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Ein Lob der heiteren Abgeschnittenheit

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Es war vor allem der Kriege wegen, daß ich nach Serbien wollte, in das Land der allgemein so genannten „Aggressoren". Doch es lockte mich auch, einfach das Land anzuschauen, das mir von allen Ländern Jugoslawiens das am wenigsten bekannte war, und dabei, vielleicht gerade bewirkt durch die Meldungen und Meinungen darüber, das inzwischen am stärksten anziehende, das mitsamt dem befremdenden Hörensagen über es, sozusagen interessanteste. Beinah alle Bilder und Berichte der letzten vier Jahre kamen ja von der einen Seite der Fronten oder Grenzen, und wenn sie zwischendurch einmal von der anderen kamen, erschienen sie mir, mit der Zeit mehr und mehr, als bloße Spiegelungen der üblichen eingespielten Blickseiten - als Ver-spiegelungen in unseren Sehzellen selber, und jedenfalls nicht als Augenzeugenschaft ...

Wer war der erste Aggressor? Was hieß es, einen Staat zu begründen, dazu einen seine Völker vor- und zurückreihenden, auf einem Gebiet, wo doch seit Menschengedenken eine unabsehbare Zahl von Leuten hauste, welcher solcher Staat höchstens passen konnte wie die Faust aufs Auge, das heißt ein Greuel sein mußte, in Erinnerung an die nicht zu vergessenden Verfolgungen durch das hitlerisch-kroatische Ustascha-Regime? Wer also war der Aggressor? War derjenige, der einen Krieg provozierte, derselbe wie der, der ihn anfing? Und was hieß „anfangen"? Konnte auch schon solch ein Provozieren ein Anfangen sein? ... Und wie hätte ich, Serbe nun in Kroatien, mich zu solch einem gegen mich und mein Volk beschlossenen Staat verhalten? Wäre ich, obwohl doch vielleicht tief ortsverbunden, auch durch die Vorfahrenjahrhunderte, ausgewandert, meinetwegen auch „heim" über die Donau nach Serbien? Vielleicht. Wäre ich, wenn auch auf einmal zweitklassiger Bürger, wenn auch zwangskroatischer Staatsbürger, im Land geblieben, zwar unwillig, traurig, galgenhumorig, aber um des lieben Friedens willen? Vielleicht. Oder hätte ich mich, stünde das in meiner Macht, zur Wehr gesetzt, natülich nur mit vielen anderen meinesgleichen, und zur Not sogar mit Hilfe einer zerfallenden, ziellosen jugoslawischen Armee? Wahrscheinlich, oder, wäre ich als so ein Serbe halbwegs jung und ohne eigene Familie, fast sicher ... Welche Kriegsseite war, was die Getöteten und die Gemarterten betraf, fürs Berichten und Photogra-phieren die Butterseite? ... Diese, so war es jedenfalls nicht selten zu sehen, „posierten" zwar nicht, doch waren sie, durch den Blick- oder Berichtswinkel, deutlich in eine Pose gerückt: wohl wirklich leidend, wurden sie gezeigt in einer Leidenspose? Weshalb wurden solche Serben kaum je in Großaufnahme gezeigt? Und schließlich ist es mit mir sogar so weit gekommen, daß ich, nicht nur mich, frage: Wie verhält sich das wirklich mit jenem Gewalttraum von „Groß-Serbien"? Hätten die Machthaber in Serbien, falls sie den in der Tat träumten, es nicht in der Hand gehabt, ... ihn kinderleicht ins Werk zu setzen? Oder ist es nicht auch möglich, daß da Legendensandkörner, ein paar unter den unzähligen, wie sie in zerfallenden Reichen, nicht nur balkanischen, durcheinanderstieben, in unseren ausländischen Dunkelkammern vergrößert wurden zu Anstoßsteinen?... Hat sich dann am Ende nicht eher ein „Groß-Kroatien" als etwas ungleich Wirklicheres oder Wirksameres oder Massiveres, Ent- und Beschlosseneres erwiesen als die legendengespeisten, sich nie und nirgends zu einer einheitlichen Machtidee und -politik ballenden serbischen Traumkörnchen?...

Der erste Belgrader Abend war lau... Es waren sehr viele Menschen unterwegs, wie eben in einem großen südeuropäischen Zentrum. Nur wirkten sie auf mich nicht bloß schweigsamer als, sagen wir, in Neapel oder Athen, sondern auch bewußter, ihrer selber wie auch der anderen Passanten, auch aufmerksamer, im Sinn einer sehr besonderen Höflichkeit...

Mir erschien die Bevölkerung, zumindest so auf den ersten Blick, als eigentümlich belebt... und zugleich, ja, gesittet. Aus allgemeinem Schuldbewußtsein? Nein, aus etwas wie einer großen Nachdenklichkeit, einer übergroßen Bewußtheit... und vielleicht auch aus Stolz, eines freilich, welcher nicht auftrumpfte... In nicht wenigen Berichten hat man sich, mehr oder weniger milde, lustig gemacht über die gar lächerlichen Dinge, mit denen das Serbenvolk, wenn es nicht der dortigen Mafia angehört, Geschäfte zu machen versucht... Was aber von solchem Marktleben, wie es dabei spürbar bestimmt war von einer Mangelzeit, am eindrücklichsten haften blieb, das war, und nicht bloß die Leckersachen, sondern ebenso bei dem vielen vielleicht wirklich fast unnützen Zeug (wer weiß?), eine Lebendigkeit, etwas Heiteres, Leichtes, wie Beschwingtes an dem anderswo gar zu häufig pompös und gravitätisch gewordenen, auch mißtrauischen, halb verächtlichen Vorgang von Verkaufen und Verkaufen... Und ich erwischte, mich dann sogar bei dem Wunsch, die Abgeschnittenheit des Landes - nein, nicht der Krieg -möge andauern; möge andauern die Unzugänglichkeit der westlichen oder sonstweichen Waren- und Monopolwelt.

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