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Ein großes Kind Gottes

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In diesen Tagen ist Karl Barth 75 Jahre alt geworden. Die Geschichte der protestantischen Theologie nennt ihn als ihren großen Reformator im 20. Jahrhundert, der politische Protestantismus kennt ihn als seinen unermüdlichen Mahner, das geistige Europa zählt ihn zu den ganz wenigen Europäern, die Weltgeltung im Raum des Geistes errungen haben. Katholische Theologen führen mit ihm seit Jahrzehnten ein fruchtbares .Gespräch, so Hans Urs von Balthasar, Erich Przy- wara, H. Volk, H. Fries, Söhngen und Küng, und etliche Franzosen: die katholisch-protestantische Auseinandersetzung ist in unserem Jahrhundert nicht zuletzt durch das Gespräch der Freunde um Barth und das Gespräch der Gegner mit Barth wieder auf eine beachtliche Höhe gekommen, von der efquiekende Wasser zu Tale fließen, und nach beiden Seiten hin die Niederungen der Konfessionen befruchten.

Eine Bibliographie zum 70. Geburtstag 1956 zählt über 400 Titel von Büchern und Aufsätzen Karl Barths, dazu über 100 Übersetzungen bis ins •Japanische und Koreanische. Sein Hauptwerk, die „Dogmatik“, ist bis jetzt auf 12 Bände mit 7500 Seiten gediehen. Ein Scherzwort in protestantischen Theologenkreisen sagt: der liebe Gott werde seinen Basler Hoftheologen noch so lange leben lassen, bis er seine große Dogmatik mit der Lehre von den letzten Dingen zu Ende geführt habe, denn der himmlische Herr sei begierig zu erfahren, wie er seine Schöpfung zum Ziel bringen solle. Dieses Scherzwort trifft in einen Kern: das große Kind Gottes, Karl Barth, zeitweise von „konservativen“ Theologen gefürchtet wie ein Gott- sei-bei-uns, als ein Alles-Zermalmer der Theologie, ja der Religion, Barth, enfant terrible bis heute bei den wohl-

Vorgestern m. beiden christlichen Kon- f ssiqfl¡ gprn¡,rscben dieser. Barfl t nicht nur ein Mensch mit vielen Widersprüchen, die aus ihm hervorbrechen wie Wasser aus einer reichen Quelle, sondern eben zuerst und zuletzt ein großes Kind Gottes: ein Mensch, der in einem vitalen Glauben erfahren hat, daß er in Gottes Vaterhand geborgen ist wie der Spatz, der aus seinem Neste fällt.

Der mächtige Kinds-Kopf, der mit klugen Äuglein scharf, spähend, und gütig zugleich in alle Welt ausschaut, ist in Basel am 10. Mai 1886 geboren. Der junge Barth interessierte sich, neugierig und offen, wie viele Theologen in ihrer Jugendzeit, für alles, was da in der Luft liegt. Nach zwei Jahren Seelsorge in Genf wird er 1911 Pfarrer in Safenwill im Aargau. In diesen Jahren vor dem ersten Weltkrieg beeindruckt ihn der religiöse Sozialismus und Friedensgedanke, wie ihn Leonhard. Ragaz vertritt. Noch später wird man Barth gern als ..roten Pfarrer“ abzustempeln suchen, nicht nur in den Kreisen der überwiegenden Mehrheit der deutschen evangelischen Pfarrerschaft, die gegen die kleine

Im Abgrund sicher

Allmächtiger, ewiger Gott, Du ließest Deine Diener im Bekenntnis des wahren Glaubens die Herrlichkeit der ewigen Dreifaltigkeit erkennen und in der Macht der Majestät die Einheit anbeten; nun bitten wir Dich: Laß uns kraft dieses unerschütterlichen Glaubens stets gegen alles Unheil gesichert sein.

