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EIN GEDENKBLATT FÜR MUSIL

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Der Name Robert Musil wurde uns zum erstenmal mit leiser, fast geheimnisvoller Stimme von unserem Deutschprofessor, Normann Linker, zugeflüstert. Was verdanken wir (Jahrgänge von Absolventen des Realgymnasiums an der Stubenbastei) ihm nicht alles/ Vor allem, daß er in unsere Ohren Dichternamen hauchte, die dann für manchen von uns zur schicksalshaften Bedeutung wurden. Es war oft anekdotisch Vorgebrachtes, aber in uns rief es eine Sehnsucht nach Unbekanntem und Neuem, nach einer Dichtung, die noch nicht ins Lesebuch Einlaß gefunden hatte, das uns wohl schon mit Rilkes „Panther“ bekanntgemacht hatte. Es war nicht immer eine strenge Scheidung der Werte, diese versuchte uns erst später und kompromißloser Josef Lesowsky, ein wahrhaft klarer Geist, wie einer von uns über ihn zu sagen pflegte, anzuerziehen. Kein anderer Name war es aber, der eine solche Magie ausstrahlte, wie der Robert Musils, und bald stieß ich bei meinen endlosen Wanderungen durch die Buchhandlungen Wiens auf die „Schwärmer“. Was mich so stark anzog, ist schwer heute noch zu sagen, aber wahr-

scheinlich waren es einige Sätze und Bewegungen, glasharte Gedanken, nicht losgelöst von Gefühl und Leidenschaft, der Widerstand gegen das Erstarrte und die Hoffnung auf „ungeheure Möglichkeiten“.

Vom Augenblick, da ich die Anzeige, daß Robert Musil aus seinen Werken in einer Schule im 2. Bezirk lesen wird, entdeckte, bis zu dem angesetzten Abend war ich in einem Zustand innerer Spannung. Ich fand meinen Weg zur Schule, die in einer Parallelgasse zur Praterstraße war, und zur Tür, die in ein Klassenzimmer führte, in der eine kleine Gruppe von Menschen bereits versammelt war. Es war ein Winterabend anfangs 1936, unser Maturajahr, die Schulzimmer waren damals gewöhnlich nicht überheizt, und ich glaube, daß einige der Anwesenden ihre Mäntel anbehalten hatten. Ich setzte mich in eine Bank und wartete, und auch kurz darauf ging die Tür auf und drei oder vier Herren und Damen traten ein; alle von beinahe gleicher Größe. Ich glaube, ich erkannte sofort, welcher von ihnen der Dichter war. Er warf über die Schulbänke einige rasche Blicke, die er manchmal mit einem ebenso raschen Lächeln begleitete. Ich hatte das Gefühl, daß die meisten der Anwesenden miteinander bekannt waren. Robert Musil las an diesem Abend „Das Fliegenpapier“ und zwei Kapitel aus dem „Mann ohne Eigenschaften“. „Kakanien“ und „Von der Halbklugheit und ihrer fruchtbaren anderen Hälfte; von der Ähnlichkeit zweier Zeitalter, von dem liebenswerten Wesen Tante Janes und dem Unfug, den man neue Zeit nennt.“

Seine Stimme liegt noch heute in meinen Ohren, ihr Ton und die Bewegung seiner Hand und das immer wieder unter den starken Brauen rasche Hervorblicken, noch schweben eie für mich in diesem Raum, der sicherlich inzwischen Zeuge von Leid und Scham geworden und wahrscheinlich nicht mehr existiert. Ich kannte diese Texte damals nicht, aber wenn immer ich sie jetzt lese, ist es Musil, der sie selbst vorliest, und bei der Stelle, wo von Tante Janes mehlbestaubter Stimme die Rede ist, konnte und kann ich mich des Eindrucks nicht erwähren, als würde die Hand des Dichters zart über das auf dem Nudelbrett hingestreute Mehl gleiten. Nach der Vorlesung hielt ich scheu ein Exemplar der „Schwärmer“ dem Dichter hin, der, seinen kurzen Augenaufschlag auf mich richtend, seinen Namen einschrieb.

*

Es war meine Gewohnheit, einen Blick auf den Kalender auf dem Schreibtisch des Chefs zu werfen, um so zu erspähen, wer an diesem Tag im Verlag zu erwarten war. Oft auch wagte ich einen weiteren auf die noch unabgelegte Korrespondenz, denn ich hatte früh in meiner Lehrzeit erkannt, daß in dieser das eigentliche Leben des Verlags pulsierte oder begraben war. Im Jahre 1936 fand die Gründung des Bermann-Fischer-Verlags in Wien statt und damit mein Eintritt als Lehrling des Herstellers, des guten und gescheiten Dr. Justinian Frisch. Es waren reiche

Jahre, und mein Herzschlag ging gemeinsam mit Uhrschlag und Türglocke des Verlags. Für diesen Tag, es muß einer gegen Ende des Jahres 1936 oder schon Anfang 1937 gewesen sein, stand auf dem Kalenderblatt: Musil — Fürst. Als genau zur angesetzten Stunde die Glocke läutete, wurden Robert Musil und seinem Begleiter ehrfurchtsvoll die Türe geöffnet. Bald darnach erschien Musils Rede, „Über die Dummheit“, in der Schriftenreihe „Ausblicke“, ein Manualnachdruck des ersten Bandes „Der Mann ohne Eigenschaften“ wurde in Druck gegeben, und am aufregendsten, mit dem Satz der Teile, die den 1933 erschienenen zweiten Band fortsetzen, wurde angefangen. Damit begannen auch meine Botengänge mit den Bürstenabzügen, die ich noch druckfeucht in die nur wenige Straßen vom Esteplatz gelegene Rasumofskygasse brachte und hinaus zur Korrektorin, Frau Dr. Brauchbar, die in einem Gemeindehaus auf der Schmelz wohnte. Dr. Frisch ahnte, was diese Sprünge hinüber in Musils Wohnung für mich bedeuteten; anfangs skeptisch begann auch er sich mit diesem Werk immer intensiver einzulassen. Wenn nicht Martha Musil schon mit den korrigierten Fahnen bei der Tür auf mich wartete, sondern noch eine letzte vorläufig definitive Änderung das Aushändigen verzögerte, durfte ich in die wie ein Maulwurfbau angelegte Behausung eintreten und in das Zimmer, das am Ende lag, vordringen, in dem hinter einem großen Schreibtisch Robert Musil saß. Als ich mit der letzten Fahne begeistert anrückte, fragte mich Frau Musil forschend. wie.es mir gefalle, und ob ich finde, daß sich dieser neue Teil an den früheren anschließe. Als ich es enthusiastisch bejahte, sagte sie: „Das wird meinen Mann freuen.“

Wenige Tage später fand die Machtergreifung statt und setzte der Verlagstätigkeit ein Ende. Da es heute eine mit Akribie arbeitende Musil-Forschung gibt, soll ein kleiner Irrtum, der sich in dem Buch „Robert Musil — Leben, Werk, Wirkung“ findet, hier richtiggestellt werden. Es wird dort auf Seite 342 behauptet, daß der „dritte Band ausgedruckt“ und „die gesamte Auflage, noch in Bogen, noch nicht gebunden... beschlagnahmt“ wurde. Tatsächlich war diese Fortsetzung des zweiten Bandes, denn Musil wollte ausdrücklich die Bezeichnung „dritter

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