Ein Jahrhundert erlebt

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Der slowenische Schriftsteller Boris Pahor, 1913 in Triest geboren, hat im Jahr 2010 fast ein Jahrhundert Leben zu erzählen. Aber was für ein Jahrhundert, vor allem für einen Slowenen, der als Angehöriger einer unerwünschten Sprach- und Kulturminderheit in einer Stadt, die die ererbte Multikulturalität beileibe nicht immer als Reichtum erachtete, zuerst den Faschismus, dann den Nationalsozialismus, dann den Kommunismus erleben musste. Also ein Regime nach dem anderen, das das Anderssein verboten bzw. sogar vernichtet hat.

Boris Pahor hat diese Machtverhältnisse und ihre Ausgrenzungen am eigenen Leib erlebt – und darüber in seinen literarischen Texten seit Jahrzehnten geschrieben. Nicht in Hass und Verbitterung, sondern, wie es Lev Detela in seiner Laudatio ausdrückte, „mit Verwunderung und Trauer“. Boris Pahor erhielt am 26. April in Wien das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Er hat zwar früh zu schreiben begonnen, die – auch internationale – Anerkennung kam aber spät.

Brennendes Kulturhaus

Als Kind erlebte Pahor, was zum Symbol und Trauma aller Slowenen in Triest werden sollte: Er sah nicht nur slowenische Bücher brennen, sondern auch das slowenische Kulturhaus, und eine begeisterte Menge, die die Schläuche der Feuerwehr durchschlug, damit vom Kulturhaus – das heißt von der slowenischen Kultur in Triest – auch ganz sicher nichts übrig blieb. Wer in der Schule slowenisch sprach, wurde angespuckt und Namen – sogar die von Toten – wurden geändert.

Pahor wurde von der italienischen Armee eingezogen und 1940 nach Libyen versetzt, über diese Zeit schrieb er später seinen Roman „Nomaden ohne Oase“, der nun mit vier weiteren Romanen auf Deutsch bei Hermagoras erschienen ist. Pahor wurde versetzt und studierte in Padua, nach der Kapitulation des faschistischen Italien kehrte er 1943 nach Triest zurück und schloss sich dem slowenischen Widerstand an. 1944 wurde er verhaftet und ins KZ deportiert. Vier KZs musste Pahor überstehen, bis er 1945 aus Bergen-Belsen befreit wurde. Über Paris kam er nach Triest zurück, das nicht nur sein Wohnort blieb, sondern auch der Ort seiner literarischen Werke ist.

Seine Essays, in denen er sich für politischen Pluralismus in Jugoslawien einsetzte, wurden dort aber beschlagnahmt. Erst in den 80er-Jahren wurde er wieder bekannter, in den 90er-Jahren durch die Übersetzungen auch europaweit.

In seiner Literatur erzählt Pahor seine Geschichte, die die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts ist. In „Nekropolis“ (1967), jenem 2001 hierzulande „entdeckten“ Roman, sucht er das Lager Natzweiler wieder auf: ein Erinnerungsbuch auch an die unzähligen Toten. Das Thema des Rechtes auf die eigene Sprache und Kultur durchzieht seine Werke, des Rechtes auf das Anderssein, auf das eigene Denken: „Meine Botschaft ist immer die gleiche, dabei denke ich vor allem an die Jugend: Lasst nicht zu, dass andere euer Denken bestimmen.“

Einen „freiheitsliebenden und aufständischen Menschen“ nannte ihn Drago Jancar 2005 in einem FURCHE-Artikel. Auch bei der Ehrung in Wien erwies sich der 96-jährige Autor als politisch wacher und unbestechlicher Geist, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt, als er die Situation in Kärnten ansprach und die Österreicher an die Bestimmungen ihres Staatsvertrags erinnerte.

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