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Ein Gespräch mit Francis Mauriac

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„Glauben $ie, daß es eine bestimmte Technik des Erzählens gibt, deren Entwicklung den Fortschritt in der Weltliteratur ausmacht?“

„Mir seheint der naive Glaube verhängnisvoll,' daß es generelle, allgemeingültige Regeln geben soll, nach denen, man einen guten Roman fchrei ben kann, Das heißt das wesentliche Gesetz verkennen, daß ein wahrer Schriftsteller zuerst seine eigenen Gesetze finden muß, die nur für ihn gelten und für die Welt, die zu schaffen er berufen ist.“

„Haben Sie sich mit Ihrer Kunst eigentlich die Aufgabe gestellt, Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu üben oder die in Unbildung, vielleicht im Verschwinden begriffene bürgerliche Klasse darzustellen!“

„Nein, eine Charakteristik gesellschaftlicher Verhältnisse habe ich nicht geben wollen. Wenn eine bestimmte soziale Schicht in meinem Werk bevorzugt seheint, so darf man darin keine vor-gefaßte Absicht sehen. Jede meiner Dichtungen ist ein Rätsel, dessen Schlüsselwort ich selber bin. Im Schatten des Romans liefere ich mein eigenes, unentzifferbares Wesen ganz und gar •ui.“

„Ihre Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, Ihre Welt, eine kleine Welt von damals, sei eng begrenzt.“

„Ich kritisiere mich selbst so scharf, daß ich das Recht habe, es ungerecht zu finden, wenn man meiner Kunst mit solcher Strenge vorwirft, was gerade das Zeichen ihrer Redlichkeit ist. Andere Kritiken haben die Poesie, die Atmosphäre hervorgehoben, in die vor allem meine frühen Werke eingetaucht bleiben, den Einklang zwischen den Gewittern des Herzens und denen des Himmels. Aber auch in meinen späteren Romanen bin ich weit mehr meinem Werk geeint als irgendeiner meiner Vorgänger.“

„Geben Sie damit wiederum nicht jenen Kritikern recht, die Ihnen vorwerfen, ah Christ hätten Sie nicht Ihre eigenen psychologischen Schwierigkeiten sublimieren dürfen?“

„Man kann einen Schriftsteller, der sein Werk als Konfession bezeichnet, nicht damit abtun, daß man seine Romane nach psychologischen Konflikten absucht, mit denen er selbst vielleicht im Leben nicht fertig geworden ist. Das ewig wiederbegonnene Buch, auf das sich alle meine Bücher zurückführen lassen, die immer gleiche Woge, die unaufhörlich neu entsteht und aufsteigt aus dem Ozean meines Inneren, bricht sich immer an dem gleichen Riff: an der Liebe, an dem, was Claudel ,die ewige Kindheit Gottes' genannt hat.“

„Hat die für Sie zentrale liebe nicht etwas mit jener liebe zu tun, um die es auch \ Suren Kierkegaard ging?“ v

„In der Tat versucht mein panzes Romanwerk das zu illustrieren, was die Philosophen heute ,das Problem des anderen' nennen, diesen erbitterten Eifer, den anderen zu besitzen. Aber wenn ich dem Buchstaben nach ein Existentialist war, so war ich es unwissentlich, und ich rühme mich gerade dieser Unwissenheit. Denn ein .einmal vollendetes Romanwerk muß, wenn es irgendeinen Wert hat, dem Philosophen einige ungewollte, nicht vorgefaßte Beweise liefern; es hat in meinen Augen nur Wert als individuelles und unersetzbares Zeugnis,“

„Wenden Sie sich damit auch gegen die Forderung, daß man Romane im Dienste einer Weltanschauung zu schreiben habe?“

„Ich habe immer mit aller Heftigkeit gegen eine Literatur in der Art Paul Bourgets reagiert.

