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Ein Karren zog durch England ...

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Von Geoffrey Trease. Globus-Verlag, Wien. 212 Seiten

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Von Geoffrey Trease. Globus-Verlag, Wien. 212 Seiten

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Als .Jugendroman“ bezeichnet sich diese Erzählung von den Erlebnissen zweier Knaben, die zu Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts in die englische Chartistenbewegung verwickelt wurden und als Mitverschworene allerlei Abenteuer zu bestehen hatten. Freilich dienen die zwei jungen Burschen sozusagen nur als Staffage; worum es dem Autor und seiner Übersetzerin, Eva Priester, wirklich ging, war die propagandistische Auswertung jener historischen Bewegung für die heutigen Zwecke einer Partei, deren Name sich unschwer erraten läßt. Daß im Zuge eines solchen Bemühens die historische Wahrheit zu kurz kam, bedarf kaum einer Betonung. Wohl ist der soziale und wirtschaftliche Hintergrund des Sujets im wesentlichen richtig gezeichnet; die Lage vor allem der englischen Arbeiterschaft war in den Anfängen des industriellen Zeitalters tatsächlich eine ganz und gar menschenunwürdige, und kein Wort ist zu scharf, um den herzlosen Egoismus vieler Unternehmer jener Epoche zu geißeln. Dort aber, wo sich das Buch mit dem Ablauf der Chartistenkampagne beschäftigt, deren ursprünglicher Charakter durch die Gewissenlosigkeit der Führung so unheilvoll verändert wurde, beginnt die tendenziöse Verzerrung des Historischen. Wir finden nicht ein Wort von den ausgesprochen christlichen Grundlagen der englischen Arbeiterbewegung, noch von den geradezu unvorstellbaren Fortschritten in den Arbeitsbedingungen und der gesamten Lebenshaltung der englischen Arbeiterklasse, die im Wege einer friedlichen Evolution und durch das Erwachen- des sozialen Gewissens, Hand in Hand mit dem Aufschwung des nationalen Wohlstands, in den letzten hundert Jahren „bürgerlicher“ Regierungen erreicht wurden. Dafür wird um so mehr von der Notwendigkeit gesprochen, den Kampf unentwegt weiterzuführen, um das „Evangelium der Menschlichkeit“ zu verwirklichen und den Arbeitenden den Genuß der Schätze der Welt „in Frieden und Freiheit“ zu sichern. Um welche Art des Kampfes es sich dabei handelt und um welch merkwürdiges „Evangelium der Menschlichkeit“, darüber läßt das Buch nicht den geringsten Zweifel. Bewaffneter Aufstand, Brandstiftung, Plünderung, Mord am politischen Gegner werden aufs höchste gepriesen, die Verteidiger von Gesetz und Ordnung hingegen als Verbrecher gebrandmarkt. Und ein soldies Buch, welches zu Haß und Gewalttat aufreizt und Vernichtung predigt, soll der Jugend in die Hand gegeben werden, um sie auf den Weg des Friedens und wahrer Freiheit zu führenl

Man fragt sich, was das Schicksal eines Autors oder Verlegers wäre, der es versuchen würde, ein ähnliches Buch mit umgekehrten Vorzeichen in einer „Volksdemokratie“ herauszubringen und die Jugend des Landes zum Kampf gegen das heute dort herrschende System aufzurufen. Er würde sich kaum lange der Schätze dieser Welt erfreuen.

Der schwedische Reiter. Von Leo P e r u t z. Verlag Paul Zsolnay. 274 Seiten.

Die Erzählung spielt in Schlesien, zur Zeit, da es noch zu Österreich gehörte und die Heere des Schwedenkönigs Karl XII. das benachbarte Polen mit Waffenlärm erfüllten. Gegen diesen historischen Hintergrund setzt Perutz seine Hauptfigur, den „schwedischen Reiter“, der freilich gar keiner war, sondern seine Laufbahn als diebischer Landstreicher begann und später, durch Zufall und maßlosen Ehrgeiz verführt, zu einem Verbrecher wurde, der vor keiner Ruchlosigekit und keinem Frevel zurckschreckte, um sein hochgespanntes Ziel zu erreichen. Er erreicht es, und sieben Jahre lang vermag er sein Glück festzuhalten, wenngleich immer wieder gepeinigt von den Schatten einer schändlichen Vergangenheit; dann bricht die Nemesis in furchtbarer Gestalt über ihn herein. So ungewöhnlich die Handlung, so überzeugend ist sie dargestellt, und dies in einer Sprache, die dem Leser das Leben jener Epoche und ihre kulturhistorische Umrahmung greifbar wiedererstehen läßt. Es ist keine Übertreibung, diesen Roman als ein Meisterwerk zu bezeichnen. Mit seiner Neuausgabe hat sich der Verlag ein unstreitiges Verdienst um die Liebhaber einer Belletristik hohen Ranges erworben. Maria Strachwitz'

Die Gestaltung des Abendlandes. Eine Ein-führung in die Geschichte der abendländischen Einheit. Von Christopher Dawson. Hegner-Bücherei im Summa-Verlag zu Ölten 1950.

Dawsons berühmtes Werk .The making of Europe“ erschien erstmalig 1935 in deutscher Übertragung, die Neuauflage ist durchaus gerechtfertigt! Gewiß, Dawsons Kampf um ein Verständnis des .dunklen Zeitalters“ — ein Begriff der humanistischen Historiographie, der im mitteleuropäischen Raum im 17. und 18. Jahrhundert blühte, im 19. bereits aufgegeben wurde — scheint uns hier und heute oft wie ein Kampt gegen Windmühlen; im angelsächsischen Raum, der mit großer Zähigkeit ■ an alten Geschichtsklitterungen festhält, war er nötig und berechtigt. Bestechend nach wie vor der Elan und die Umsicht, mit dei Dawson sein Unternehmen angeht. Europas innere Entwicklung von der Antike bis an die Schwelle des Hochmittelalters aufzuzeigen. Hoch beachtlich seine tiefgehende Würdigung der östlichen Welt, der byzantinischen und islamitischen Entwicklung.

Das Buch wäre bei Verarbeitung der reichen seither erschienenen Forschungen (im englischen Sprachraum sei nur auf Dvorniks „Photius“, und .The making oft Central and Eastern Europe“, auf Kantorowiecz' Laudes-Forschungen und Simpsons Ravenna-Arbeiten verwiesen) fähig, eine dritte Auflage zu tragen. Wünschenswert wäre dann auch eine sprachliche Überarbeitung der Übersetzung, die flüssig, aber teilweise etwas ungenau ist (zum Beispiel S. 271: .Die Verbindung mit dem Reich erlöste den Papst von der Will-kürherrschaft der östlichen Parteien und gab es Europa und sich selbst zurück.“ Seite 204 wird von den .bretonischen Ablässen“ gesprochen — die großartigen „Pardons“, diese bretonischen Wallfahrts-, Büß-, Bet- und Kirmeßfeiern, lassen sich nicht einfach mit „Ablässen“ übersetzen).

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