor der damals allmächtigen Zensur als Schwank angelegt. Zugleich aber muß der Regisseur der unbarmherzigen Satire auf menschliche Schwächen, auf Dummhedt und Eitelkeit, jenen Zug ins Allgemeingültige geben, auf den der Dichter in seinem Nachwort anspielt: „Wie aber nun, wenn dies unsere eigene

Seelenstadt wäre, die sich in einem jeden von uns befindet?“ Davon ist in der Inszenierung von Boy Gobert kaum etwas vorhanden. Sie hat etwas Grobschlächtiges, unglaubwürdig Kasperlhaftes und entbehrt darum auch der Steigerung zum Ende hin, wenn die Honoratioren bei der Meldung vom Kommen des richtigen Revisors marionettenhaft erstarren. Da ist es nur ein neuer Clou, aber nichts von Gogols großem Erschrecken über die schlechte Welt. Ein namhafter russischer Schriftsteller hat Chlestakoff den in seiner Flachheit tiefsten Charakter genannt, den Gogol geschaffen hat, „von einer solchen Tiefe der Banalität, daß nur ein schauspielerisches Genie diese voll auszuschöpfen vermag“. Peter Weck, ein wendiger, charmanter Darsteller, bot mehr die Oberfläche der „Banalität“, und auch die große Schwipsszene geriet (mit einigen Übertreibungen) lediglich als Bravourstück. Von den zahlreichen Mitwirkenden seien Fred Liewehr als Stadthauptmann und Günther Haenel als Bobtschinski genannt, alle übrigen erfüllten das Regiekonzept.

Ein durchaus erfreulicher Theaterabend, den uns da das Volkstheater mit Anzengrubers selten gespielter Bauemkomödie „Die Trutzige“ beschert hat. Sicherlich kein großes Werk dieses Urwieners, der die Bauernwelt nur von seinen Fahrten mit der Schmiere her kannte und das Landleben nicht einmal sonderlich liebte. Aber die Geschichte von der Hübner-Liesl, die sich sechs Bilder hindurch gegenüber dem Weg- macher-Martin als die Trutzige aufspielt, bis sie ihn, allen Nachstellungen und Gemeinheiten des Dorfkollektivs zum Trotz, doch in ihr Herz schließt, ist samt der harmlos gefälligen Musik von Karl Millöcker imstande, auch ein heutiges Publikum fröhlich zu stimmen. Das Stück, Maßarbeit für die seinerzeit berühmte Schauspielerin und Sängerin Gallmeyer am Theater an der Wien und wie immer bei Anzengruber zur Hälfte Theater, zur anderen Hälfte lebendige Wirklichkeit, bietet dankbare Rollen. Regisseur Oskar Willner vermochte sogar neben der leicht sentimentalen Liebesgeschichte und jenseits der Dulliöhstimmung die lauernde Boshaftigkeit der Mitmenschen sichtbar zu machen. Hilde Sochor und Rudolf Strobl waren ein in ihrer Spiellaune herzhaftes Paar. Von den vielen Episodendarstellern seien Heinz Petters, Dorothea Neff und Joseph Hendrichs besonders erwähnt. Lebhafter Beifall eines dankbaren Publikums.

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