(Kirchengebet am Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit)

Die großen, mit dem Adveni beginnenden Heilsoffenbarungen des Kirchenjahres sind mit der Pfingstokfav in ihrer Gegenwärtigsetzung auch in diesem Jahr des Heils nun vollendet. Das uralte, in früheren Gebetbüchern als einziges und repräsentatives Meß- gebet angeführte Gedankenmonument dieser oratio setzt den abschließenden Orgelpunkt. Nur auf den ersten Blick liest es sich wie eine magische Beschwörung, wie eine abergläubische Sicherung gegen alles nur denkbare Unheil. Das Geheimnis hinter diesem Gebet sagt efwas ganz anderes: Die für den Verstand für immer unauslot- bare Wahrheit von der Dreifaltigkeit Gotfes ist das Heil und die Geborgenheit selbst: Es war ein Anderer, der als hilfloses Kind in der Krippe lag und ein Anderer, zu dem der von Angst ge tapfere Schar der Bekennenden Kirche steht. Der junge Barth ist neugieriger Leser, ein ewiger Student in diesem Sinne geblieben, und ist, für immer, Seelsorger: noch heute gehören seine Predigten im Basler Gefangenenhaus, vor den Ausgestoßenen der Gesellschaft, zu seinem Herzanliegen. Dann aber stürzt sich Barth in das wogende Meer der führenden liberalen Theologie und des Kulturprotestantismus, dessen „Papst“ Harnack in Berlin sein Lehrer ist. Als dann zwischen 1919 und 1922, zwischen der ersten und zweiten Auflage seines „Römerbriefes" der große Ausbruch und Aufbruch erfolgt, der Barth über Nacht zum Führer der „zornigen jungen Männer“ der evangelischen Theologie macht, da mochte es so scheinen, als sei sein ganzes Werk ein einziges Unternehmen

„Vatermord", Aufstand des Sohnes gegen die geistigen Väter, die so wacker mitgeholfen hatten, Europa zunächst in den ersten Weltkrieg zu führen. Harnack hatte das Kriegsmanifest für Wilhelm II. entworfen

Nun, Karl Barth hat recht bald gezeigt, daß er sich auch im engen Rahmen eines spirituellen Ödipuskomplexes nicht einkerkern läßt. Das in den folgenden Jahrzehnten als ein mächtiger Baum wachsende Werk zeigt, wie sehr er um Versöhnung, ja um Wiedergutmachung ringt. Es macht den menschlichen und geistigen Rang der großen Theologen aus, daß sie zu „Retrak- tationen", zu Selbstkorrekturen gewillt und befähigt sind, zur Selbstkritik und Selbstaufhebung: schmal ist lie Zahl, von Augustin über Thomas zu Barth, die Zahl derer, die dies wagen. . . Eines der signifikantesten Werke Barths in diesem Sinne ist „Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert“ (Zollikon-Zürich 1947), hervorgegangen aus Vorlesungen in Münster und Bonn. Behutsam, kritisch und liebend behandelt Barth hier das der Männer, die’’er im „Römerbrief"

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den zuerst geliebten, dann verworfenen Schleiermacher und die Folgen. Mit der ihm eigenen Selbstironie bemerkt er im Vorwort daselbst: „Als das

Hitlerreich ausbrach, war ich gerade mit J. J. Rousseau beschäftigt!“ (Ausrufungszeichen von Karl Barth.)

