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Ein Gott der Hoffnung

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Die Tage zwischen Auferstehung und Himmelfahrt sind eine geheimnisvolle, vom ewigen Sein erfüllte Zeit. Sie sind eine Spanne der Stille, des Verweilens und der Vollendung: eine Zeit der Meditation. In immer neuen, sich wiederholenden Erscheinungen offenbart sich Christus seinen Freunden. Seine Gestalt „erhöht sich” — innerlich wachsend an Intensität des Erlebens; alle Erklärungen übersteigend — ins Ubergewaltige. Greifbare Erfahrungen sind es, über die da berichtet wird, so sehr, daß man manchmal geradezu den Tonfall der Stimme Christi zu hören und seine Gebärde zu sehen meint. Sie sind voll Erinnerung und dennoch überflutet vom neuen Geheimnis, so daß man sich unwillkürlich in sie hineinverliert. Jesus ist nicht mehr eine „äußere Begegnung”, er wird innerlich, er wird zur treibenden Kraft des Lebens, zum „nahen Gott”. Dabei entsteht eine neue und stets neu zu erringende Dimension der Gotterfahrung; eine neue „Atmosphäre des Lebens und Erlebens”. Paulus beschreibt dieses Erlebnis: „Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und allem Frieden, damit ihr überreich werdet an Hoffnung, in der Kraft des Geistes” (Röm 15, 13).

„Gegenwart des Unsagbaren”

Zuerst wäre hier die geschichtliche Tatsache zu bedenken: Gott wollte von den Menschen nicht bloß „erkannt” werden. Er wollte mehr. In der ganzen Bibel geht es in erster Linie nickt um ein verstandesmäßiges Innewerden des Gottesgeheim- niisses, sondern um eine Gemeinschaft mit Gott.

Erkennen Gottes ist von völlig anderer Struktur als jene Erkenntnis, die wir aus den „Faktoren der Welt” herausanalysieren. Es ist keine Theorie über Gottes Wesen. Nicht so sehr eine Wissensmitteilung als ein Geschehen, das den Menschen in eine neue existentielle Lage versetzt; eine Antwort auf das durch die Fraglichkeit des Lebens Erfragte. Gott wird in der Bibel in seinem Für-sich-und-für-die Menschen-Sein erkannt als der Uberallwirkende, Führende, Rettende und Richtende. Er ist verborgen in seiner absoluten Unbegründ- barkeit, Selbständigkeit und Unver- glekhlichkeit, somit aber auch in einer letzten Nicht-Erkennbarkeit, in seinem Geheimnis. Gott wird uns nur offenbar in seiner lebendigen, warmen Nähe, in einer „Gegenwart des Unsagbaren”.

Die immer neue Erfahrung des Gerettet- und Gerichtetwerdens schuf ein Gottesbild, das nickt ein Ergebnis beweisenden Scklußfolgems oder ein „Produkt” denkerischer Bewältigung unbewältigter Probleme war. „GottIsraels”bedeutete:Zusammensein, innere Verbundenheit, Hingabe, Vertrauen und Furcht. Er war ein „Erlebnis” persönlichster Geschichte mit jemandem, dessen Name selbst ungesagt bleiben sollte. Was sich dabei im Inneren menschlicher Existenz ereignete, nennt Isadas schlicht: „Stillsein und Vertrauen” (Is 30, 15). Andersartigkeit, Jenseitigkeit und existentielle Schwere (gra- vitas), Ergriffenheit von der Herrlichkeit Gottes (maiestas) beherrschen diese Gotteserfahrung.

Dieser Gott fordert eine ganzheitliche „Hingabe des Herzens” von den Menschen. Er äst ein Gott, der kein Unrecht duldet, aber seine Liebe auch dem gibt, der ihrer unwürdig geworden ist. Er schafft und rettet, macht lebendig, sendet seinen Geist. Sein Name heißt Jahve. Es gibt viele Deutungen dieses Namens, eben weil er so geheimnisvoll ist. Im Grunde bedeutet er wahrscheinlick: „Ich bin der, der für euck da ist.” „Deus hominibus”: ein Gott für die Menschen. Er ist der „Je-und-je-sich- Ereignende”, Trost, Anfechtung und Führung. „Jahve” sollte vielleicht übersetzt werden: „Ich bin deine Zukunft”; oder, wie Christus es ausgedrückt hat: „Ich bin allzeit mit euch” (Mt 28, 30). In dieser Erfahrung Gottes lebt der Mensch.

