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Ein Kranz auf eine Gruft

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Ein bedeutungsschweres Kapitel Kärntner Kirchen- und Kulturgeschichte wird mit diesem Buche von dem Klagenfurter Dompropst aufgeschlagen, dem berufenen Zeugen eines schmerzvollen Dramas, in dessen Mitte ein Bischof steht. Ein edler Hirte, ein Schaffender und Erbauer von ungewöhnlichem Format. Aber er gerät schließlich durch fremde Schuld in unglückliche Verkettungen, in denen er, ein Vielverlästerter, mit bitterem Undank Belohnter, zerbricht. Man muß in der österreichischen Kirchengeschichte bis ins 13. Jahrhundert zurückgehen, um in Salzburg au/ ein ähnliches episkopales Drama, etwa das Erleben des Erzbischofs T h i e m o, zu stoßen.

Als Kegelaufsetzer und Ministrant verdient sich der am 11. April 1839 zu Döllach im Mölltal unterhalb Heiligenblut geborene arme Bergbauern-bub Josef Markus Kahn als jüngstes von zehn Kindern seinen Unterhalt zum Besuch der k. k. Hauptschule in Klagenfurt, in der er Primus ist. Die große Förderin des Kärntner Bildungswesens, Theresia E g g e r, wird auf den hochbegabten Knaben aufmerksam. Durch sie erhielt er 1852 die Aufnahme in das Grazer Knabenseminar, in dem er 30 Jahre später nach einem ungewöhnlichen Aufstieg Regens und Domherr wird und 1886 seine Berufung als Fürstbischof seiner Kärntner Heimat erhält. In Graz hinterläßt er eine breite Spur seines weitschauenden Schaffens. Unter anderem verdankt ihm das Grazer St.-Odilien-Blindeninstitut als erste derartige Einrichtung des Landes das Entstehen. In der Kärntner Heimat findet der neue Bischof eine von einem josephi-nischen Staatskirchentum und militantem Freisinn verwüstete Diözese vor. In den letzten vier Jahrzehnten hatte der Priestermangel in der Diözese steigend katastrophale Formen angenommen. Unter Fürstbischof Wiery (1858 bis 1880) traten in die Seelsorge der Diözese nur 178 neue Priester ein, indes im gleichen Zeitraum dem Klerus 233 Mitglieder durch den Tod entrissen wurden. Dies geschah aber in einem Lande, in dem schon unter dem Vorgänger Wierys breite Lücken in Klerus durch Aufnahmen aus Böhmen, Steiermark, Krain, Tirol, aus Ungarn und Süddeutschland gestopft werden mußten. In dem Hörsaal der theologischen Lehranstalt saß 1876 nur ein einziger Hörer. Ein von sturem Vorurteil gesteuerter hoch mutiger Liberalismus attackierte die Kirche, ihre Amtsträger und Einrichtungen. Zu jener Zeit als deutsches Landeskind Priester in Kärnten zu sein, vermochten nur heroische Menschen oder Einsiedlernaturen. Viele Seelsorgestationen blieben unbesetzt. Weithin verdorrte das religiöse Leben schon von früh auf, weil das Wort Gottes in Kirche und Schule verstummt war.

In dieser scheinbar zum Verzagen und zur Hoffnungslosigkeit verurteilten Lage nahmen wie ihr Vorgänger auch die Fürstbischöfe Wiery und dessen diözesaner Erbe Dr. Peter Funder ihre Zuflucht zur Aufnahme von Priesterkandidaten aus anderen Diözesen. Ein guter Teil von diesen waren Nichtdeutsche, die weder die deutsche Sprache beherrschten noch sich im Gebrauch des Slowenischen genügend zurechtfanden. So mancher dieser Kandidaten kam aus recht weltlichen Gründen. Die Hälfte von ihnen ging schon vor der Priesterweihe davon. Während des fünfjährigen Episkopates Dr. Peter Funders traten nur 32 neue Priester in den Seelsorgedienst. Sie vermochten nicht einmal die Hälfte der in dieser Zeit durch den Tod Ausgefallenen zu ersetzen.