Bourgets Romane sind glänzende Demonstrationen, in denen die Wirklichkeit den Erfordernissen einer bestimmten, von vornherein formulierten Idee angepaßt wird. Mein Werk erscheint mir dagegen als ein unmittelbar hervorgebrochenes.“

„Sartre hat Ihnen vorgehalten, daß Sie über Ihre Helden zu Gericht sitzen und ihnen gegenüber die Rolle Gottes spielen wellten.''

„Therese Desqueyroux (in ,Das Ende der Nacht') ist ein Wesen, das sich jeder Beurteilung entzieht, vor allem ihrer eigenen; erschrecklich frei in jedem Augenblick sieht sie ihr ewiges Bild sich abzeichnen noch in der geringfügigsten ihrer Gesten. Freilich ist es wahr, daß ich allein durch den Titel eines anderen Romans (,Die Pharisäerin') die Heldin verurteile und verdamme: aber warum soll das nach der heute so empfohlenen Methode ein Verbrechen sein? Moliere verurteilte den Geizhals, Raeine die Cousine Bette. Es steht uns frei, unsere Geschöpfe zu beurteilen oder nicht zu beurteileni je nachdem sie das Urteil herausfordern oder lieh ihm entziehen, je nachdem, ob wir beschlossen haben, einen Charakter zu zeichnen oder ein Schicksal.“

„Hat Sartre sich nicht in einen merkwürdigen Widerspruch verwickelt, wenn ausgerechnet er das Gesetz, das es Gott überläßt, Herzen und Nieren zu erforschen, in den Bereleh des Aesthe-tischen transponiert?“

„Es steht ihm frei, sieh selbst dieses Gesetz aufzuerlegen. Aber es scheint mir absurd und nutzlos, sich in allen Fällen darnach zu richten-In Wahrheit ist ein christlicher Schriftsteller gerade der, der sich am wenigsten um solche Doktrinen kümmern sollte, da das Urteil, das er über seine Geschöpfe fällt, ob er will oder nicht, nie endgültig ist und ihm die Gnade entgegensteht, die unsichtbar seinem Werk gegenwärtig bleibt,“

„Kann denn überhaupt ein Atheist ästhetische Urteile über religiöse Romane abgeben, die Christen ah verbindlich für sich übernehmen dürfen?“

„Eine Welt, aus der man Gott herausoperiert hat — was davon übrigbleibt, ist für mich buchstäblich nicht existent. Das hilft mir, zu verstehen, daß aus dem gleichen Grunde ein Atheist die Atmosphäre meiner Bücher nicht atmen kann, Wenn er sich mit Vorwürfen über meine ,Manier' aufhält, so nur deshalb, weil er in keinem Augenblick gefesselt ist von Geschichten, in denen alle Gestalten in einer Heldin konvergieren, an deren Existenz er nicht glaubt: die sündige und erlölte menschliche Seele,“

„Vereinzelte Kritiker, die grundsätzlich die religiöse Existenz mit einer weltanschaulichen Ideologie verwechseln, werfen Ihnen vor, daß Sie mit Ihrer Kunst kein christlich positives Beispiel gegeben hätten,“

„Wie sollte ich hierin mein eigener Richter sein? Wahr bleibt, daß meine Personen, selbst wenn sie Gott nicht zu kennen scheinen, nicht auf die Oeffnung des Himmels verzichten, auf diesen schmalen Spalt, durch den ein schwacher Strahl hervordringt; ihnen bleibt ein Glaube, eine letzte Hoffnung.“

„Kann denn ein lebendiger Glaube überhaupt auf Gewissensfragen Antworten wie ein Lehrbuch geben, wie es denen vorschwebt, die an Ihren christlichen Romanen das Christentum vermissen?“

„Darauf kann ich nur noch mit dem Hinweis auf eine meiner Gestalten antworten, die ich sagen lasse, man müsse sehr auf der Hut sein vor diesem eigenen Ehrgeiz, der einen unmerklich dazu bringt, die Seelen beherrschen zu wollen.“

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