Das Buch Exodus rückt ein Gottes- bild ins Zentrum der Offenbarung, das bedeutet: „Ich bin ein Gott der Zärtlichkeit und der Barmherzigkeit, langmütig und reich an Gnade und Treue, der Frevel und Sünde vergibt und die Tausende in seiner Gnade bewahrt” (Ex 34, 6—7). Jeremias spricht von einem Gott, der von uns denkt: „Er ist mir ein lieber Sohn. Er ist mein Lieblingskind. So oft ich auch schelte, ifnmer wieder muß ich an ihn denken. Deshalb schlägt ihm mein Herz entgegen und muß mich seiner erbarmen” (Jer 31, 20). Dieser Gott fleht den Menschen an: „Kehre zurück. Ich will dir nickt mehr böse sein. Ick zürne ja nicht auf ewig” (Jer 3, 12). All das bricht im Jubellied des Psalmisten mächtig hervor: „Der Herr ist zärtlich und gnädig, zögernd im Zorn und reich an Erbarmen. Er hadert nickt immer; nicht ewig währt sein Zürnen. Nicht handelt er an uns nach unseren Sünden und nach unseren Missetaten vergilt er uns nickt. Wie ein Vater sich erbarmt der Kinder, so erbarmt sich der Herr aller” (Ps 103, 8—10. 13).

Diese Güte Gottes wurde in Christus zur menschlichen Nähe. Die Bedrückten und Geängstigten riefen zu ihm: „Erbarme dick meiner, Herr” (Mt 15, 22). Er war „ein Freund der Zöllner und Sünder” (Lk 7, 34). Er begegnete dem Menschen aus der Tiefe seiner Ehrlichkeit und des Mitfühlens heraus: den Armen, denen er Freude verkündete (Lk 4, 18), den Sündern, die Erlösung bei ihm suchten und ihm „nachgingen” (Lk 5, 27), dem armen Volk, dessen er „sich erbarmte” (Mt 9, 36), der Mutter, der er ihren einzigen Sohn auferweckte (Lk 7, 11 ff.), dem Hauptmann, der ihn um seinen Knecht anflehte in einer vornehmen Zurückhaltung (Lk 7, 1 ff.), der Sünderin, der ihr „Glaube geholfen hat” (Lk 7, 36 ff.), dem Synagogenvorsteher Jai- rus, der seine Tochter schon verloren glaubte (Lk 8, 40 ff.). In ihm wurde die Stimme des „Rufers in der Wüste” verwirklicht: „Jeder Weg soll eben werden und … alle Menschenkinder sollen schauen Gottes Heil” (Lk 3, 5 f.). Die Menschen sind für ihn: ein Lämmlein, das er gefunden hat, nachdem es verlorenging, eine Drachme, die er in seinem ganzen Haus (und sein „Haus” ist ja die ganze Welt) gesucht hat (Lk 15, 1 ff.), ein Sohn, den er verloren hat und dem er — als er ihn „aus der Feme sieht” — entgegenläuft, ihm um den Hals fällt, ihm das feinste Gewand anziehen läßt, und einen Ring ansteckt und Schuhe an seine Füße zieht. Er ist ein Gott, der ausrufen kann voll Freude: „Wir wollen nun schmausen und fröhlich sein” (Lk 15, 11 ff.). Es sind Weite des Herzens, Unbeirrbarkeit der Güte und schöpferische Begeisterung des Wohlwollens, die sich hier kundtun als „die” Offenbarung des Wesens Gottes selbst. Es ist auch jenes, das dieser Gott von den Menschen als Gegenbeweis erwartet: „Alle Bitterkeit, Geschrei und Wut soll fern von euch sein … seid vielmehr gütig und barmherzig gegeneinander und vergebt euch gegenseitig” (Eph 4, 31 bis 32). Dies ist die „Tiefe Gottes” und auch die „Tiefe des Geistes”. Darin ereignet sich jene Hoffnung, die im Anspruch des Apostels zur Verheißung wird.