Als 1886 Dr. Josef Kahn als Bischof in seine Heimat zurückkehrte, waren 200 Seelsorgestellen in dem kleinen Lande unbesetzt. Das gesellschaftliche und kulturpolitische Klima war feindselig. Selbst die äußeren Einrichtungen der Diözese ließen viel zu wünschen übrig. Das Knabenseminar war im Hause des theologischen Alumnates untergebracht. Es sollte Heimstätte des Nachwuchses für das theologische Studium und den Priesterstand sein und faßte höchstens 30 Zöglinge. Ein kümmerliches Institut.

Hier, wo an menschlichen Vorkehrungen das meiste fehlte, setzte Bischof Dr. Kahn sofort den Hebel an. Unbekümmert um den Vorwurf, er wolle ein „Priesterproletariat“ züchten, weil die Priester nicht reiche Pfründen erwarteten, ging Kahn an die Schaffung eines Knabenseminars, dessen Bau für 160 Mittelschüler Raum bieten und, wie Unterluggauer berichtet, „allen Anforderungen auch In bezug auf Gesundheitspflege, Spielplätze und Sport Rechnung tragen sollte“. Doch woher das Geld nehmen in einem Lande, in dem die große Mehrheit der kirchentreuen Bevölkerung bescheidene Mittelständler und Kleinbauern waren und viele der besitzenden Klassen aus Ueberzeugung, Mode oder Furcht einem animosen Liberalismus huldigten. Der Bauplan erforderte ein Kapital von 152.000 Gulden. Für ein Drittel der Bausumme sollte ein Darlehen Deckung bieten, für das der Bischof aus seinen Privatmitteln die Zinsenzahlung übernahm. Spendensammlungen und die Heranziehung von Stiftungen und Kirchenvermögen im Sinne von Bestimmungen des Trienter Konzils sollten für einen weiteren erheblichen Teil der Kosten sorgen. Da ging in der freisinnigen Presse der Tanz los. Unerhörtes geschehe in Oesterreich. Dieser gewalttätige Bischof konfisziere eigenmächtig die Kirchenvermögen, bedrohe damit auch nicht wenige Gemeinden in ihrer Wirtschaftsgebarung: beim Wegfall des Kirchenvermögens würden sie für eventuelle Baubedürfnisse ihrer Kirche aufkommen müssen. Der Kleri-kaüsmus sei auf dem Vormarsch, di« Freiheit stehe auf dem Spiel. Das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht verweigerte die Zustimmung der Verwendung von Fonds, die Advokatenschaft von Kirchenpatronaten rückte mit drohenden Gebärden gegen das Ordinariat aus. Doch bald erhoben sich aus dem Lärm tröstliche Stimmen. Der Kaiser widmete unter wohlwollender Anerkennung der Bestrebungen des Bischofs 100.000 Gulden, Unterrichtsminister Dr. G a u t s c h korrigierte die Haltung seines Amtes mit der Bestätigung der kirchenrechtlichen Korrektheit einer Heranziehung der Kirchenfonds zu diesem Bauanliegen, und Fürst Franz Liechtenstein drückte öffentlich dem Bischof seine Genugtuung über das Bauunternehmen aus, das der Fürst mit einem erheblichen Beitrag förderte. So gedieh trotz aller Befeindung der Bau des Marianums. Im September 1889 konnten bei Eröffnung des Institutes bereits 100 einheimische Seminaristen in das wohleingerichtete schöne Haus einziehen, in dessen innerer Gestaltung die praktischen Erfahrungen des einstigen Grazer Seminarregens sich bewährten.

