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Ein Fest der Stimmen

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Man hat es kaum mehr für möglich gehalten, daß die Wiener Staatsoper wieder einmal — nach langer Pause

— Treffpunkt größter und teuerster Stimmen werden würde. Denn es war vor allem die Besetzung, die der Premiere am vergangenen Sonntag Glanz verlieh.

Was die schönen Stimmen betrifft, so kann der Kritiker getrost das Feld räumen und es den Fans der einzelnen Künstler überlassen. Soll partout vom ausgezeichnet Guten das Allerbeste und Brillanteste hervorgehoben werden, so muß an erster Stelle die Farbige Shirley Verrett von der Metropolitan als Prinzessin Eboli hervorgehoben werden, eine bildhübsche Frau, im Spiel vehement, in der tieferen Lage von einer gewissen Rauheit. Secundo loco: Franco Corelli in der Titelpartie, seit wir ihn das letzte Mal hörten — und das sind schon einige Jährehen her

— kaum weniger glanzvoll. Nur hat er jetzt auch spielen gelernt. Zwar nicht jeder Zoll ein Grande, sondern eher ein leidenschaftlicher Sizilianer, aber immerhin: er bewegt sich doch! Die beiden Bässe Nicolai Ghiaurow ■ (König Philipp) und Martti Talvela (Großinquisitor) waren einander fast ebenbürtig und ließen keinen Wunsch offen. Das gleiche gilt von Gundula Janowitz (Elisabeth) und Eberhard Wächter (Posa), denen man lediglich mehr persönliche Ausstrahlung gewünscht hätte. Aber ihre gesanglichen Leistungen waren hervorragend und entsprachen dem hohen sängerischen Niveau dieser Aufführung. Einen neckischen Pagen gab Editha Gruberova, Judith Biegens, „himmlische Stimme“ kam nicht recht an. Warum wohl? Wegen der Lautsprecher?

Otto Schenk als Regisseur verstand es, allen diesen Gestalten vom ersten Augenblick ihres Auftretens ois zum bitteren Ende menschliche Eigenart und Profil zu geben. Der Gesamtstil seiner Inszenierung aber ist konventionell, durchschnittlich und ohne Größe. (Dieses Manko teilt er mit den meisten Regisseuren Verdis, dessen sich kein Spielleiter vom Rang eines Wieland Wagner angenommen hat. Letzterer hat unseres Wissens nur „Aida“ und „Othello“ inszeniert, mit ungleichem Gelingen.) Allenfalls bewirkte Schenks „Don

Carlos“ eine gründliche Revision unserer Vorstellung vom spanischen Hofzeremoniell. Gewiß, die Leidenschaften lodern und die Verhältnisse am Hof König Phüipps sind nicht von alltäglicher Art. Aber diese Damen und Granden lassen sich zu sehr gehen, werfen sich unbedenklich auf den Boden, zeigen keinerlei Neigung, ihre Emotionen zu verbergen.

Die Ausstattung durch den in München tätigen Jürgen Rose hinterließ einen zwiespältigen Eindruck: die Kostüme waren sehr schön, teilweise prächtig (etwa die des Königspaares im vollen Ornat), aber die Bühnenbilder wirkten eher häßlich. Roses Streben nach einer gewissen stilistischen Vereinheitlichung der sechs verschiedenen Schauplätze soll aber hervorgehoben und anerkannt werden. Horst Stein am Pult verlieh dem Orchesterpart nicht nur Gewicht, sondern auch klangliche Schönheit, Expression und Tiefe. Das zurückhaltende und beiläufige Accompagna-mento ist seine Sache nicht. Zum Lohn dafür versuchte die Galerie, ihn auszuzischen.

Letztere kam überhaupt sehr auf ihre Rechnung, und vom zweiten Teil ab gab es fast nach jeder Arie, jedem größeren Ensemble langanhaltenden Applaus, wohlbegründeten und nicht immer ganz gerechtfertigten. Infolge der häufigen Unterbrechungen und der vielen Umbaupausen zog sich der Abend beträchtlich in die Länge und erreichte (von 19 bis gegen 23 Uhr) Wagner-Dimensionen. Aber so gewichtig ist diese Musik nun wieder auch nicht. Für die Pariser Große Oper geschrieben, wo die Uraufführung 1867 während der Weltausstellung erfolgte, herrscht in dieser Partitur eine gewisse melodische Spröde (von allgemein bekannten Ausnahmen abgesehen); dagegen ist die Atmosphäre dichter als in vielen anderen Verdi-Opern, sind die Ensembles wuchtiger. Der Ausdrucksbereich dieser Musik ist weiter, die Harmonik differenzierter, die Rhythmik feingliedriger als in der fünf Jahre später entstandenen „Aida“. Von allen diesen Qualitäten ließ sich jedoch die Regie zu wenig inspirieren...

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