„Hiffe den armen Menschen“

Barth war 1921 Professor in Göttingen, 1925 in Münster, 1930 in Bonn geworden. 1935 wird er amtsenthoben und wirkt seither an der Universität seiner Heimatstadt Basel. 1933 bis 193 5 ist der schweizerische Dickschädel Karl Barth, in dem bäuerliche Zähigkeit, das Gottvertrauen eines alten Bauern steckt, das theologische und politische Haupt der Bekennenden Kirche in ihrem Kampf mit dem Hitlerreich und den „Deutschen Christen“, und, was heute gern übersehen wird, mit der kompakten Majorität eines deutschen Protestantismus, der, wie sein Feindbruder, der Katholizismus, dem Führer des Reiches nur allzu gehorsam auf die Schlachtfelder folgt. Die Bekenntnissynoden von Bar packte Dulder am ölberg und in der Sterbestunde schrie. Und es war ein Anderer, der am Himmelfahrtstag Abschied nahm, und ein Anderer, der zu Pfingsten herabstieg. Und es war in geheimnisvoller Weise doch immer wieder der Eine, Goft. Unsere Angst und Verlassenheit ist als® nichts als ein Weg zur Auferstehung, wir sind Waisen und doch aufs neue getröstet, wir zittern am ölberg und sind doch zur gleichen Stunde Auferstandene. Wir können, wenn wir uns in diesen Abgrund Gottes stürzen, nur in ein Oben fallen. Wir können in der letzten Entäußerung der Nachfolge Christi am Grund der Verlassenheit nur der strahlenden Majestät des Vaters begegnen.. Wir können in der Unsicherheit des rational nicht mehr faßbaren Glaubens an den Dreifältigen nur die unzerstörbarste aller Sicherheiten und Gewißheiten gewinnen. Wir brauchen „die Dreifaltigkeit" nicht um Schutz und Hilfe anzuflehen. Denn in diesem dreifältigen Wege haben wir den Glauben gewonnen, daß alles von Anfang an „gesichert" war: Wir waren schon am Karfreitag in Wahrheit beim Vater und schon im Dunkel des suchenden Advent führte uns der pfingstliche Heilige Geist.

men und Dahlem, die zu den bedeutendsten Dokumentationen des europäischen Christentums im 20. Jahrhundert gehören sind mit sein Werk.

Politisch unbequem, wie damals, ist bis heute der alte, ewig junge Barth geblieben. Schwere Schatten fielen über ihn, nach 1945, als eine Mehrheit von Christen der willkommenen Versuchung erlag, ihren alten Antisemitismus und Antidemokratismus in das gern genommene Geld eines alt-neuen Antibolschewismus umzutauschen. Barth, der vielfach Angegriffene, soll hier selbst das Wort erhalten: „Nicht daß ich für den östlichen Kommunismus, im Blick auf seine bisherige Selbstdarstellung, irgendeine Zuneigung aufzubringen vermöchte. Ich sehe aber nicht ein, daß es politisch und gar noch christlich geboten oder erlaubt sein soll, solcher Abneigung und Ablehnung die Folgen zu geben, die man ihr im Westen seit fünfzehn Jahren in zunehmender Schärfe gegeben hat. Ich halte den prinzipiellen Antikommunismus für das noch größere Übel als den Kommunismus selber Hatte man vergessen, daß nur der .Hitler in uns“ ein prinzipieller Antikommunist sein kann .. .? Was war das für eine westliche Philosophie, politische Ethik und leider auch Theologie, deren Weisheit darin bestand, den östlichen Kollektivmenschen in einen Engel der Finsternis, den westlichen .Organization man“ aber in einen Engel des Lichts umzudichten und mit Hilfe dieser Metaphysik und Mythologie dem absurden

Wettlauf des kalten Krieges die nötige höhere Weihe zu geben? War man der Güte der westlichen Sache und war man der Widerstandskraft des westlichen Menschen nicht sicherer als so, daß man diesen nur vor die sinnlose Alternative Freiheit und Menschenwürde oder gegenseitige atomare Vernichtung zu stellen wußte, und eben diese letztere für alle Fälle von vornherein als ein Werk der wahren christlichen Nächstenliebe auszugeben wagte? — Ich denke, daß der Westen, der es besser wissen konnte, zu der gewiß gebotenen kritischen Auseinandersetzung mit der Macht und der Ideologie des kommunistischen Ostens bessere Wege suchen und finden müßte als die, die er bisher beschritten hat “

Die ganze Theologie Barths kreist um dies: dem armen Menschen zu Hilfe zu kommen, und ihm die Erbarmungen Gottes darzubieten: Brot des Lebens, nicht Papier, Phrase.

Barth nennt als seine geistigen Väter, zu denen er sich zeitlebens bekennt, Luther, Calvin, Kierkegaard, Overbeck (den Basler Freund Nietzsches). Blumhardt und Hermann Kutter. Mit diesen Vätern ringt er, liebend und entschlossen: unverdrossen greift er gerade Luther und Calvin an, denen er doch freimütig stärkste Befruchtung der eigenen Entwicklung verdankt. Die zweite Auflage des „Römerbriefes“, 1922, begründet die „Theologie der Krise“, die „Dialektische Theologie“, die Generationen protestantischer Theologen aufgeregt und angeregt hat: „Gott ist der Ganz -Andere. Gott ist Gott und ganz und gar anders als alles Menschliche, auch als alle menschliche Religion und Kultur.“ Die neue Welt, in Christus von Gott her dem Gläubigen — und ihm allein — offenbart, berührt die alte Welt nur wie eine Tangente einen Kreis berührt. Gottes Ja zum Menschen kommt in Seinem Nein, in der Aufhebung des Menschlich- Allzumenschlichen zum Ausdruck. In diesen Jahren nach dem „Römerbrief“ steht Barth dem „teuflischen Und“ des Katholizismus, dem er vorwirft, Gott und Mensch zu vermengen und beide zu entwerten, am fernsten. Recht bald aber zeigt sich, daß das nicht das letzte Wort Barths ist. Die Sorge um den Menschen führt ihn zum Bedenken der Kirche. Er ändert den 1927 erschienenen Entwurf einer „christlichen“ 1932 in die „kirchliche Dogmatik“. Nun tritt immer stärker in den Vordergrund der Bund Gottes mit dem Menschen, Gott als Partner des Menschen, Gott als der menschenfreundliche Gott. „Es war eines falschen Gottes Göttlichkeit, in und mit der uns nicht sofort auch seine Menschlichkeit begegnete. Solche falsche Göttlichkeiten sind in Jesus Christus ein für allemal zum Spott gemacht. In ihm ist ein für allemal darüber entschieden, daß Gott nicht ohne den Menschen ist." „Menschsein heißt grundlegend und umfassend: mit Gott zusammen zu sein.“ Das beinhaltet die Verpflichtung: wir haben „jedes menschliche Wesen, auch das uns fremdartigste, verruchteste oder elendste, darauf anzusehen und haben unter der Voraussetzung mit ihm umzugehen, daß auf Grund des ewigen Willensentscheides Gottes Jesus Christus auch sein Bruder, Gott selbst auch sein Vater ist Es gibt von der Erkenntnis der Menschlichkeit Gottes her keine andere Einstellung zu irgendeinem Mitmenschen, als diese. Sie ist identisch mit der praktischen — wohlgemerkt: praktischen! — Anerkennung seines Menschenrechtes und seiner Menschenwürde. Verweigern wir sie ihm, so würden wir eben damit auch unserseits darauf verzichten, Jesus Christus zum Bruder und Gott zum Vater zu haben.“

Wer diese wenigen Motive des Barthschen theologischen Denkens bedenkt, ersieht, wie von diesem protestantischen Reformator, in dem etwas von den Zornesfeuern des jungen Luther und Calvins brennt, innerste Verbindungen bestehen zu einem franziskanischen Liebeswillen und Friedenswillen, zu einer Weltpolitik von morgen, jenseits der Feuer des Hasses und der Angst, und zu einer Seelsorge, die dem je anderen Menschen gilt, in dem das Geheimnis des ganz anderen Gottes als Verpflichtung zum Erweis der Liebe und Tat auf uns zukommt.

ln seinem Arbeitszimmer hegt Karl Barth ein Bildnis eines Meisters, der ihm, dem Tröster vieler bedrängter Seelen, oft und gern zum Tröster geworden ist: Wolfgang Amadeus Mozart.

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