Eine Zeit harter Gegnerschaft und heftiger Zwischenfälle war von dem kühnen, mitunter scheinbar yereinsamt ausharrenden Bischof glücklich überwunden. Der zähe Mölltaler hatte aus dem bösen Ringen den Sieg davongetragen. Nun ging er an sein zweites Großes Werk, die Arbeit der Seelsorge durch das Presseapostolat zu ergänzen und zu stärken. Er widmete die nächsten vier Jahre dem Bemühen um das Erstehen einer modernen Druckerei. Sie wurde die Wiege eines gutgegliederten Zeitungswesens, das bald im Zeichen der Piusvereinsbewegung auch eine Tageszeitung zu tragen vermochte, sowie einer volkstümlichen Buchgemeinde, die unter dem Namen St.-Josephs-Bücher-Bniderschaft weit über die Grenzen Kärntens hinaus starke Verbreitung fand. Diese emsige Pressearbeit wurde mit einem unbestrittenen Erfolg belohnt. Alimählich verwandelte sich das geistige Bild Kärntens. Das religiöse Leben frischte auf, eine hoffnungserweckende christliche Volksbewegung schaffte sich Bahn. Würde jetzt der Sommer kommen, die große scheunenfüllende Erntezeit, welche die nicht-rastende Pflügerarbeit des Bischofs belohnen würde, dieses Mühen um alle Bereiche des seelsorglichen Schaffens, der christlichen Caritas und der Jugendfürsorge? Es schien so. Im ewigen Ratschluß war es anders beschlossen.

Das Jahr 1906 brachte dem Bischof ein Unglück über das andere. Von einer Firmungsfahrt heimkehrend, erlitt er einen Wagenunfall, der merklich zerebrale Störungen zurückließ, Bewegungsunsicherheit und Versagen auch primitiver Gedächtnisfunktion. Mit vergeblichen Anstrengungen mühte sich der Bischof, den Pflichten seines Amtes nachzukommen. Sich wiederholende Schlaganfälle machten den noch vor ein paar Jahren sehr rüstigen Mann zu einem geistigen Wrack. Fast hätten damals ein paar Menschen, zwei Monsignori unter ihnen, die seine Hilflosigkeit mißbrauchten, sein Lebenswerk zerstört. An einzelne seiner Schöpfungen streifte eine Wirtschaftskatastrophe, in deren Mittelpunkt der Konkurs der Zentralkasse Kärntner landwirtschaftlicher Genossenschaften stand, die Gründung eines Geistlichen, die in den Bankerott einer Serie abenteuerlicher Wirtschaftsunternehmungen verwickelt wurde. Die Schuldigen hatten in ihrer Bedrängnis den Zustand des Bischofs benützt, ihm Haftungen aufzuerlegen, denen er nie hätte entsprechen können. Durch einen großherzigen Opfergang des Kärntner katholischen Volkes und seines Klerus konnten die bäuerlichen Genossenschaften ohne einen Kreuzer Verlust gerettet werden. Der unglückliche Bischof, zur Resignation genötigt, ohne einen Pfennig Geld, da seine Pension gepfändet worden war, fand als geistig und wirtsefcaftlich Schiffbrüchiger Zuflucht in der Gastfreundschaft des Stiftsabtes von Tan-zenberg. Hier erhielt Fürstbischof Dr. Josef Kahn 1915 seine letzte Ruhestätte, ein Bettler Gottes und doch ein Reicher, denn seine Werke folgten ihm nach.

Der Verfasser des vorliegenden Lebensbildes hat dem toten Bischof eine ergreifende Darstellung seiner Persönlichkeit, seines Wirkens und seiner Schicksale gewidmet. Sie ist um so eindrucksvoller, als sie ohne Schönfärberei die ritterliche Sachwalterschaft für die Ehre eines Bischofs ist, eines großen Kärntners, dessen Name in der Erinnerung bis heute vielfach von Mißgunst, Ungerechtigkeit und Unkenntnis der Tatbestände umflort ist. Das Buch löst eine Dankesschuld an die historische Wahrheit und man mächte es in der österreichischen Kirchengeschichte nicht vermissen. Unterliiggauer legt mit diesem Buch auf die Gruft in Tanzenberg einen nicht verwelklichen Kranz.

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