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Ein märchenhafter Film

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Von den beiden Märchendichtern des Films ist nur der eine noch da. Der andere, Charlie Chaplin, wurde von der Krankheit des Jahrhunderts erfaßt und starb — an Politik und Propaganda — einen grausigen geistigen Tod. Was unsterblich an ihm ist — „Goldrausch”, „Zirkus”, „The Kid” geistert bisweilen um Mitternacht in Archiven, das Sterbliche wandelt noch heute in Hollywood und schmiedet Pläne an einem unerfüllbaren Zukunftsseaat: die unproduktivste Form des Märchens, die wir kennen.

Der eine ist Walt Disney. Von 1922 an (er ist 1902 in Chikago geboren) bevölkert er die bis dorthin recht nüchterne Filmleinwand mit den bezaubernden Geschöpfen seiner Phantasie, mit Micky Maus, schwarzweiß und später (in den „Silly Symphonies”) farbig, mit dem Hasen Oswald und dem Frosch Flip, der Ente Donald und den drei Schweinchen, dem Big bad Wolf und dem Hund Pluto, neuerdings dem Elefanten Durabo und dem Salten-, sehen Rehbock Bambi. Dazwischen liegt, heute elf Jahre alt, „Schneewittchen und die sieben Zwerge”, der erste abendfüllende Zeichentrick- Märchenfilm, der nunmehr auf einer langen Reise durch die Weltgeschichte auch zu uns gekommen ist.

Walt Disneys „Schneewittchen” ist dias Kind ungleicher Eltern. Vom Vater (Grimms „Kinder- und Hausmärchen”, 1812), nicht vom Mütterchen hat es die Frohnatur und Lust zu fabulieren. Mütterchen aber ist die Technik des 20. Jahrhunderts. Von ihm hat’s die Statur: das gepflegte Äußere, die Marionettenmechanik der Bewegung, das große Augenrollen.

Eingang und Schluß des Films weichen stark vom Original ab. „Es war einmal mitten im Winter und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab”, heißt es bei Grimm; bei Disney steht die böse zweite Mutter Schneewittchens schon vor dem Spiegel, aus der ihr eine Art Goethescher Erdgeist das Gift der Eifersucht eintröpfelt. Am Schluß wieder steht bei Grimm: „Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen …” Walt Disney zieht bei den Haaren, freilich den Haaren Grimms selber, den Dornröschenschluß herbei und läßt Schneewittchen durch den Kuß des Königssohnes erwachen. Warum diese Änderung? Man küßt nicht ungestraft vergiftete Mädchen: dieser geänderte Schluß ist unnotwendig, unmotiviert. Er ist, wie der Eingang, Germanistik, Rabulistik.

Ganz im Element dagegen ist Walt Disney in der Charakterisierung der sieben Zwerge, die aus der Grimmschen uniformen Anonymität in ein differenziertes Ensemble aufgespalten werden. Ein jeder der sieben Gnome bat seinen „Tick”: der Chef, den Brummbär, der Hatschi, der Seppl und wie sie alle in der etwas zu herben deutschen Fassung heißen mögen. Hier wie in der Vermenschlichung der Tiere des Waldes lebt sich die Phantasie des Filmdichters ungezügelt aus, hier liegt der künstlerische Schwerpunkt des ganzen Films. Hier gibt es die köstlichsten Episoden — die errötende Taube, das tellerputzende Eichhörnchen —, im ganzen gesehen aber auch eine empfindliche Belastung des epischen Bogens. Besonders in der Heimkehr der sieben Zwerge wird aus einer Grimmschen Szene („Wer bat von meinem Teilerchen gegessen?” usw.) bei Disney ein ganzer überlanger „zweiter Akt”.

Im ganzen ist Walt Disneys „Schneewittchen und die sieben Zwerge” ein märchenhafter Film, ein berückend schönes, mutiges und kulturell denkwürdiges Werk. Wenn auch im Grunde kein Märchen! Dafür ist es zu gescheit, zu unkindlich. Es ist kein Geschöpf aus dem sonnigen niederländisdi-deutsdien Wald, sondern aus dem jupiterlampenstrahlenden Kalifornien; motorisiert, mechanisiert, eine richtige Schnee-Micky-Maus.

„Pastor angelicus”

Rom in den Jahren 1941 und 1942: Die Schatten des Krieges lasten immer schwerer über der Ewigen Stadt. Das Brot wird täglich schlechter, die Rationen kleiner, die Schlangen vor den Geschäften länger, die Zahl der Krüppel, die man in den Straßen sieht, größer. Die Kriegsmüdigkeit des Volkes steigt von Tag zu Tag. Mögen die Reden drüben vom Balkon des Palazzo Venezia noch so aufpeitschend und siegessicher sein, sie finden kaum noch Widerhall in den Herzen der Römer. Immer mehr dagegen horcht das Volk auf jene Stimme, die seit Beginn des Krieges aus dem Vatikan erschallt und die inmitten allen Mordens ununterbrochen von der Versöhnung und vom Frieden spricht. Und während die Figur des Tribunen im Bewußtsein des Volkes immer mehr verblaßt, gewinnt die weiße Gestalt des Papstes als des „defensor paeis”, als des Verteidigers des Friedens, an Plastizität. Hunderte und Tausende strömen hinüber in den Vatikan, um die Person des Papstes zu sehen und seine Worte zu hören. Und da der Papst nicht nur vom Frieden spricht, sondern inmitten all der Not für jeden ein gutes Wort hat, eine liebe Geste, ein Gebet, ist die Schar jener, die ihn besuchen, stetig im Wachsen. Manchmal werden dieseAudien- zen gefilmt. Schließlich kommt jemand auf die Idee, diese einzelnen Streifen zu sammeln und einen Film daraus zu machen, um allen jenen, die den Papst nicht sehen können, ihn doch auf der Leinwand erleben zu lassen. Ein paar Ausschnitte aus älteren Wochenschauen, die das Begräbnis des elften Pius, das Konklave und einige Szenen aus dem Leben des Kardinal-Staatssekretärs Pacelli zeigen, werden hinzugefügt, ein paar Aufnahmen dazugedreht. Dies ist die Entstehungsgeschichte des Films „Pastor angelicus”.

Er ist ein reiner Dokumentarfilm, eine Reportage. Nichts mehr. Wer ihn vom künstlerischen Standpunkt oder vom Gesichtspunkt der Dramatik des Films beurteilen wollte, geht von falschen Voraussetzungen aus und wird natürlich viele Schwächen finden, die aber den Herstellern ebenso wie den ersten Besuchern klar waren. Wer dagegen diesen Film als ein reines Dokument wertet, das den obersten Hirten der Christenheit in einem der schwersten Augenblicke der menschlichen Geschichte in seiner Arbeit, inmitten seiner Umgebung, umringt von Zahllosen, die Trost bei ihm suchen, Higt, wird auch heute noch, da schon ein gewisser Abstand uns von dieser Zeit trennt, nicht ohne innere Ergriffenheit diesen einfachen Filmstreifen erleben.

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