In solchen Menschen leuchtet die „Güte und Menschenfreundlichkeit” (Tit 2, 11) Gottes auf. Sie werden innerlich reich und vermögen, andere auch zu beschenken. Ihre Seele nährt sich aus den Bildern der Erde und ist dennoch auf die unendliche Weite des Absoluten hin offen. Solches Dasein, solches Sehen und Hören muß man in der heutigen Zeit mühsam erlernen. Alle wahre Kunst der Gestalt und des Wortes will uns das lehren. Man müßte wieder die „Bilder Gottes” in der Natur und in der täglichen Begegnung entdecken, sie neu erleben: Feuer, Wüste, Haus, Weg, Wasser, Fremdling, Mutter, Gewitter, Stein, Besuch und vieles andere mehr. Die Bilder der Hoffnung in unserer Seele zu pflegen,

unsere — wie Ignatius von Loyola sie nannte — „geistigen Sinne” zu entfalten, das wäre vielleicht der Weg, auf dem wir zur Urgestalt des Wesentlichen zurückfinden und das „Unenscbaubare Gottes” neu erahnen könnten.

in der Kraft des Geistes…”

Einen letzten Aspekt unserer befreiten österlichen Hoffnung müssen wir noch kurz erwähnen. Liest man den Bericht über die Auferweckung des Freundes Christi, Lazarus, meditativ durch und bedenkt, was dabei in der Seele Christi an innerer Erschütterung vor sich ging (Jo 11, Iff.), so besteht kein Zweifel darüber, daß jeder Gebrochene sein Freund ist. Menschliche Gebrochenheit ist „die” Kraft des Menschen, weil sie eben die unendliche Barmherzigkeit Gottes zu sich zieht. Gott läßt sich nicht irre machen durch unsere Schwäche, unsere Untreue — selbst durch unsere Sünden nicht. Die ganze Bibel wird beherrscht von einem geheimnishaften Gesetz, das man „göttliche Überbietung” nennen könnte. Eine Urgegebenheit menschlicher Gotterfahrung: Gottes Liebe ist unveränderlich. Man kann sie also nicht zurückweisen, zurückschrecken. Alles ist bei Gott „Anfang”. Ja seine Gnade ist nach unserer Untreue genauso groß, ja noch größer als zuvor. Dies ist die Kraft des Geistes (die innere Energie, der Drang der in uns zum Bewußtsein , gekommenen Welt): Gott fängt immer neu an. Es geht bei ihm, nach dem großartigen Wort des Kirchenvaters, alles „von Anfängen zu Anfängen durch Anfänge hindurch bis zum endgültigen Anfang”. Diese Gesinnung der inneren Gelöstheit den Menschen weiterzureichen, ihnen Hoffnung darzuleben, ist vielleicht das größte Werk der Barmherzigkeit in unserer Zeit Es heißt im Grunde: „Betrübte trösten.”

Wenn der Mensch diesem „Gott der Hoffnung” im Tode ins Angesicht schaut, wird er nichts mehr fragen müssen. Er wird wissen, daß er ihn immer schon gekannt, auch wenn er seinen Namen nicht gewußt hat. Er wird gewahren, welche Rolle er in so manchen Stunden seines Lebens gespielt hat, als er glaubte, allein zu sein. In diesem Augenblick wird er nicht fragen „Wer bist du?”, sondern — ohne Worte vielleicht — sagen: „Also, du bist es immer schon gewesen, all diese Zeit!”

(Auszug aus „Ein Gott der Hoffnung erfülle euch “ / Orientierung Nr. 7 / 32. Jahrgang.)

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