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Ein Gesicht spricht...

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Das erste Bild Gustav Mahlers kam mit Schwierigkeiten zustande: Der Sechsjährige fürchtete, in die Kamera gezogen zu werden und auf einen Pappkarton geklebt weiterleben zu müssen. Erst als sich der Fotograf vor seinen Augen selbst fotografieren ließ, ging er das Risiko ein. Das letzte Bild zeigt den einundfünfzigjährigen Mahler, krank, nach der Absage von zehn Konzerten auf dem Schiff auf dem Weg von New York nach Europa, etwas mehr als einen Monat vor seinem Tod.

Dazwischen alle Fotos von Gustav Mahler, die es gibt. Ferner eine Auswahl der Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen (die bekanntesten schuf Rodin), die Mahler zeigen, Karikaturen (darunter die von Enrico Caruso gezeichneten), Familienbilder, Bilder seiner Wohn- und Wirkungsstätten.

Der Text ist wohltuend knapp: Der kluge, einfühlende Mahler-Aufsatz seines Freundes und Bewunderers Alfred Boller, eine Lebens-Chronologie, ein Werkverzeichnis.

Roller verdanken wir ja bekanntlich eine Reihe von wertvollen Aufschlüssen über Gustav Mahler und eine der lebendigsten und auch im Anekdotischen reizvollsten Schilderungen.

Eigenheiten, die Roller auf ganz harmlose Weise erklärt, gingen -fehlgedeutet - in das gehässige Mahlerbild späterer, unrühmlicher Epochen ein. Etwa sein „zorniges Aufstampfen”: Sein „Zuckfuß” war das Überbleibsel eines nervösen Leidens in der Kindheit. Normalerweise beherrscht, machte er sich, wenn Mahlers Wille abgelenkt wurde, in einem leichten Aufstampfen mit dem rechten Fuß bemerkbar. Und zwar nicht nur im Ärger, sondern noch viel stärker beim Lachen.

Mahler konnte nämlich herzlich lachen, bis ihm die Tränen aus den Augen liefen - daß es kein Bild des lachenden Mahler gibt und nur relativ wenige ihn entspannt und heiter zeigen, ist nicht zuletzt auf seine ausgeprägte Fotoscheu zurückzuführen.

Roller verdanken wir auch, nebst der witzigen Schilderung, wie Mahler seine Hüte mißhandelte oder die Reaktion des Obersthofmeisterlichen Türhüters auf ein zerrissenes Mahler -sches Mantelfutter beobachtete, den Hinweis auf die Körperkraft des als schwächlich Verschrienen: Seine kranke Schwester in den dritten Stock zu tragen, machte ihm keine besondere Mühe.

Abgesehen von Rollers Essay aus dem Jahr 1921, der übrigens für die damalige Publikation „Die Bildnisse von Gustav Mahler” geschrieben wurde, ist der Leser darauf angewiesen, im Gesicht Gustav Mahlers zu lesen. Nichts steht zwischen ihm und diesem Gesicht. Er braucht kein großer Gesichter-Leser zu sein, um die Spuren der inneren Kämpfe und des erlittenen Leids in diesem Gesicht zu erkennen. Leid, das ihm von seinen Gegnern und Neidern zugefügt wurde - und privates Leid, Tod der Tochter, Krise der Ehe mit Alma, die ihn so belastete, daß er sich entschloß, Sigmund Freud zu konsultieren.

Herausgeber des „Mahler-Albums” ist Gilbert Kaplan, Verleger, Mahler-Spezialist, Autor vieler Arbeiten über ihn, und - als Amateurdirigent! - auch durch seine berühmte Einspielung der Zweiten Symphonie bekannt. „Das Mahler-Album” wird zum Kultbuch aller werden, die Mahlers Musik lieben und bewundern. Da dies zu Lebzeiten Mahlers nicht allzu viele taten - zum Kultbuch vieler, deren Ur- und Ururgroßväter dem Komponisten und Hofoperndirektor das Leben sauer machten und ihn schließ -lieh aus Wien vertrieben.

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