6736872-1966_24_11.jpg
Digital In Arbeit

Ein Frühvollendeter

19451960198020002020

EIN NARR — DER HELD. Briefe und Gedichte von Hermann Kükelhaus. Herausff eg eben von Elisabeth Gilbert. Vorwort von Hugo Kükelhaus. Diogenes-Verlag, Zürich. 159 Seiten.

19451960198020002020

EIN NARR — DER HELD. Briefe und Gedichte von Hermann Kükelhaus. Herausff eg eben von Elisabeth Gilbert. Vorwort von Hugo Kükelhaus. Diogenes-Verlag, Zürich. 159 Seiten.

Werbung
Werbung
Werbung

in Hermann Kukelhaus, der 1944, als Achtundzwanzigjähriger, in Ber- lin starb, begegnet uns eine jener Jünglingsgestalten, wie wir sie aus dem 18. und 19. Jahrhundert kennen. In seiner eigenen Zeit war er ein Einzelgänger unter seinen Altersgenossen. Die wenigen Gedichte, die von ihm erhalten geblieben sind und von Elizabeth Gilbert jetzt — zusammen mit Briefen — vorgelegt werden, faszinieren durch den reinen Geist, der in ihnen lebt, und sie bezeugen teilweise eine originelle und unmittelbare Gestaltungskraft, die Großes für die Zukunft erwarten ließ. Eine Zukunft, die es dann nicht gegeben hat. Aber auch der frühe Tod des Hermann Kükelhaus erscheint, wie alles in seinem kurzen Leben — man schreibt es nur zögernd hin —, beinahe notwendig. Wie hätte er weiterleben sollen in einer Welt, die unmenschlich war und all das zu zerstören versuchte, was er liebte, deren Wertsystem dem seinen strikt entgegengesetzt war. Tröstlich ist, daß es Kükelhaus gelang, aus seinem persönlichen Schicksal etwas Ganzes und Rundes zu machen; man darf ihn ohne Übertreibung einen Frühvollendeten nennen.

Hier einige Daten und Episoden aus dem Leben des Hermann Kükelhaus. In Essen verbrachte er seine Kindheit, bevor er mit seiner Familie nach Ostpreußen zog. Daß der Junge in eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt gesteckt wurde, mutet schier komisch an. Er tanzte denn auch gehörig aus der Reihe seiner Kameraden. Als Himmler einmal die Schule besuchte, antwortete der große blonde und blauäugige Knabe dem SS-Chef auf die Frage nach seinen Berufsplänen, er wolle Pastor werden. Später, im Reichsinnenministerium für diesen Ausfall zur Rede gestellt, sagte er unbefangen: „Ich habe es ernst gemeint.“

Bei der Matura wählte sich Kükelhaus das Thema „Der Machthaber und die Macht“ und bezeichnete in seinem Referat die blinde Masse mit ihren geschichtlichen Vertretern als „kosmisches Karzinom“, das nur durch „die geistige Intensität des Heiligen, des Gottesopfers“ unschädlich gemacht werden könne. Trotz glänzender Noten wurde Kükelhaus daraufhin das Reifezeugnis verweigert, und der Delinquent mußte ein Jahr in einem Bergwerk bei Katto-

witz und im Ruhrgebiet, unter Tag, arbeiten. Er bezeichnete das „Sühnejahr“ als das erfüllteste seines Lebens, wie sein Bruder berichtet, und dachte daran, für immer Bergarbeiter zu bleiben. Statt dessen mußte er Soldat werden und kam sofort an die Ostfront. Und wieder geschieht das Merkwürdige, daß ihm alle schweren Erfahrungen zum Heil gereichen. Die russische Landschaft, der russische Mensch, besonders die alten Männer und Frauen, die ihm dort begegnen, werden ihm zum In- bild echten erfüllten Daseins. Mitten in einem grausamen Krieg lebt er in einer seltsamen Entrücktheit, „in der alles Geschehen eine gläserne Durchsichtigkeit gewann“. Auch das also gab es bei deutschen Soldaten, die an der Ostfront kämpfen mußten.

Im September 1942 erreichte Hermann Kükelhaus sein Schicksal:

„Sie lagen seit zwei Wochen in einem ruhigen Abschnitt Es war eine stillschweigende Vereinbarung, einander in Ruhe zu lassen. Man sah sich gehen und hantieren, hörte Geschirr klappern, Rufen und Singen. Morgens ging man ohne Deckung auf den Grabenrand, sich waschen und rasieren. Und da erwischte es ihn:

Ein junger russischer Soldat ^vielleicht ein Neuling, der die Spielregeln nicht kannte!“ — wie er sich ausdrückte) stand drüben mit angelegtem Gewehr. Hermann winkte ihm frontal mit seinem Handtuch zu. Aber da knallte es trocken, und es traf ihn mit einem Stirnschuß in den Kopf “

Die schwere Verwundung machte jeden Fronteinsatz unmöglich. Während der ambulanten Behandlung in Berlin sucht Kükelhaus geradezu die Gefahr, betätigt sich bei waghalsigen Löscharbeiten während der Bombenangriffe. Am 30. Jänner 1944 stürzte er vom brennenden Dach eines sechsstöckigen Hauses und war sofort tot. In seinen Taschen fanden die Brüder einen schweren afrikanischen Bronzering und einen russischen, rotgolden lackierten Holzlöffel

Auch wenn dieser Tod nicht gesucht wurde, er war das angemessene Ende eines Lebens, das in seiner Zeit keine Bleibe fand.

Die Gedichte, die auf uns gekommen sind — sie erschienen 1947 im ostdeutschen Stichnote-Ver-

lag, Peter Suhrkamp wollte eine westdeutsche Lizenzausgabe herausbringen, starb aber vor der Verwirklichung seines Planes —, bezeugen Liebe zum Leben. „Sage Ja zu allem“ — das ist der Grundton von Kükelhaus’ Daseinsgefühl, von Anbeginn bis zu seinem frühen Ende. Reine Lyrik inmitten einer Welt voll Schrecken und Untaten. Ein Unangefochtener, und doch voll Anteilnahme für den Mitmenschen, durchdrungen von dem Willen, die Schuld der anderen zu sühnen — so zeigt sich uns dieser Jüngling in seinen Briefen und Gedichten.

Es macht traurig, daß die Neuausgabe des schmalen Werks, die 1964 erschien, nicht die Resonanz gefunden zu haben scheint, die sie verdient. Hier könnten junge Menschen, die nicht Genüge finden an der Welt, in der sie leben, Maßstäbe entdecken, nach denen sie oft vergeblich suchen. Wie man leben kann jenseits der Normen seiner Zeit, wenn man das Dasein mit dem erfüllt, was ihm zeitlose Würde und Werte gibt.

,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung