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Ein Hugenottendrama

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Fritz Hochwälders neues Werk „D o n a-d i e u“ ist soeben im Burgtheater uraufgeführt worden. Conrad Ferdinand Meyers Ballade „Die Füße im Feuer“ gibt das Stoffgerüst; die innere Motivierung verdankt dieses Drama aber sichtlich unserer Zeit: Krieg und Frieden, Rache und Gerechtigkeit, Vergeltung und Versöhnung im Heute stehen zur Debatte. — Die äußere Handlung: Donadieu, ein hugenottischer Edelmann, erfährt, daß der königliche Kurier Du Bosc, dem er soeben Nachtquartier gewährte, der Mörder seiner Frau und seines ganzen Fleckens Galargues ist. Du Bosc ist zudem der Ueberbringer eines königlichen Gnadenedikts, das den Hugenotten des Südens nach ihren schweren Niederlagen Schonung gewähren soll. — Dieses „historische“ Grundthema ist heute noch ein Teil des innerfranzösischen Dramas; heute noch ist Frankreich zerrissen durch die Nachwehen seiner hundertjährigen Glaubenskriege — nach 1945 entschlossen sich deshalb französische Katholiken, jährlich Büß- und Sühneopfer zu leisten für die Gewalttaten, die ihre Ahnen den Hugenotten zwischen 1550 und 1770 antaten. Dem politischen und geistigen Gesicht Frankreichs sind heute noch unauslöschlich die Spuren'jener Vorgänge eingeprägt -— eine Fahrt durch den „roten Süden“ kann dies. jederzeit bestätigen. Das österreichische Analogon: die Verdrängung unserer Protestanten in den Untergrund vom 16. Jahrhundert bis nahe zur Gegenwart und die verheerenden politischen und wirtschaftlichen Folgen dieser Akte sollten genügen, um den Nachweis zu erbringen, daß es sich bei dieser Thematik nicht um Kostüme und Historien der Vergangenheit handelt. Eines ist allerdings unserer Zeit fern: nicht das Sengen und Morden, das Schinden und Hängen, nicht das Reden von Frieden und Gerechtigkeit, wohl aber das Ernstnehmen Gottes. Für nicht wenige der an sich nicht sehr zahlreich erschienenen Besucher dieser Uraufr führung ergab sich von hier aus allein bereits ei* Moment der Langeweile: wie kann, so konnte man hören, dieser hugenottische Edelmann seinen Gott nur so ernst nehmen? — Der Inhalt nun, weiter, des Dramas: Donadieu scheint zunächst, mit seinem calvinischen GottesbegrifF der Rache und des Gerichtes, zu zerbrechen. Er siegt aber, da schlußendlich (wie die Schweizer sagen) der Gefährte des Du Bosc, der katholische Offizier Lavalette, den Gerichtsakt, auf den: er selbst nach langem innerem Kampf (1. und 2. Akt) verzichtet, voll* zieht und Du Bosc niedersticht. Also wird dem Donadieu sein Recht der Vergeltung und sein enger, harter Gottesbegriff erhalten,' also gehen die Hugenotten in die (fragwürdige) Gnade des Königs ein (noch mehr als 100 Jahre später verschmachten lebenslänglich hugenottische Frauen in nächster Nähe in der Gefangenschaft, dienen Hugenotten als Galeerensträflinge), also wird jedem Partner sein Teil; ein deutscher hugenottischer Hauptmann, ein Pendant zu Du Bosc, flieht, genau verteilt sind Schuld und Recht im Ausgang. Diese Konstruktion ist die stärkste Schwäche des sehr achtbaren Stückes, das eben dadurch den Eindruck eines Rechenexempels erweckt. Eine Tragödie ist es also nicht: weder das Paradoxon Gottes, des gekreuzigten Gottessohns, noch die Fragwürdigkeit des Menschen werden hier sichtbar gemacht. Es gibt Schurken und Ehrenmänner in allen Fronten und in allen Parteien (eine heute nicht unwichtige Erkenntnis) — eine Tragödie entsteht aber noch nicht, wenn, wie hier, nach einem Kegelspiel, die bösen und guten Kegelfiguren von der Bühne rollen. — Es ließe sich denken, daß Hochwälder den großen Vorwurf dieses Stoffes noch einmal durcharbeitet und dann mit ihm in jene Dimension vorstößt, die nicht nur unser Interesse erweckt, sondern mehr: die echte Spannung, die dadurch entsteht, daß niemand im Publikum weiß, welche Spiele hier Gott und Mensch spielen. — Die sehenswerte Aufführung (Regie Rott, ein-druckSstark das Bühnenbild Fritz Judfmanns) konfrontiert Ernst Deutsch als Donadieu (eine würdige Darstellung der Größe und Grenze dieses Glaubenshelden) mit der gespenstischen Maske Albin Skodas (Du Bosc), der milden Geistigkeit Steinbocks (als Pastor) und der vornehmen Erscheinung Liewehrs (als Lavalette). Die menschlichste (und zeitnaheste!) Gestalt blieb Josef Meinrad vorbehalten: ein armer Literat, Typus des zwischen den Fronten zerriebenen Intellektuellen, von allen mißbraucht und verspottet, von allen verbraucht für ihre Kriegs-, Propaganda- und Re-klamebedürfnisse. Eine erschütternde Erscheinung! In diesem Männerstück haben die Frauen (Eis als Schaffnerin und Mikulicz als Tochter) nur die Rolle statischer Zeugen.

Das Volkstheater bringt in seinem Sonderabonnement „Die Ehen des Herrn Mississippi“ von Friedrich Dürrenmatt. Ein Experimentierstück eigener Art. Gedanken über Revolution und Revolutionäre, über die Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden, werden fast kabarettistisch illustriert an Hand einer Story von einem kalvinistischen Generalstaatsanwalt, der aus der Gosse aufstieg und nunmehr die Erde von Verbrechern „säubern“ will. Es fehlt nicht an geistreichen Sentenzen, auch nicht an einer anziehenden Gestalt (ein verkrachter Graf, dessen Ahnen Don Quijote und der „Idiot“ Dostojewskis sind), die das ewig scheiternde Experiment eines christlichen Lebens versucht (Günther Haenel), es fehlt aber an Blut und am Atem der Dichtung. Zum Vergleich: wieviel „passiert“ hier auf der Bühne, die halbe Weltgeschichte tritt in Kurzrollen auf, wie wenig „geschieht“ im Blumenstück „Dona Rosita“ des Garcia Lorca, das gleichzeitig im Akademietheater gespielt wird, wie leer sind die Räume zwischen den immer neu ansetzenden Experimenten hier, wie dicht, voll ist der Raum der Dichtung dort. — Das soll kein Einwand gegen den Sinn solcher Aufführungen sein, sie regen zum Nachdenken an und verweisen nachdrücklich auf eine ungern gesehene Tatsache: ohne Experimente wird es keine neue Bühne, kein neues Theater geben.

Zum siebzigsten Geburtstag von Anton Edthofer spielt die Josefstadt ein Lustspiel von Erich Kästner, „D a s lebenslängliche Kind“. Ein Stück von jener handfesten Art, die den Löwingern und nicht wenigen ehrsamen Bauerntheatern zwischen Isar und Inn die Kassen sichert, hier aber durch die Besetzung einige Herztöne erhält, die ihm von Haus aus nicht mitgegeben sind. Adrienne Geßner, als tragikomische i Hausdame (unvergeßlich ihre Gestaltung der Tragödie des einfachen Menschen) und der Jubilar führen das Ensemble zu einem in herzhaftem Lachen anschwellenden Publikumserfolg. Friedrich Heer

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